The Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen. Erster Band. by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net Title: Der Todesgruss der Legionen. Erster Band. Author: Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow Release Date: October 6, 2004 [EBook #13657] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUSS DER LEGIONEN. *** Produced by PG Distributed Proofreaders. Der Todesgruss der Legionen. Zeit-Roman von Gregor Samarow. Erster Band. Berlin, 1874. Druck und Verlag von Otto Janke. Erstes Capitel. Am Ufer der Marne, in der Naehe der kreidereichen weissen Ebene der Champagne, liegt die alte Stadt Saint-Dizier, ein kleiner Ort mit etwa fuenftausend Einwohnern, deren Industrie zum grossen Theil darin besteht die auf der Marne herabgefloessten Holzstaemme in Bretter zu zerschneiden--ausserdem befinden sich dort beruehmte Manufacturen von Eisenwaaren und durch diese Gewerbthaetigkeit hat der ganze Ort trotz seiner geringen Ausdehnung, vielleicht gerade wegen derselben eine bedeutende Wohlhabenheit erreicht. Die alte Stadt zieht sich mit ihren winkligen und ziemlich unregelmaessigen Strassen in einer verhaeltnissmaessig bedeutenden Laengenausdehnung am Ufer der Marne hin. Auf dem hoechsten Punkt liegt eine alte Kirche von hohen Baeumen umgeben, welche ebenso wie die Stadt selbst und deren altersgraues Rathhaus voll von historischen Erinnerungen ist, die innig mit grossen Momenten der Geschichte Frankreichs zusammenhaengen. Schon von Alters her waren die Einwohner von Saint-Dizier sehr streitbare und kriegerische Maenner, man nannte sie im Mittelalter les bragars--eine Zusammenziehung aus les braves gars--und die bragars von Saint-Dizier waren die treuesten und muthigsten Kaempfer Franz I.; sie hielten eine lange Belagerung Carl V. aus und leisteten dem Lande dadurch wichtige Dienste, fuer welche der ritterliche Koenig sie mit verschiedenen bedeutenden Privilegien auszeichnete. Diese stolzen Erinnerungen leben noch heute in den Bewohnern von Saint-Dizier fort und so klein und unscheinbar die Stadt ist, so stolz blickt sie auf ihre Geschichte zurueck und jeder Buerger von Saint-Dizier macht das Wort Franz I.: "tout est perdu fors l'honneur" zu seiner Devise. Die unmittelbare Umgebung der Stadt ist flach und eben; in einiger Entfernung erheben sich kleine Anhoehen mit niedrigen Laubwaldungen und Weinpflanzungen bedeckt. Dort befindet sich eine Wasserheilanstalt, welche wegen ihrer gesunden Luft und ihrer frischen Quellenbaeder von den Bewohnern der Umgegend haeufig besucht wird und waehrend des Sommers die kleine Stadt mit dem bewegten Leben eines Badeortes erfuellt. Es war an einem Februarabend des Jahres 1870. Rauh und kalt wehte der Wind ueber die ebene Umgebung der Stadt; die Wellen der Marne vom Sturm gepeitscht schlugen an die Ufer und die dort aufgehaeuften Holzbloecke; durch die in zerrissenen Flocken ueber den Himmel hinjagenden Wolken blickte von Zeit zu Zeit ein Strahl des Mondlichtes und erhellte einen Augenblick die oede und kalt daliegende Gegend. Auf einem ebenen Wege am Flussufer, der an schoenen Tagen fuer die Bewohner von Saint-Dizier eine beliebte Promenade bildete, gingen langsam zwei Maenner auf und nieder. Beide waren hoch und kraeftig gewachsen und wenn das Mondlicht voruebergehend ihre Gesichtszuege beleuchtete, so konnte man in denselben jenen eigenthuemlichen Typus der norddeutschen Race erkennen. Der Eine von ihnen mochte etwa fuenfundzwanzig Jahre alt sein; seine Gestalt war geschmeidig, seine Bewegungen elastisch und nicht ohne eine gewisse natuerliche fast elegante Anmuth, welche nicht vollstaendig mit der Kleidung uebereinstimmte, die er trug und die ungefaehr diejenige des franzoesischen Arbeiterstandes war. Sein Gesicht war scharf geschnitten und drueckte Intelligenz, Muth und Willenskraft aus; ueber der leicht aufgeworfenen Oberlippe kraeuselte sich ein kleiner dichter Schnurrbart, volle blonde Locken quollen unter dem kleinen runden Hut hervor und in den grossen blauen Augen lag eine gewisse schwaermerische Tiefe, verbunden mit scharfer Beobachtung, welche zuweilen den Ausdruck listiger Schlauheit annehmen konnte. Neben ihm schritt ein bedeutend aelterer Mann von etwa vierzig bis fuenfundvierzig Jahren. Sein Gesicht sah bereits ein wenig verwittert aus und zeigte weniger Intelligenz als das seines Begleiters, dagegen aber mehr von jener beinahe eigensinnigen Zaehigkeit, welche dem norddeutschen, insbesondere dem niedersaechsischen Bauernstamme eigen ist. Beide Maenner gehoerten der hannoeverschen Emigration an, welche im Jahre 1867 ihr Heimathland verlassen und nachdem sie aus Holland und der Schweiz ausgewiesen war, ein Asyl in Frankreich gefunden hatte. Der Juengere der beiden Maenner war der fruehere hannoeversche Dragoner Cappei; der Aeltere war der fruehere Unterofficier Ruehlberg, welcher das Commando ueber die kleine Abtheilung Emigranten fuehrte, welche in Saint-Dizier stationirt waren. "Ich sage Euch noch einmal, Cappei," sprach der Unterofficier, "ueberlegt wohl, was Ihr thun wollt, denn die Sache wird ernst--ich habe den Herrn Lieutenant von Mengersen, als er das letzte Mal hier inspicirte, auf das Gewissen gefragt, ob es wirklich wahr sei, dass der Koenig die Emigration auseinander schicken und Jeden mit einer Summe von einigen hundert Francs abfinden wolle und der Herr von Mengersen, der ein braver und ehrlicher Mann ist, hat die Achseln gezuckt und mir keine rechte Antwort gegeben--er weiss mehr als er sagen will und die Kameraden in Paris haben mir geschrieben, dass dort etwas vorgeht; es sind Herren aus Hietzing dagewesen, man hat dann lange Conferenzen gehalten und die Herren Officiere sind alle sehr niedergeschlagen gewesen,--glaubt mir nur, ich taeusche mich nicht, wir werden einfach fortgeschickt werden, nachdem wir uns vier Jahre lang fuer den Koenig in der Welt herumgeschlagen haben und dann muss Jeder von uns ernstlich daran denken, wie er sich sein Brot erwerben und sich ehrlich durch's Leben bringen kann." "Ich glaube das nicht, Herr Unterofficier," rief Cappei, indem er stehen blieb und lebhaft mit dem Fusse auf den Boden trat; "es ist unmoeglich, dass Seine Majestaet seine treuen Soldaten, die in der Noth und Verbannung zu ihm gehalten haben, so einfach auseinander schickt, ohne sich um ihr Schicksal zu kuemmern.--Ich werde das nicht eher glauben, als bis es wirklich geschieht--wenn es aber je dazu kommen sollte, dann steht mein Entschluss ganz fest--ich gehe nach Hannover in die Heimath zurueck, mag daraus entstehen was da wolle.--Die Preussen koennen uns doch nicht Alle todtschiessen; man wird uns bestrafen, aber dann sind wir doch wenigstens in der Heimath und haben festen Grund fuer unsere Existenz. Ich habe ein kleines Gehoeft von meinem Oheim zu erben, das wird man mir nicht nehmen und wenn man mich wirklich ein oder zwei Jahre einsperrt, so werde ich doch nachher ruhig in meinem Hause sitzen und mir eine Familie gruenden koennen." "Ihr sprecht so," erwiderte der Unterofficier, "weil Ihr verliebt seid und weil Ihr nur daran denkt, je eher je lieber die kleine Franzoesin zu heirathen, der Ihr den ganzen Tag den Hof macht; aber das ist nicht recht von einem ordentlichen Soldaten--denkt doch daran, dass Ihr noch militairpflichtig seid und dass man Euch jedenfalls, wenn Ihr zurueckkehrt, zum Dienst einziehen wird. Wollt Ihr, ein alter hannoeverscher Garde du Corps, der sich so lange der preussischen Eroberung widersetzt hat, hinterher noch die preussische Uniform anziehen und nach preussischem Commando exerciren?" "Wenn der Koenig seine Getreuen wirklich verlaesst," rief Cappei, "was habe ich, der einzelne Mensch fuer eine Veranlassung oder fuer ein Recht mich der preussischen Herrschaft zu widersetzen? Ihr werft mir vor, dass ich verliebt sei--das ist wahr; ich bin verliebt und ich habe keinen groesseren Wunsch als meine kleine Luise zu heirathen, aber ich versichere Euch--Gott ist mein Zeuge--dass der Koenig und seine Sache mir hoeher steht als meine Liebe und wenn der Koenig mich heute riefe um fuer ihn in's Feld zu ziehen, so wuerde ich mich nicht einen Augenblick besinnen und meine Luise wuerde nicht von mir verlangen, dass ich meiner alten Fahne untreu werden sollte--wenn aber der Koenig uns gehen laesst, so bin ich ein einzelner freier Mensch und habe nur fuer mich zu sorgen und dann werde ich der Narr nicht sein, mich in der Welt herumzuschlagen und die Heimath aufzugeben. "Hart wird es freilich fuer mich sein die fremde Uniform zu tragen"--sprach er seufzend,--"aber was geht es im Grunde mich an? Schickt der Koenig uns fort, dann sind wir Alle frei zu thun was wir wollen und dann allerdings werde ich mich bei meinem Entschluss nur durch meine Liebe bestimmen lassen." "Nun," sagte der Unterofficier, "Gott gebe, dass es nicht dazu kommen moege. Was mich betrifft, so gehe ich nicht nach Hannover zurueck; ich bin zu alt geworden, um in den neuen Verhaeltnissen leben zu koennen. Man hat uns ja eine schoene Ansiedelung in Algier versprochen--wenn es dahin kommt, so lasse ich meine Frau kommen und gruende mir dort im fernen Afrika eine neue Heimath, in der ich wenigstens nach alter Weise leben und meine Gedanken frei aussprechen kann--Ihr werdet's Euch auch noch ueberlegen, hoffe ich.--Es ist ein Unglueck, dass bei Euch jungen Leuten immer die Liebe mitspricht--" Ungeduldig erwiderte Cappei: "Ich sage Ihnen nochmals," Herr Unterofficier, "dass es nicht die Liebe ist, welche mich bestimmt--wenn der Koenig uns nach Algier schickte und uns sagen liesse: wartet dort bis ich Euch brauchen kann, ich wuerde hingehen, so wahr ich hier vor Euch stehe und wenn meine Braut nicht mit mir gehen wollte, so wuerde mich das zwar traurig machen, aber keinen Augenblick in meinem Entschluss irre werden lassen. Wenn aber der Koenig uns aufgiebt, so bin ich frei--ich habe meine Soldatenpflicht erfuellt und kann als ehrlicher Mann thun was ich will." Sie waren am Ende des Weges angekommen und schritten langsam in die Strasse der Stadt hinein, welche durch die flackernden Gaslaternen nur spaerlich erleuchtet war.------ Um dieselbe Zeit sass in dem Wohnzimmer eines grossen, durch einen weiten Vorhof von der Strasse getrennten Hauses in der Naehe der alten Kirche, welches dem Holzhofbesitzer Challier gehoerte, ein junges Maedchen von etwa siebzehn Jahren in einem tiefen Lehnstuhl vor dem flackernden Kaminfeuer; sie trug ein einfaches Hauskleid von dunklem Wollenstoff, das sich ihrer schlanken Gestalt anmuthig anschmiegte, ihr dunkles, glaenzendes Haar war glatt gescheitelt und auf dem Hinterkopf in zwei Flechten zusammengebunden, deren reiche Fuelle jeden kuenstlichen Chignon unnoethig machte; ihr etwas blasses, feines Gesicht zeigte den eigentuemlichen, scharf geistvollen, beinah etwas hoehnischen, dabei aber doch wieder zugleich sentimental gefuehlsreichen Ausdruck, der den franzoesischen Frauen eigenthuemlich ist. Ihre mandelfoermig geschnittenen dunkeln und von scharf geschnittenen Brauen ueberwoelbten Augen blickten sinnend in die Gluth des Kaminfeuers, waehrend ihr kleiner frischer Mund sich ein wenig spoettisch verzog, indem sie den lebhaften Worten eines Mannes von etwa dreissig Jahren zuhoerte, der vor ihr stand. Dieser Mann war mittelgross und von hagerer Gestalt; sein etwas gelbliches nicht schoenes aber intelligentes Gesicht zuckte in lebhafter Aufregung, die Blicke seiner grossen tief liegenden dunkeln Augen spruehten in nervoeser Unruhe hin und her, sein krausgelocktes, dichtes Haar reichte tief in die Stirn hinab und sein kleiner schwarzer Schnurrbart war in zwei geraden Spitzen aufwaerts gedreht. "Es ist unrecht von Ihnen, Fraeulein Luise," rief er, seine Worte mit lebhaften Gesticulationen begleitend, "es ist unrecht von Ihnen, dass Sie fuer die Versicherungen meiner Liebe nur ein hoehnisches Laecheln haben. Sie wissen, dass seit lange Ihnen mein ganzes Herz gehoert;--meine Eisenfabrik wirft mir einen reichen Gewinn ab, mein Vater hat Nichts gegen meine Bewerbung--warum weisen Sie fortwaehrend meine Bitte zurueck, mir Ihre Hand zu reichen?--Ich kann Ihnen eine sichere und wahrlich keine einschraenkte Existenz bieten und was meine Person betrifft, so glaube ich sollten Sie mich genug kennen, um vertrauensvoll Ihr Schicksal mit dem meinigen zu verbinden." "Ich habe Ihnen schon oefter gesagt, Herr Vergier," erwiderte das junge Maedchen, "dass ich durchaus keine Eile habe mich zu verheirathen. Ich bin, Gott sei Dank, erst siebzehn Jahre und habe noch Zeit ein wenig meine Freiheit zu geniessen; ich habe Sie oft gebeten mir diese Zeit zu lassen--das ist doch in der That keine unbillige Bitte--oder fuerchten Sie, dass ich Ihnen zu alt werde," fuegte sie laechelnd hinzu, indem sie ihre Augen mit einem schalkhaften Blick emporschlug. "Da antworten Sie mir wieder in diesem hoehnischen Ton, den ich nicht ertragen kann," sagte Herr Vergier, indem er lebhaft mit der Hand durch die Haare fuhr; "es waere wahrhaftig besser, wenn Sie mir auf einmal offen und ehrlich sagten, dass Sie Nichts von mir wissen wollen, als dass Sie mich auf diese Weise hinhalten und verspotten." "Warum erfuellen Sie denn meine Bitte nicht," erwiderte Luise, "und lassen mir ruhig Zeit zur Ueberlegung? Ich habe ja Nichts von Ihnen verlangt, als dass Sie ein Jahr lang mit mir gar nicht ueber Ihre Heirathsplaene sprechen und ich habe Ihnen versprochen, nach Ablauf dieser Frist Ihnen ein bestimmtes 'Ja' oder 'Nein' zu sagen.--Warum draengen Sie mich fortwaehrend?" "Weil ich," rief Herr Vergier lebhaft, "taeglich deutlicher sehe, dass es nicht die Liebe zu Ihrer Freiheit ist, welche Sie die entscheidende Antwort verschieben laesst, sondern dass sich Ihr Herz mir mehr und mehr entfremdet. Oh!" sagte er naeher zu ihr herantretend, indem er sie mit unruhigen, halb bittenden, halb zornigen Blicken betrachtete, "frueher war das anders; frueher als Sie fast noch ein Kind waren, sprachen Sie gern mit mir, Sie hatten Vertrauen zu mir, Sie laechelten freundlich und widersprachen mir nicht, wenn ich Sie meine kleine Braut, meine kuenftige Frau nannte, das verstand sich Alles von selbst--und machte mich so gluecklich; aber jetzt," fuhr er fort, die Zaehne zusammenbeissend und mit Muehe einen heftigen Ausdruck zurueckhaltend--"jetzt ist das Alles anders--seit--" "Seit?" fragte das junge Maedchen den Kopf emporwerfend und mit einem kalten, fast hochmuethigen Blick Herrn Vergier vom Kopf bis zu den Fuessen musternd, "seit--?" "Seit jener fremde Deutsche hierhergekommen ist," rief Herr Vergier mit brennenden Blicken, indem seine Gesichtszuege sich durch einen haesslichen Ausdruck von Zorn und Hass entstellten, "jener heimathlose Fluechtling, von dem man nicht weiss woher er kommt--seit dieser Mensch, der nur ein gemeiner Soldat war, sich in Ihr Herz eingeschlichen hat--seit jener Zeit haben Sie die Erinnerungen Ihrer Kindheit vergessen--haben Sie Ihren Vater und Frankreich vergessen, denn es ist auch ein Verbrechen an Ihrem Vaterlande einen Fremden zu lieben, noch dazu einen Fremden, welcher jener deutschen Nation angehoert, die stets die Feindin Frankreichs war und deren Schaaren den heiligen Boden unsers Vaterlandes mehr als einmal verwuesteten.--Ich hasse die Deutschen," fuhr er mit grimmigem, dumpf gepresstem Tone fort, "ich habe sie gehasst so lange ich die Geschichte meines Landes kenne und ich hasse sie jetzt--mehr als je, seit mir Einer aus dieser Race die Hoffnung meiner Zukunft und das Glueck meines Lebens geraubt hat." Bei diesen Worten, welche Herr Vergier fortgerissen von seiner inneren Erregung, in immer steigendem Affect gesprochen, hatte zuerst eine fliegende helle Roethe Luisens Gesicht ueberzogen, dann oeffneten sich ihre Augen gross und weit, das Blut verschwand aus ihren Lippen und ein Ausdruck von Verachtung und feindlichem Hohn legte sich um ihren festgeschlossenen Mund. "Ich erinnere mich nicht," sagte sie mit zitternder Stimme, welche sie muehsam zu ruhigem Ton zwang--"ich erinnere mich nicht, Herr Vergier, Ihnen das Recht gegeben zu haben, Vermuthungen ueber meine Beziehungen zu andern Personen auszusprechen und an diese Vermuthungen Belehrungen und Beleidigungen zu knuepfen. Ich habe von Ihnen Frist verlangt, um ueber Ihre Wuensche nachzudenken und Ihnen versprochen, Ihnen demnaechst zu antworten. "Wenn Sie sich herausnehmen in dem Ton mit mir zu sprechen, den ich so eben gehoert, so wird die Folge davon sein, dass ich, ohne weiter einer Frist zu beduerfen, Ihren Antrag sogleich mit einem bestimmten und unwiderruflichen 'Nein' beantworte." Herr Vergier beugte sich unter dieser entschiedenen Erklaerung des jungen Maedchens zusammen, er schlug die Augen nieder und zwang sich zu einem freundlichen Laecheln. "Verzeihung, Fraeulein Luise!" sagte er mit leiser Stimme, indem er dem jungen Maedchen naeher trat und ihr die Hand reichte, welche sie nur leicht mit den Spitzen ihrer Finger beruehrte--"Verzeihung, ich habe mich hinreissen lassen von meinem Gefuehl, aber gerade diese Bewegung sollte Ihnen zeigen wie tief dasselbe ist." Luise antwortete nicht, schlug die Arme uebereinander und blickte unbeweglich in die Kaminglut. Nach einigen Augenblicken tiefen Schweigens trat der Vater des jungen Maedchens, der Holzhaendler Challier in den Salon.-- Herr Challier war ein Mann von sechszig Jahren, nicht hoch gewachsen, aber trotz seines Alters noch von schlanker und elastischer Gestalt; das kurze dichte Haar war durchweg grau und an den Schlaefen wie ueber der Stirn zurueckgestrichen, so dass das scharfgeschnittene, ausdrucksvolle Gesicht mit den lebhaft blickenden dunkeln Augen und den noch fast schwarzen Augenbrauen an jene alten Koepfe aus der Zeit des Puders erinnerte. Der alte Herr begruesste Herrn Vergier und seine Tochter, ohne die peinliche Gereiztheit zu bemerken, in welcher Beide sich befanden. "Wir haben heute die Arbeit spaet geschlossen," sagte er, "es sind so bedeutende Bestellungen von Seiten der Kriegsverwaltung gemacht, dass wir alle Haende voll zu thun haben um denselben zu genuegen; nach diesen Vorbereitungen sollte man fast glauben, dass grosse Ereignisse bevorstehen, waehrend doch die Zeitungen Nichts dergleichen vermuthen lassen und alle officiellen Kundgebungen nur die zuversichtlichsten Friedensversicherungen enthalten." "Ich glaube an diese Versicherungen wenig," sagte Herr Vergier, welcher sehr zufrieden damit zu sein schien, dass die Unterhaltung ein Gebiet beruehrte, das so weit von dem Gegenstande entfernt war, der so eben das Gespraech zwischen ihm und Fraeulein Luise gebildet hatte--"wir haben es schon oefter erlebt, dass unmittelbar vor den grossen Conflicten in allen Tonarten der Weltfriede verkuendet wurde und mich machen so feierliche und so bei jeder Gelegenheit wiederholte Friedensversicherungen ein wenig misstrauisch. "Ich weiss, dass auch auf dem Gebiet meines Geschaefts neuerdings wieder grosse Bestellungen gemacht worden sind und die ganze industrielle Welt hat das Gefuehl, dass in der schwuelen Luft dieser Zeit ein grosses erschuetterndes Gewitter sich vorbereitet, und so sehr ich," fuhr er lebhafter fort, "als Industrieller den Frieden wuensche, so muss ich doch sagen, dass ich als Franzose mit tiefem Schmerz die passive Unthaetigkeit empfinde, zu welcher die Regierung des Kaisers Frankreich verurtheilt und durch welche die Stellung unseres Landes in Europa immer schwerer erschuettert und immer tiefer untergraben wird." Der alte Challier schuettelte langsam den Kopf. "Mir fehlt es wahrlich nicht an franzoesischem Nationalgefuehl," sagte er, "und gerade die Buerger von Saint-Dizier, zu denen meine Familie seit Jahrhunderten gehoert, sind mit dem militairischen Ruhm Frankreichs eng verwachsen, aber ich sehe wahrlich nicht, dass und wie die Achtung gebietende Stellung unseres Landes bedroht waere und ich glaube dass der Kaiser sehr wohl daran thut den kriegerischen Aufwallungen nicht nachzugeben, welche sich seit laengerer Zeit so oft bemerkbar machen. "Er hat Frankreich auf eine Hoehe des Wohlstandes gebracht wie dieselbe kaum jemals frueher vorhanden war; sein neues Wegesystem hat jeder Arbeit den sicheren und leichten Absatz verschafft und es waere ohne die allergewichtigsten Ursachen geradezu ein Verbrechen unser so herrlich aufbluehendes Land in die Gefahren eines grossen Krieges zu stuerzen. Die Nachwehen dieser mexikanischen Expedition, welche uns so viel Geld und Blut gekostet hat, sind kaum ueberwunden und ein neuer Krieg wuerde kaum zu verantworten sein." "Aber glauben Sie denn," rief Herr Vergier lebhaft, "dass der Kaiser sich auf die Dauer wird halten koennen, wenn er nicht durch einen gluecklichen und siegreichen Krieg seiner Regierung ein neues nationales Fundament giebt? Man sagt ja, dass seine besten Freunde ihm zu solchem Kriege rathen.--Ich liebe das kaiserliche Regiment nicht--ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich in der Republik die einzige Regierungsform sehe, welche Frankreich dauernd zu Glueck und fester Groesse fuehren kann und ich wuerde ohne Bedauern den Zusammenbruch dieser willkuerlichen Regierung ansehen, der wir jetzt unterworfen sind--" "Sie thun Unrecht," fiel Herr Challier ernst und entschieden ein--"die Jugend liebt die Veraenderung und glauben Sie mir, es ist wesentlich die Neigung zur Veraenderung, welche die Gegner des Kaiserreichs erfuellt; ich bin kein unbedingter Bewunderer der Napoleonischen Herrschaft--die Traditionen unserer Stadt und unserer Gegend weisen uns vielmehr auf die alten legitimen Koenige von Frankreich zurueck, mit denen unsere Vorfahren in der grossen Geschichte der Vorzeit so eng verbunden waren; aber ich erkenne an, dass das legitime Koenigthum fuer Frankreich abgeschlossen ist und dass in dem Kaiserreich die einzige Garantie fuer eine ordnungsmaessige gesicherte Entwickelung der nationalen Wohlfahrt liegt. Dem Kaiser Schwierigkeiten zu bereiten ist nach meiner aufrichtigsten Ueberzeugung ein Unrecht gegen Frankreich selbst, um so mehr nachdem der Kaiser sich jetzt mit liberalen Institutionen umgeben und Maenner in seinen Rath berufen hat, welche das Vertrauen des Volkes besitzen." "Das Vertrauen des Volkes?" rief Herr Vergier. "Besitzt dieser Herr Ollivier, welcher dem Portefeuille seine Ueberzeugung, die er frueher so laut und emphatisch aussprach, Stueck fuer Stueck geopfert hat--besitzt dieser, taeglich die Farbe wechselnde Minister das Vertrauen des Volkes?--Dieser Mann, der aeusserlich den anspruchslosen und einfachen Buerger spielt und in seinem Herzen ein schlimmerer Hoefling ist als die Satelliten der roemischen Kaiser." "Nun," sagte Herr Challier das Gespraech abbrechend, "ich hoffe, dass die kriegerischen Befuerchtungen auch diesmal unbegruendet sein werden und dass man die steigende Wohlfahrt des Landes einem augenblicklichen militairischen Ruhm vorziehen wird." Er blickte auf seine Uhr. "Ist unser Diner bereit?" fragte er seine Tochter, welche fortwaehrend still in ihrem Stuhl gesessen hatte, ohne auf das Gespraech ihres Vaters mit Herrn Vergier zu achten. Luise erhob sich. "Sogleich," sagte sie, "Herr Cappei muss jeden Augenblick kommen; er hat versprochen heute bei uns zu essen," fuegte sie hinzu, indem ihr Blick sich fast herausfordernd auf Herrn Vergier richtete, welcher die Lippen zusammenbiss und sich abwendete. Die Thuer oeffnete sich und der junge Hannoveraner trat ein. Herr Challier begruesste ihn mit herzlicher Freundlichkeit; das junge Maedchen trat ihm entgegen, reichte ihm mit anmuthiger Bewegung die Hand und sprach, indem sie mit einem kalten, feindlichen Seitenblick Herrn Vergier streifte: "Wir fuerchteten schon, dass Sie nicht kommen wuerden und wuerden Ihre Abwesenheit sehr bedauert haben." Der junge Mann hielt Luisens Hand einige Augenblicke in der seinen, er machte eine unwillkuerliche Bewegung, als wollte er diese Hand an seine Lippen fuehren--dann trat er zurueck und begruesste mit einer hoeflichen Verneigung Herrn Vergier. Eine huebsche Dienerin in der zierlichen Tracht der franzoesischen Landmaedchen oeffnete die Thuer des anstossenden Speisezimmers. Fraeulein Luise, welche als die einzige Tochter ihres frueh verwittweten Vaters dem Haushalte vorstand, trat hinein, warf einen letzten Blick ueber den einfach aber sauber und geschmackvoll gedeckten Tisch, in dessen Mitte eine kleine Schale mit frischen Blumen stand und kehrte dann zurueck, um ihrem Vater zu sagen, dass Alles bereit sei. Man setzte sich zu Tisch. Fraeulein Luise machte mit der den Franzoesinnen aller Staende so eigenthuemlichen Anmuth die Honneurs, doch wollte sich der heitere Unterhaltungston, welcher sonst in diesem kleinen Kreis heimisch war, nicht recht finden. Es lag eine gedrueckte Stimmung auf der Gesellschaft. Der junge Cappei blickte sinnend und fast traurig vor sich nieder; Herr Vergier beobachtete mit scharfen spaehenden Blicken den jungen Deutschen und Fraeulein Luise schien mit besonderer Absichtlichkeit ihre ganze Aufmerksamkeit Herrn Cappei zuzuwenden. Sie legte ihm die Speisen vor, schenkte ihm Wein ein und begleitete alle diese kleinen Aufmerksamkeiten mit noch freundlicheren Blicken und Worten, indem sie dabei zuweilen mit dem Ausdruck von Trotz und hoehnischer Herausforderung zu Herrn Vergier hinuebersah. Das Diner verlief schweigsam. Der junge Deutsche bewies seinen Dank fuer die Aufmerksamkeiten seiner schoenen Nachbarin mehr durch glueckstrahlende Blicke als durch Worte. Herr Vergier verbarg, so gut er konnte seine innere zornige Erregung und hoerte mit gezwungenem Laecheln den scherzhaften Bemerkungen zu, durch welche Herr Challier, der eine angenehme Unterhaltung bei Tisch liebte, von Zeit zu Zeit die Conversation zu beleben suchte. Man erhob sich endlich und kehrte in den kleinen durch eine einfache Lampe erleuchteten Salon zurueck. Herr Vergier empfahl sich bald unter dem Vorwande dringender Geschaefte, die er noch zu erledigen habe und Herr Challier zog sich zurueck, um seiner Gewohnheit gemaess einen Augenblick "nachzudenken", wie er sagte, das heisst in dem Lehnstuhl seines Cabinets einen kleinen Schlaf zu machen. Als die jungen Leute allein geblieben waren, zog Cappei ein kleines Tabouret neben den Lehnstuhl vor den Camin, auf welchem das junge Maedchen sich wieder niedergelassen hatte, setzte sich an ihre Seite und ergriff zaertlich ihre Hand, die sie ihm reichte. "Meine suesse Luise," sagte er mit jenem fremden Accent, den die franzoesische Sprache im Munde eines Deutschen immer annimmt, "ich fuerchte, dass der Augenblick herannaht, in welchem wir uns auf eine vielleicht lange Zeit trennen muessen und ich bedarf der festen Zuversicht und des unerschuetterlichen Vertrauens, dass Deine Liebe mir fuer alle Wechselfaelle des Schicksals gesichert bleibt." "Kannst Du daran zweifeln?" erwiderte Luise, indem sie sanft mit der Hand ueber sein Haar strich und ihn mit einem leuchtenden Blick ansah, "ich habe Muth und Festigkeit--ich stamme," fuegte sie laechelnd hinzu, "von jenen alten Bragards von Saint-Dizier und wie jene die Sache ihres Koenigs und ihres Landes auf den Schlachtfeldern vertheidigten, so werde ich wenigstens ohne Zagen und Schwanken fuer meine Liebe einzustehen wissen. Der Kampf dafuer," fuhr sie, ihn immer mit entzueckten Blicken betrachtend fort, "wird uebrigens nicht so schwer sein. Mein Vater ist Dir persoenlich geneigt und hat eine tiefe Sympathie fuer die Sache Deines so ritterlichen ungluecklichen Koenigs.--Er liebt mich und ich sehe nicht ein, was er unserer Verbindung entgegenstellen sollte--" "Dein Vater," sagte Cappei ernst, "ist aber ein Mann des sichern, ruhigen Geschaeftslebens und er wird und muss fuer die Zukunft seiner Tochter Garantieen verlangen, die ich in diesem Augenblick nicht zu geben im Stande bin--ich bin ein heimathloser Fluechtling--" "Du hast Deine Heimath an meinem Herzen gefunden," rief Luise lebhaft, "genuegt Dir diese Heimath nicht?"-- Er kuesste zaertlich ihre Hand und sagte mit innigem Ton: "Das ist fuer mein Herz die schoenste, die ich finden kann, die einzige, die ich suche, aber wir beduerfen auch des festen Bodens im wirklichen Leben und dieser fehlt mir in diesem Augenblick vielleicht mehr als je--" "Doch," unterbrach sie ihn, "warum sprachst Du davon, dass wir uns trennen sollen? Glaubst Du," fuhr sie fort, "dass der Augenblick naht, in welchem Du fuer Deinen Koenig zu Felde ziehen musst?--Glaube mir, die Trennung wird mir tiefen Schmerz bereiten, aber ich werde Dich mit Stolz hinziehen sehen und meine Gebete werden Dich im Kampfe begleiten und Gott und die heilige Jungfrau, die ich stuendlich anrufen werde, werden Dich mir erhalten--Deine Sache wird siegen und dann--dann wird unserm Glueck Nichts mehr im Wege stehen." Er blickte duester vor sich hin. "Waere es so wie Du sagst," sprach er, "so wuerde ich mit froher Begeisterung und Hoffnung der Zukunft entgegensehen, aber leider fuerchte ich, dass die Zukunft sich anders gestaltet. Ich hoere, dass die Legion aufgeloest werden soll und dann werde ich gezwungen sein nach meiner Heimath zurueckzukehren, unter die fremde Herrschaft, um mein kleines Erbe mir zu erhalten, die einzige Grundlage, auf welcher ich im Stande bin Dir eine Zukunft zu schaffen." "Das waere traurig," sagte Luise--"doch warum willst Du in solchem Fall in Deine Heimath zurueckkehren? Warum willst Du nicht hier bleiben und in unserm schoenen Frankreich Dir ein neues Vaterland gewinnen? Mein Vater," fuegte sie rasch hinzu, "ist wohlhabend genug, um uns eine Heimath zu gruenden--" "Nein!" rief er sich stolz aufrichtend, "ich kann ein heimathloser Fluechtling sein, so lange ich einer grossen Sache diene--der Sache des Koenigs, dem ich einst Treue geschworen habe; wenn diese Sache faellt, so kann ich nicht bittend vor Deinen Vater hintreten und mir von ihm eine Existenz schaffen lassen. Ich muss dann den festen Fuss in meiner Heimath wiedergewinnen und wenn ich sie verlasse, wenn ich hierher zurueckkehre, um dem Zuge meines Herzens zu folgen, so muss es offen und frei geschehen und ich muss auch ohne die Huelfe Deines Vaters im Stande sein, unserer Zukunft eine sichere Grundlage zu geben, moege dieselbe so bescheiden sein, wie sie wolle. Ich werde keine Muehe scheuen, um dies Ziel zu erreichen; das Einzige was ich von Dir erbitte ist, dass Du mir vertraust und auch waehrend meiner Abwesenheit mir Deine Liebe bewahrst." Sie beugte sich zu ihm nieder, legte beide Arme um seine Schultern und blickte ihm tief in die Augen. "Kannst Du daran zweifeln?" sagte sie. "Was Du beschliessest, was Du thun wirst, es wird das Rechte sein und keine Zeit, keine Abwesenheit wird jemals Dein Bild aus meinem Herzen reissen koennen. Man sagt, die deutschen Frauen seien fester und treuer in ihrer Liebe--ich will Dir beweisen, dass die feurigern Gefuehle, welche das Herz der Franzoesinnen bewegen, darum nicht minder treu und bestaendig sind." Sie lehnte ihr Haupt an seine Schulter und er drueckte seine Lippen zaertlich auf ihr duftiges, glaenzendes Haar!-- Rasche Tritte ertoenten auf dem Vorplatz. Luise fuhr empor und lehnte sich in ihren Sessel zurueck. Cappei rueckte das Tabouret einen Schritt seitwaerts. Der Unterofficier Ruehlberg trat ein. Er begruesste mit einer etwas steifen Verbeugung das junge Maedchen und sprach mit einer von innerer Erregung bewegten Stimme. "Was wir befuerchteten, geschieht. So eben als ich nach Hause kam fand ich einen Brief des Lieutenants von Mengersen vor, der mir anzeigt, dass in der naechsten Zeit eine Commission zur Aufloesung der Legion hier eintreffen wird. Jedem Einzelnen sollen vierhundert Francs ausgezahlt und ihm die Freiheit gelassen werden, zu gehen wohin er will. "Nun," rief er mit bitterm Tone, "ich weiss, wohin ich gehen werde, um auf meine alten Tage ruhig und frei zu leben; wir sind schon ueber Zweihundert, die wir uns verbunden haben, nach Algier zu gehen und Ihr thut Unrecht, Euch uns nicht anzuschliessen--aber das kommt--" Er warf einen schnellen Seitenblick auf das junge Maedchen, biss sich auf den Schnurrbart und schwieg. "Die Entscheidung naht," sagte der junge Mann, ernst und traurig seine Geliebte anblickend. "Und die Liebe und Treue wird sich bewaehren," erwiderte diese leise. "Ich bin gekommen, um Euch abzuholen," sagte der Unterofficier--"verzeihen Sie, mein Fraeulein," schaltete er mit einer gewissen muerrischen Hoeflichkeit ein--"unsere Abtheilung ist bei mir beisammen und wir wollen ein wenig unter einander die Sache besprechen." Cappei stand auf, reichte Luise die Hand, bat sie, ihn bei ihrem Vater zu entschuldigen und verliess mit dem Unterofficier den Salon. Das junge Maedchen blieb allein in tiefen Gedanken vor dem allmaelig erloeschenden Kaminfeuer sitzen, sinnend blickte sie vor sich nieder; doch war es kein trauriger und trueber Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag, ihre Seele war muthig und stolz darauf, ihrem Geliebten auch unter schweren Verhaeltnissen die Treue bewahren zu koennen. Der Kampf mit den Verhaeltnissen des Lebens reizte sie und ihr hoffnungsvolles Herz hatte keinen Zweifel, dass Alles endlich sich zu gluecklichem Ausgang fuegen wuerde. Zweites Capitel. Eine truebe Februarsonne schien durch die halb geschlossenen Fenstervorhaenge des Schlafzimmers des Kaisers Napoleon des Dritten in den Tuilerien. Der Kaiser lag auf einer in der Mitte des Zimmers stehenden Chaiselongue, eingehuellt in einen weiten Schlafrock von leichter Seide, sein Kopf war zurueckgelehnt auf ein rundes Kissen, seine Augen waren geschlossen und die bleichen Zuege seines Gesichts trugen den Ausdruck tiefen Leidens; sein fast ganz ergrautes Haar hing unfrisirt an den Schlaefen herab, der sonst so wohl gepflegte Bart war ungeordnet und der ganze Kopf, der sonst so ausdrucksvoll und lebendig erschien, erinnerte in seiner unbeweglichen Starrheit an eine Todtenmaske; die Haende des Kaisers waren ausgestreckt, die Fingerspitzen bewegten sich leicht in convulsivischen Zuckungen. Zu den Fuessen des Ruhebettes stand der Dr. Conneau, kaiserlicher Leibarzt und langjaehriger Freund; sein von einem kurz geschnittenen schmalen Backenbart umrahmtes bleiches Gesicht mit der hoch hinauf kahlen Stirn und der stark vorspringenden Nase zeigte den Ausdruck theilnehmender Besorgniss und die tief liegenden, scharfblickenden Augen schauten mit gespannter Aufmerksamkeit auf seinen wie leblos da liegenden Souverain. An einem Seitentisch in einiger Entfernung war der Doctor Nelaton beschaeftigt einige elegant gearbeitete chirurgische Instrumente von Silber und Kautschuk in ein Etui von schwarzem Sammt einzupacken. Sein geistvolles, etwas kraenkliches Gesicht war ernst und ruhig und wenn er auch zuweilen forschend nach dem Kaiser hinueber blickte, so schien er doch mehr mit der sorgfaeltigen Aufbewahrung seiner Instrumente als mit dem Zustande seines Patienten beschaeftigt. Dr. Conneau beugte sich ueber den Kaiser herab und ergriff dessen Hand, aufmerksam dem Pulsschlag folgend. "Der Puls geht ruhig und gleichmaessig," sagte er sich zu Nelaton wendend; "es scheint nur eine Krise der Nerven zu sein; ich wuerde Sr. Majestaet gern einige Tropfen Aethergeist einfloessen." "Ich halte das nicht fuer noethig" erwiderte Dr. Nelaton. "Die Sondirung hat durchaus keine bedenklichen Symptome ergeben, Seine Majestaet ist ungeheuer empfindlich fuer den Schmerz und eine augenblickliche Ruhe wird das Gleichgewicht der Kraefte sofort wieder herstellen. Ich ueberlasse den Kaiser Ihrer Sorgfalt," fuegte er hinzu indem er sein Etui schloss, "und hoffe, dass er einige Zeit von weiteren Operationen wird verschont bleiben koennen, nur muss Seine Majestaet in der naechsten Zeit es sorgfaeltig vermeiden zu Pferde zu steigen oder lange zu stehen." Er verliess mit leisen Schritten das Zimmer.--Dr. Conneau blieb ruhig an seinem Platz stehen, fortwaehrend das Gesicht des Kaisers beobachtend, auf welchem allmaelig wieder eine etwas lebhaftere Farbe erschien. Napoleon erhob die Haende langsam, faltete sie ueber der Brust zusammen, seine Lippen oeffneten sich zu einem tiefen Athemzuge--dann schlug er die Augen auf und blickte wie verwundert im Zimmer umher. "Ist Nelaton fort?" fragte er.--"Was hat er gesagt? Werden diese entsetzlichen Qualen sich oft wiederholen muessen?" "Nelaton ist vollkommen zufrieden und beruhigt, Sire," erwiederte Dr. Conneau, "und er hofft, dass Ew. Majestaet fuer lange Zeit Ruhe haben werden; es sind durchaus keine bedenklichen Symptome vorhanden und ich hoffe durch innere Mittel sehr wirksam eingreifen zu koennen." "Oh, mein alter Freund," sagte der Kaiser mit traurigem Ton, "Sie glauben nicht wie sehr ich leide. Meine Natur kann eine einmalige gewaltsame Erschuetterung leicht ueberwinden, aber diese fortwaehrenden kleinen Schmerzen zerruetten mein Nervensystem, untergraben meine Willenskraft und machen mich zuweilen vollstaendig unfaehig zu denken und zu handeln." "Ich bitte Ew. Majestaet instaendigst," erwiderte Dr. Conneau, "sich in diesen so erklaerlichen und natuerlichen Gefuehlen nicht gehen zu lassen. Ew. Majestaet so reizbare Natur wird mehr als eine andre Organisation durch die Wiederholung kleiner und peinlicher beiden angegriffen; aber Ew. Majestaet," sprach er ernst mit volltoenender Stimme, "sind mehr als andere Menschen. Ew. Majestaet grosser Geist muss die kleinen beiden ueberwinden um die grossen Aufgaben Ihrer Stellung erfuellen zu koennen und je mehr Ew. Majestaet die Kraft Ihres Willens anstrengen, um so mehr werden jene kleinen Leiden sich vermindern, um so sicherer hoffe ich auf Ihre endliche, vollstaendige Wiederherstellung." Der Kaiser schuettelte langsam und traurig den Kopf. "Die grossen Aufgaben meiner Stellung!" sprach er mit matter Stimme--"das ist es ja eben, was mich so niederdrueckt und laehmt--dass die Maschine den Dienst versagt, um das ausfuehren zu koennen was nothwendig geschehen muss; ja, dass sogar oft die Klarheit des Erkennens dessen was nothwendig ist mir schwindet. Waere ich einer jener legitimen Koenige, die ruhig auf ihrem Thron sitzen, die denselben sicher und unangefochten ihrem Nachfolger ueberlassen koennen--oh, dann wuerde ich ruhig alle diese Leiden und Schmerzen ertragen. Ich fuerchte wahrlich den Tod nicht--fast moechte ich ihn zuweilen wuenschen, denn die Genuesse und Freuden des Lebens sind fuer mich--beendet; aber, mein Gott," rief er haenderingend, "ich darf ja nicht nur an mich und mein Leben denken, ich muss sorgen fuer die Zeit die nach mir kommt; ich muss meinem Sohn das Erbe sichern, fuer dessen Erwerbung mein grosser Oheim seine Riesenkraft eingesetzt hat und fuer welches ich in muehsamer Arbeit die Taetigkeit meines ganzen Lebens angestrengt habe und nun gerade, da ich diese letzte Aufgabe meiner irdischen Laufbahn erfuellen will und erfuellen muss, geht mir die Kraft aus und wenn dieser elende Koerper zusammenbricht, so wird das stolze Gebaeude in Truemmer fallen, welches ich aufgerichtet und dieses Frankreich, das ich so sehr liebe, fuer das ich gestrebt und gearbeitet habe so lange Jahre hindurch, es wird wieder zuruecksinken in unruhige Zerruettung; Ohnmacht und Elend wird die Folge davon sein." "Aber, mein Gott, Sire," sagte Dr. Conneau, "warum diese schwarzen Gedanken? Die Macht des Kaiserreichs steht fest begruendet im Innern und hoch geachtet nach Aussen da. Es giebt vielleicht unter den alten legitimen Monarchieen so manche, welche nicht auf so sichern und unerschuetterlichen Fundamenten ruht als der Thron Ew. Majestaet und wenn der kaiserliche Prinz--was Gott noch lange verhueten moege, dereinst berufen sein wird jenen Thron zu besteigen, so wird er ein nach allen Richtungen hin vollendetes, grossartiges Werk vorfinden, dessen natuerliche Weiterentwickelung er nur fortsetzen und leiten darf. Ew. Majestaet Werk ist wahrlich groesser als das Ihres Oheims, denn die Schoepfungen jenes Riesengeistes stuetzten sich doch immer nur auf die Spitze seines Degens, waehrend Ew. Majestaet Bau breit und ruhig auf der Wohlfahrt des ganzen Volkes ruht." Der Kaiser schuettelte abermals den Kopf. "Auch Sie, mein alter Freund," sagte er, "taeuscht der Schein--oder Sie wollen mich beruhigen und mir das Vertrauen auf die Zukunft wiedergeben, das ich immer mehr verliere. "Ich selbst," sagte er nach einem tiefen Athemzuge, indem es wie leichte Nachwehen nervoeser Schmerzen ueber sein Gesicht zuckte--"ich selbst kann besser wie jeder Andere die Schwaechen dieses Kaiserreichs erkennen, das ich selbst erbaut und so lange Zeit aufrecht erhalten habe. "Fest begruendet im Innern, sagen Sie, stehe mein Reich da?--Und dennoch wogt und gaehrt es in dieser so leicht beweglichen Pariser Bevoelkerung--ich kenne sie genau die Vorzeichen der revolutionairen Stuerme und ich sehe sie deutlich in der heutigen Bewegung des oeffentlichen Lebens." Dr. Conneau laechelte. "Ew. Majestaet ueberschaetzen diese kleine Bewegung," sagte er. "Die stets unruhige Bevoelkerung des Faubourg St. Antoine bedarf von Zeit zu Zeit solcher leichter Emotionen, aber unter einer so starken Regierung wie diejenige Ew. Majestaet ist hat das nichts zu bedeuten. Die grosse Masse der Bevoelkerung Frankreichs, namentlich die laendlichen Grundbesitzer haengen an Ew. Majestaet und empfinden dankbar die Segnungen, welche Ihre Regierung ihnen gebracht hat. Dank der Ordnung, Ruhe und Sicherheit des oeffentlichen Verkehrs, Dank dem neuen Wegesystem, das Ew. Majestaet geschaffen und das jedem Grundbesitzer die Moeglichkeit der reichsten Verwerthung seiner Producte sichert, steht Frankreich auf einer Hoehe des Wohlstandes wie nie zuvor und einige unruhige Koepfe in Paris werden niemals die Macht haben, die tiefe Anhaenglichkeit des ganzen Volkes an Ew. Majestaet und Ihre Dynastie zu erschuettern." "Sie kennen Frankreich nicht wie ich," sagte der Kaiser traurig--"ich weiss wie Sie, dass das Volk im ganzen Lande mir dankbar ist und dass aus dem Lande selbst niemals eine Bewegung gegen das Kaiserreich hervorgehen wird; aber die Centralisation in diesem Lande hat eine unbesiegbare Gewalt--eine unvernuenftige Gewalt, wenn Sie wollen, doch die Gewalt ist da und ich sage Ihnen, bei irgend einem Unglueck, bei irgend einer Schwaeche der Regierung--bei meinem Tode vielleicht," fuegte er seufzend hinzu, "wird immer eine Hand voll Nichts bedeutender Menschen, denen es gelingt Paris zu terrorisiren, die Macht haben eine Regierung zu stuerzen, welche die Sympathieen des ganzen Landes besitzt und dieses so ganze reiche, so arbeitsame, so geistvolle Frankreich wird den Thorheiten folgen, zu denen man Paris zu verleiten im Stande sein moechte.-- "Und nach Aussen," fuhr er fort, fast mehr noch zu sich selbst als zu Conneau sprechend--"hat man in Europa noch Achtung, hat man noch Furcht vor Frankreich? Wohin richten sich die Blicke der Cabinette? Ich fuehle es heraus aus den Berichten aller meiner Gesandten, man sieht nach Berlin und die Zeit ist vorbei, in der ich mit einem Worte Europa bewegen konnte. "Niel ist todt," sagte er mit dumpfem Ton--"Alle sind todt, die mich einst auf der Hoehe der Macht und des Einflusses umgaben--Morny, Walewsky--selbst Felix und mein treuer Nero--ich bin allein. "Ich habe nur noch Sie," sagte er mit einem unendlich innigen Blick auf den Dr. Conneau, indem er ihm mit einer matten Bewegung die Hand reichte; "aber Sie, mein braver und treuer Freund, Sie koennen mir nicht helfen; das Getriebe der Politik liegt Ihnen fern--Sie koennten mir nur helfen, wenn Sie dieser alten gebrechlichen Maschine neues Leben einzufloessen vermoechten. "Oh," rief er, indem ein Blitz aus seinem Auge spruehte, "ich wollte allein all diesen Schwierigkeiten entgegentreten, ueber sie alle Herr werden, wenn ich nur auf wenige Jahre meinen Nerven und meinen Muskeln die Kraft der Jugend wiedergeben koennte.--Le Boeuf," fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort, "er ist der Schueler von Niel, er hat ihm nahe gestanden, er ist das Werkzeug zur Ausfuehrung seiner Ideen gewesen--aber er ist kein Niel und der Schueler kann den Meister nicht fortsetzen.-- "Ich habe den Augenblick verloren und dem Augenblick gehoert das Schicksal; ich fuerchte, ich fuerchte, mein treuer Conneau, der Augenblick kommt nicht wieder und mein Stern, den ich einst so hell leuchtend ueber meinem Haupt erblickte, er hat sich in truebe, truebe Wolken verhuellt. "Vielleicht," fuhr er immer seinen Gedanken folgend fort--"habe ich einen Fehler begangen dadurch, dass ich eine Dynastie gruenden wollte. Vielleicht ist eine dynastische Monarchie Frankreichs in unserm Jahrhundert nicht mehr moeglich; vielleicht staende ich groesser und sicherer da, wenn ich mich haette entschliessen koennen nur der Caesar zu sein, der an keinen Nachfolger denkt, der sich identificirt mit der pulsirenden Bewegung des Volkslebens und dessen Geschichte mit seinem Tode aufhoert. "Das ist der Ursprung meiner Herrschaft--und man sagt, die Regierungen fallen, die sich von den Principien ihres Ursprungs entfernen. "Ist mein Oheim nicht gefallen, weil er aufhoerte Caesar zu sein und weil er der Begruender einer neuen dynastischen Legitimitaet werden wollte? "Aber, mein Gott," rief er die Haende ueber der Brust faltend, indem ein unendlich weicher Ausdruck auf seinen Zuegen erschien--"mein Gott, ich habe einen Sohn und ich liebe diesen Sohn--ich liebe ihn sehr, Conneau und mag es ein Fehler sein oder nicht--meine ganzen Gedanken, meine ganze Arbeit gehoeren der Zukunft, gehoeren meinem Sohn." In tiefer Bewegung trat Dr. Conneau an das Lager des Kaisers, ergriff dessen Hand und fuehrte sie an seine Lippen. "Diese Arbeit wird ihre Frucht tragen, Sire," sagte er mit zitternder Stimme--"ich wollte, es waere mir vergoennt mein Leben fuer Sie und fuer den kaiserlichen Prinzen hinzugeben."-- "Geben Sie mir lieber," sagte Napoleon sanft laechelnd, "durch Ihre Kunst die wahre Kraft des Lebens wieder, dann werden Sie Frankreich, mir und meinem Sohn den hoechsten Dienst leisten." Conneau trat zur Seite, ergriff ein kleines Flaeschchen von geschliffenem Crystall, das auf einem Tisch am Fenster stand und mischte einige Tropfen der hellen Fluessigkeit, welche dasselbe enthielt, mit einem Glase Wasser. "Ich bitte Ew. Majestaet dies zu trinken," sagte er dem Kaiser das Glas reichend; "ich hoffe damit wenigstens einen Theil der Aufgabe zu erfuellen, welche Sie mir bezeichnen; dieses Getraenk wird Ew. Majestaet die Nervenkrise ueberwinden helfen, welche Nelatons Sondirung hervorgerufen hatte." Der Kaiser leerte langsam das Glas, dessen Inhalt eine gruene opalisirende Farbe angenommen hatte. Die nervoese Spannung seiner Gesichtszuege verschwand, seine mattgelbliche Haut nahm eine roethere Faerbung an und um seine Lippen legte sich jener Zug wohlwollender Freundlichkeit, welcher ihm in der Unterhaltung eigenthuemlich war und der auf Jeden, der mit ihm, sprach seinen Zauber ausuebte. Er stand langsam auf. "Ich danke Ihnen, Conneau," sagte er, "das hat mir wohlgethan. Wollte Gott, Sie koennten die Wirkung dieses Elixirs dauernd machen; leider wird der Schmerz und die Schwaeche bald wieder meine Nerven zur alten Unfaehigkeit herabstimmen." "Nicht so leicht," erwiderte Dr. Conneau, "wenn die Willenskraft meinem Elixir zu Huelfe kommt; der menschliche Willen ist ein maechtiger Factor und selbst der kranke Koerper gehorcht seinem Befehl." "Der Willen?" sagte der Kaiser schmerzlich laechelnd--"um zu wollen, dazu gehoert Kraft und um die Kraft zu entwickeln gehoert Willen; wo ist der Anfang dieses Kreises, in welchem sich der leidende Mensch traurig herumbewegt?--Doch," fuhr er fort, "fuer den Augenblick habe ich den Willen und ich will ihn benutzen zu klarem Einblick in die Verhaeltnisse, denn das ist die erste Quelle aller guten Entschluesse." Er reichte Conneau die Hand,--der Arzt fuehrte dieselbe an seine Lippen und verliess das Schlafgemach seines Herrn. Der Kaiser klingelte. "Es ist nicht mehr mein treuer Felix," sprach er seufzend, "der alle Wechselfaelle des Lebens mit mir getheilt hat und dessen Erscheinung mir eine so liebe Gewohnheit geworden war." Der Kammerdiener trat ein und Napoleon machte mit aller Sorgfalt seine Toilette, nach deren Vollendung aus seinen Zuegen und seiner Haltung die Spuren der Schmerzen und der Erschoepfung fast ganz verschwanden; nur sein schwankender, unsicherer und in den Hueften wiegender Gang zeugte von seiner gebrochenen Kraft. "Ist Herr Duvernois da?" fragte er mit einem letzten Blick in den Spiegel. "Zu Befehl, Sire." "Man soll ihn eintreten lassen," sagte Napoleon, indem er in sein Cabinet trat, das sorgfaeltig gelueftet, von einem hellen Kaminfeuer erwaermt und mit dem leichten Duft von eau de Lavande durchzogen war. Wer den Kaiser hier sah, haette sich unmoeglich von dem leidenden, ganz gebrochenen Manne ein Bild machen koennen, der noch kurz vorher unter den Haenden der Aerzte seufzte und der gequaelt von den Leiden des Koerpers den Glauben an die Zukunft und das Vertrauen auf sich selbst verloren hatte. Napoleon trat heiter laechelnd, den Blick halb unter seinen Augenlidern verborgen, dem Journalisten Clement Duvernois entgegen, dem soeben der Huissier die Thuer des Cabinets geoeffnet hatte. Herr Duvernois, der seine publicistische Laufbahn in Algier begonnen, frueher lebhafte Opposition gemacht, und endlich damit geendet hatte, aus wirklicher und aufrichtiger Ueberzeugung ein begeisterter Anhaenger des Kaisers zu sein, war damals etwa fuenf und dreissig bis vierzig Jahr alt. Seine nicht hohe und nicht schlanke Figur, hatte Etwas von jener leicht gerundeten Corpulenz, welche die Koenigin von Daenemark fuer Hamlet in seinem Kampf mit Laertes fuerchten laesst. Sein etwas grosser Kopf war mit langem blonden Haar bedeckt, das die Stirne ziemlich weit hinauf kahl liess,--die Zuege seines bleichen Gesichts waren scharf geschnitten und entsprachen in ihrem lebhaft bewegten Ausdruck nicht ganz dem wesentlich phlegmatischen Typus seiner Figur. Seine Augen, obgleich hell und beim ersten Anblick nicht besonders tief erscheinend, erleuchteten sich waehrend der Unterhaltung und ihre leicht blaugraue Farbe schien dann wie von einer dunkeln Gluth durchschimmert. Herr Duvernois ging ohne jene elegante Leichtigkeit des Hofmannes, doch voellig ungezwungen auf den Kaiser zu, ergriff ehrerbietig die Hand, welche dieser ihm entgegenstreckte und verneigte sich tief. "Nun mein lieber Duvernois," sagte Napoleon mit freundlicher Herzlichkeit, "--wie geht es Ihnen,--ich habe Sie bitten lassen zu mir zu kommen, weil die Zeit wieder ernst zu werden beginnt,--es gaehrt und bewegt sich in den Tiefen und ich werde von allen Seiten mit so vielem Rath ueberschuettet,--dass es mir wirklich Beduerfniss ist, auch die Meinung Derjenigen zu hoeren, welche meine wahren Freunde sind." "Es sind leider nicht Alle Ihre Freunde, Sire, welche sagen es zu sein," erwiderte Clement Duvernois mit einer Stimme ohne harmonischen Wohllaut, aber mit scharf und klar accentuirtem Ton,--"fast moechte ich sagen--ich bin der ergebene Diener Eurer Majestaet, obgleich ich es laut ausspreche." "Und gehoeren Sie auch zu Denen," fragte Napoleon, "welche meinen, dass diese Bewegung in den Massen Nichts zu bedeuten habe, dass man nur ruhig abwarten duerfe, bis sie sich voellig wieder verlaeuft?--Sie haben es gelernt," fuhr er fort, "die oeffentliche Stimmung zu verstehn, Sie haben den klaren Blick, den die Hoehe nicht blendet,--und der vor den Tiefen des Abgrundes nicht zurueckschaudert,--was sehen Sie auf der Hoehe,--was sehen Sie in den Tiefen,--sprechen Sie frei und offen--Sie wissen, dass ich zu hoeren und zu lernen verstehe," fuegte er mit freundlichem Laecheln und einer leichten artigen Neigung des Kopfes hinzu. "Ich habe Eurer Majestaet," erwiderte Clement Duvernois, "meine Ergebenheit stets dadurch bewiesen, dass ich vor Ihrem Angesicht den Kaiser vergass und nur den grossen und geistvollen Mann sah, dem Niemand einen groesseren Dienst leisten kann als durch das Aussprechen seiner wahren und unverhuellten Ueberzeugung,--diese Ergebenheit werde ich Eurer Majestaet auch heute beweisen, denn mehr als je thut heute die Wahrheit Noth und je mehr Jeder aus seinem Gesichtskreise heraus die Wahrheit spricht, um so leichter wird es dem freien Blick Eurer Majestaet werden das wirklich Richtige zu erkennen." "Sie halten also die Situation fuer ernst?" fragte der Kaiser, indem er sich seufzend in einen Fauteuil niedersinken liess und Herrn Duvernois einen Sessel neben sich bezeichnete. Clement Duvernois stuetzte die Hand leicht auf die Lehne dieses Sessels, blieb vor dem Kaiser stehen und sprach, ohne direct auf die an ihn gerichtete Frage zu antworten: "Eure Majestaet haben mir das schmeichelhafte und ehrenvolle Zeugniss gegeben, dass mein Blick gewoehnt sei, in die Tiefen hinab wie zu den Hoehen hinauf zu blicken,--nun wohl, Sire,--ich habe nach beiden Richtungen scharf beobachtet--und werde Eurer Majestaet frei sagen, was ich gesehen." Der Kaiser lehnte den Kopf auf die eine Schulter herueber, stuetzte den Arm auf sein Knie und hoerte so, mit der Spitze seines Schnurrbartes spielend, aufmerksam zu. "In den Tiefen, Sire," sagte Clement Duvernois, "sehe ich die finstern Daemonen, welche die maechtige Hand Eurer Majestaet lange Zeit gefesselt hielt, einen Kampf auf Leben und Tod vorbereiten,--da sie fuehlen, dass der Griff der kaiserlichen Hand nicht mehr dieselbe Festigkeit hat wie frueher." Der Kaiser seufzte tief auf. Es schien, als wolle er sprechen,--doch blieb er schweigend und forderte Duvernois, der einen Augenblick inne gehalten, durch einen Wink auf fortzufahren. "Die friedlichen Buerger, Sire," sprach der geistvolle Publicist weiter, "wissen nicht, was an jedem Abend in Paris geschieht, diese friedlichen Buerger schlafen ruhig im Vertrauen auf die Fuersorge und Kraft der Regierung, waehrend der Boden, auf dem ihr Haus steht, unterhoehlt wird. Auf der Oberflaeche scheint Alles ruhig,--die Repraesentanten der Nation berathen ueber die wichtigsten Interessen des Landes, die Minister suchen gut zu verwalten, die Geschaefte erholen sich und die ehrliche Arbeit freut sich der Ruhe und Ordnung. "Was aber, Sire," fuhr er mit erhoehter Stimme fort,--"was birgt die Tiefe unter dieser Oberflaeche des Friedens und Gedeihens? Taeglich versammeln sich vier bis fuenftausend Individuen--Feinde des Besitzes, Feinde der Arbeit, Feinde jeder Gesellschaftsordnung, welche die Thaetigkeit zur Bedingung des Lebensgenusses macht--diese Individuen versammeln sich unter dem Vorsitze von Deputirten der aeussersten Linken,--von Deputirten, die dem Kaiser und der Nation ihren Eid geschworen; sie missbrauchen das Versammlungsrecht, das so liberal gegeben worden und ueberlassen sich den masslosesten Ausschreitungen. Diese Leute fuehren die verleumderischsten Schimpfreden, reizen sich gegenseitig auf und verbrechen sich untereinander das Kaiserreich durch Gewalt umzustuerzen, den Staat ueberhaupt und die Gesellschaft zu zerstoeren. "Eure Majestaet moegen mir erlauben, einige Worte aus den Reden zu citiren, welche man dort haelt und welche Ihre Polizei sich vielleicht scheuen moechte, Ihnen zu wiederholen. Flourens hat gestern auf der Tribuene dieser wuesten Versammlung gerufen: 'wir wollen keine Banditen, keine Moerder mehr, moegen sie aus Corsika oder anders woher kommen; wir wollen keine Retter der Gesellschaft mehr, welche ein Stueck Speck am Hute tragen.'" Der Kaiser neigte den Kopf noch tiefer--sein Blick verhuellte sich voellig unter den Augenlidern. "Flourens," fuhr Herr Duvernois fort, "sprach dann von den Vorgaengen in Creusot und rief: 'es wird so nicht lange weiter gehen, binnen kurzer Zeit werden wir alle diese Elenden zum Teufel jagen, welche durch ihren zusammengeschacherten Besitz die freien Arbeiter zu Sclaven machen wollen.' Doch es geht noch weiter; beim Bankett von St. Mande, Sire, hat man auf die Kugel getrunken, welche das Staatsoberhaupt treffen wuerde." Der Kaiser hob den Kopf, blickte Duvernois gross und klar an und sprach mit ruhigem Laecheln: "Wenn diese Kugel gegossen ist, mein lieber Duvernois, so wird sie mich treffen und wenn Alles in der tiefsten Ruhe waere. Hat das Schicksal sie mir nicht bestimmt--so wird der Toast einiger Wahnwitzigen meinem Leben keine Gefahr bringen." "Ich weiss," erwiderte Duvernois, "dass Eure Majestaet keine Gefahr scheut und es ist nicht um Eure Majestaet vor einem Attentat zu warnen, dass ich erzaehle, was man dort gesprochen hat--Diejenigen, welche so laut reden, sind keine Ravaillacs. Fuer heute und morgen, Sire, haben noch alle diese Bewegungen keine gefaehrliche Bedeutung; das Alles sind nur Versuche, was man wagen, wie weit man gehen kann. Wenn man aber fuehlt, dass man ungestraft die Zerstoerung der Gesellschaft predigen darf, so wird man weiter und weiter gehen und die grosse Masse der ruhigen Buerger wird, wie das bei allen Revolutionen der Fall ist, dem Terrorismus weniger Verbrecher verfallen, wenn nicht noch zur rechten Zeit die starke Hand der Regierung schuetzend in diese gefaehrliche Bewegung eingreift." "Und diesem finstern Bilde auf dem Grunde der Gesellschaft gegenueber," fragte der Kaiser, indem sein Blick forschend auf dem lebhaft bewegten Gesicht Duvernois' ruhte--"was haben Sie auf den Hoehen gesehen?" Clement Duvernois schwieg einen Augenblick. Er sah nachdenkend zu Boden und schlug dann das grossgeoeffnete, dunkelgluehende Auge zum Kaiser auf. "Auf der Hoehe," sprach er dann mit tief eindringender Stimme, "sehe ich, Sire, einen grossen Fuersten, der durch maechtige und edle Arbeit seiner Nation Macht und Wohlstand geschaffen hat, der in grossherzigem Vertrauen nicht daran zu glauben vermag, dass diese Nation fuer so viele Wohltaten undankbar sein koennte, dessen Gedanken erfuellt sind von dem Streben auch ueber seinen Tod hinaus, den er mit kaltbluetigem Heldenmuth in's Auge fasst, seinem Volk das Glueck zu sichern, welches seine Regierung geschaffen hat; einen Fuersten, der sich anschickt, dem von ihm aufgerichteten Gebaeude die Krone der letzten Vollendung zu geben--der aber--" "Der aber?" fragte der Kaiser, den Kopf noch hoeher erhebend und mit gespannter Erwartung aufblickend. "Der aber," fuhr Duvernois ruhig und ernst fort, "mit der Kroenung des Baues beschaeftigt, vergisst die Fundamente desselben gegen die finstern Gewalten zu schuetzen, welche dieselben langsam und systematisch untergraben." "Ich vergesse das nicht," sagte Napoleon, "im Gegentheil arbeite ich daran, diesen Fundamenten, welche bisher auf dem einzigen Pfeiler meines persoenlichen Willens und meiner persoenlichen Kraft ruhten die breite und sichere Grundlage von Institutionen zu geben, durch welche die besten und edelsten Kraefte des Landes um den Thron meines Nachfolgers vereinigt werden sollen. Diese Institutionen sollen staerker sein als die persoenliche Macht des Souverains, so dass, wenn auch ein kaum der Kindheit entwachsener Knabe der Erbe meiner Regierung wird, Frankreich ruhig und unerschuettert wie in den vergangenen Tagen seiner alten Koenige rufen kann: Der Kaiser ist todt--es lebe der Kaiser." "Die edle Absicht Eurer Majestaet," erwiderte Clement Duvernois, "erkenne ich klar; ich erkenne nicht minder die hohe Weisheit, welche Ihre Entschluesse dictirt hat und die Institutionen, welche Sie geschaffen, wuerden vollkommen geeignet sein das zu erreichen, was Eure Majestaet bezwecken will, wenn--diese Institutionen und ihre Ausfuehrung in anderen Haenden laegen." Ein Zug von duesterm Unmuth erschien auf dem Gesicht des Kaisers; er liess den Kopf auf die Brust sinken und sprach mit dumpfem Ton: "Und in wessen Haende sollte ich diese Institutionen legen? Wo sind die treuen Freunde, denen ich unbedingtes Vertrauen schenken kann?--Diejenigen, welche mit mir emporgestiegen waren, Diejenigen, welche mit mir die Zeit des Ungluecks und Leidens getheilt hatten--sie sind todt.--Eine neue Zeit steigt um mich herauf, wie schwer ist es, eine Wahl zu treffen unter allen Denen, die ich nur als Hoeflinge des Kaisers aber nicht als Gefaehrten des Verbannten kennen gelernt habe." Er versank einen Augenblick in duesteres Schweigen. "Doch," sprach er dann, sich lebhaft emporrichtend, "sprechen Sie offen, Sie wissen, ich glaube an Ihre Aufrichtigkeit; haben Sie Grund den Maennern zu misstrauen, welche ich gegenwaertig in meinen Rath berufen habe, und welche, wie man mir allgemein sagt, das Vertrauen des Landes besitzen?" "Misstrauen?" sagte Clement Duvernois ein wenig zoegernd, "ist ein hartes und schweres Wort; es enthaelt eine Anklage, die ich gegen Eurer Majestaet Minister auszusprechen nicht unternehmen moechte. Erlauben mir Eure Majestaet zunaechst von den Personen abzusehen und ganz allgemein zu sprechen. "Ich sehe vor mir--und ich sehe von unten herauf wo Eure Majestaet nur von oben herab blicken--ich sehe vor mir die eigenthuemliche Thatsache, dass die Macht der kaiserlichen Regierung sich in den Haenden des dem Kaiserreich feindlichsten Princips befindet--in den Haenden des Orleanismus--" "Sie glauben," fuhr der Kaiser heftig auf, "dass Graf Daru, dass Buffet mich verrathen koennten--dass sie mit den Orleans conspiriren?" "Nein, Sire," antwortete Clement Duvernois, "das glaube ich nicht. Graf Daru ist ein Ehrenmann und auch Herrn Buffet halte ich dafuer; aber, Sire, diese Maenner, die gewiss, nachdem sie Eurer Majestaet Portefeuille angenommen haben, das Wohl des Kaiserreichs ernstlich erstreben, leben und denken in den Doctrinen des Orleanismus, dass heisst der constitutionellen Theorie, welche das Schattenbild parlamentarischer Repraesentation an die Stelle des wirklichen und eigentlichen Volkslebens setzt und am letzten Ende der Kette, welche sich durch diese Doctrinen Glied fuer Glied bis in das Cabinet Eurer Majestaet fortsetzt, befindet sich die lenkende und leitende Hand der orleanistischen Conspiration. Ohne es zu wollen, ohne klar darueber zu denken, werden Eurer Majestaet Minister von dieser Kette geleitet; blicken Eure Majestaet um sich, die Maenner der orleanistischen Doctrinen herrschen auf allen Gebieten des franzoesischen Staatslebens und unter den Anhaengern der Doctrinen befinden sich jedenfalls auch Anhaenger der Personen. Die Partei des Umsturzes begreift vollkommen den Nutzen, den sie aus solchen Zustaenden zieht. "Eure Majestaet kennen die Verbindung Rocheforts mit der orleanistischen Propaganda;--nicht dass diese Leute jemals das Koenigthum Louis Philippe's wieder herstellen wollten, aber sie benutzen die Agenten jenes Princips als ihre Vorkaempfer. Wenn es so weiter geht wie es bis jetzt gegangen ist, Sire, so wird ein Moment kommen, in welchem die ganze Macht der Regierung in den Haenden der Orleanisten ruht und wenn dann von unten her ein maechtiger Stoss gegen die Staatsautoritaet gewagt wird, so kann es kommen--nach meiner Ueberzeugung wird es kommen, dass die Maschine den Dienst versagt und dass Eure Majestaet auf Ihrer Hoehe einsam und allein dastehen werden. "Ich habe diese Frage," fuhr er fort, "eingehend studirt; die Macht der Orleans ist gross, weit verzweigt und geschickt geleitet; es giebt keinen Ort in Frankreich, in welchem nicht ein Agent dieser Sache sich befindet. Zum grossen Theil sind diese Agenten Besitzer von Buchdruckereien oder Buchhaendler und sie versaeumen keine Gelegenheit, das Vertrauen auf das Kaiserreich zu erschuettern." Der Kaiser stand auf--in zorniger Erregung zitterte sein Gesicht. "Was wollen sie," rief er, "diese Orleans, die fortwaehrend dahin gestrebt haben die bestehenden Gewalten zu stuerzen, und die es nie verstanden haben sich die Herrschaft zu erhalten?--Glauben sie mit ihren schwaechlichen Intriguen dieses Frankreich regieren zu koennen, das einer eisernen Hand unter einem Handschuh von Sammet bedarf?" "Gewiss wuerden sie nicht faehig sein," erwiderte Duvernois, "die Herrschaft fest zu halten, wenn sie je wieder in ihre Haende gelangen sollte, aber gewiss auch sind sie nicht geeignet, die kaiserliche Regierung gegen die Angriffe zu vertheidigen, welche von unten herauf gegen dieselbe gerichtet werden und--verzeihen Eure Majestaet meine Offenheit--in diesem Augenblick liegen fast alle Vertheidigungsmittel des Kaiserreichs in den orleanistischen Haenden und schon erhebt sich an den Grenzen Frankreichs die Candidatur Montpensiers--sollte dieselbe reuessiren, so werden mit veraenderten Personen und unter veraenderten Umstaenden die Zeiten der Beschwoerung von Cellamare sich wiederholen." Der Kaiser setzte sich wieder in seinen Lehnstuhl und blickte finster vor sich nieder. Dann schlug er die Augen gross auf und sah Clement Duvernois mit einem so brennenden und forschenden Blick an, als wolle er in den Tiefen seiner Seele lesen. "Und was kann ich thun?" fragte er. "Was muesste nach Ihrer Ueberzeugung geschehen, um einer solchen Beschwoerung vorzubeugen und um den Schwerpunkt der Regierung wieder in meine Haende--in die Haende meiner Freunde zu legen?" "Nach meiner Meinung," erwiderte Duvernois, "ist der Weg dazu einfach. Wie die Personen dem Princip des Orleanismus folgend in die Regierung eingetreten sind, so wird dieselbe sich wieder vollstaendig nach dem Willen Eurer Majestaet bilden, anstatt der geschiedenen Freunde werden neue erstehen, sobald das Grundprincip des Kaiserreichs wieder zu kraeftiger Geltung kommt und zum Schwerpunkt der Regierung wird. "Ich meine damit," fuhr er fort, als der Kaiser ihn fragend ansah, "dass in diesem Augenblick das System des constitutionellen Doctrinarismus in Eurer Majestaet Regierung massgebend ist; die Minister halten mit den Rednern der Kammer dialektische Uebungen; studiren Gesetzesparagraphen und deren Amendements und vergessen darueber, dass es ausserhalb der Cabinette und ausserhalb der Sitzungssaele der Kammern ein Volk giebt,--ein Volk, welches lebt und athmet, welches nicht aus Marionetten besteht und welches schliesslich eine sehr laute Stimme und sehr kraeftige Arme hat, um, wenn es die Geduld verliert, alle diese Kammerredner zu ueberschreien und eine Regierung, welche die Fuehlung mit ihm verloren hat, zu zertruemmern. Wie unter der Regierung Louis Philippe's die ganze Geschichte Frankreichs sich zusammenfasste in das constitutionelle Schaukelspiel zwischen Thiers und Guizot, wie endlich diese kuenstliche Maschinerie unter dem ersten Hauch einer ernsten Volksbewegung in Atome zerfiel, so laeuft Eurer Majestaet Regierung jetzt Gefahr, sich von dem Boden des realen Volkslebens loszuloesen. "Das Kaiserreich steht," fuhr er immer ernster und lebhafter fort, waehrend Napoleon mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhoerte--"das Kaiserreich steht auf dem Boden des allgemeinen Volkswillens, das ist Napoleonischer Boden; lassen sich Eure Majestaet nicht hinueberlocken auf den Boden des Parlamentarismus, denn jener Boden gehoert der orleanistischen Agitation. "Wenn Eure Majestaet," sprach er nach einer kurzen Pause weiter, "sich fest und entschlossen wieder auf das Princip der Entstehung Ihrer Regierung und Ihrer Dynastie stellen, so werden mit den falschen Grundsaetzen, die jetzt die Autoritaet zersetzen, zugleich auch die Personen verschwinden, welche von diesen Grundsaetzen emporgetragen wurden; gerade auf diesem Gebiet koennen Eure Majestaet die Probe machen, ob Diejenigen, welche Sie in Ihren Rath berufen haben, wirklich feste und unerschuetterlich treue Diener des Kaiserthums und der Napoleonischen Dynastie sind." "Ich verstehe vollkommen," sagte der Kaiser, "und finde in Ihren Gedanken Vieles was mit meinen Ideen uebereinstimmt; doch moechte ich Sie bitten mir auch Ihre Meinung zu sagen ueber die Art und Weise, wie Sie glauben dass Ihre principiellen Anschauungen practisch ausgefuehrt werden koennen. "Sie haben so tief und eingehend ueber den Kern der Fragen nachgedacht, welche die augenblickliche Situation bestimmen, dass ich ueberzeugt bin, Sie werden auch bereits die Mittel erwogen haben, durch welche Sie jene Fragen loesen zu koennen glauben." "Gewiss," erwiderte Clement Duvernois, "habe ich auch darueber meine Gedanken zu ordnen versucht und ich glaube, dass auf eine einfache Weise Eure Majestaet alle Unklarheiten der augenblicklichen Situation beseitigen koennen. Der Fehler dieser Situation," fuhr er fort, waehrend der Kaiser sich vorbeugte und mit gespannter Aufmerksamkeit zuhoerte--"der Fehler dieser Situation liegt darin, dass der Schwerpunkt des ganzen politischen Lebens allmaelig ausschliesslich in die parlamentarischen Koerperschaften und in die Debatten der Kammern verlegt worden ist; nach meiner Ueberzeugung muessen Eure Majestaet diesen Schwerpunkt wieder dahin zurueckverlegen, wo die wahre Macht sich befindet und wo die kaiserliche Regierung und die kaiserliche Dynastie ihre einzig wahre und dauernde Stuetze finden kann, in das Volk selbst. "Es sind viele Aenderungen in der Verfassung und in der Gesetzgebung des Kaiserreichs vorgenommen, Grund genug um das Volk zusammenzuberufen und durch ein Plebiscit alle diese Aenderungen gut heissen zu lassen; ein solches Plebiscit wird dann zugleich auch von Neuem beweisen, dass das ganze Volk noch ebenso wie beim Beginn des Kaiserreichs hinter Eurer Majestaet, Ihrer Regierung und Ihrer Dynastie steht. Vor einer solchen maechtigen Kundgebung der ganzen Nation wird jenes Gaukelspiel parlamentarischen Scheinlebens, in welchem die orleanistische Doctrin ihre Ausfuehrung und die orleanistische Agitation ihren Halt findet, verschwinden." Der Kaiser hob den Kopf empor, seine Augen oeffneten sich gross und weit und ein stolzes und freudiges Laecheln spielte um seine Lippen. "Sie haben Recht, mein Freund," sagte er mit leuchtendem Blick--"Sie haben Recht. Ihr Gedanke ist ebenso einfach als gross und wahr; ich habe neue Stuetzen, sichere Garantien fuer die Zukunft meiner Dynastie und fuer den Thron meines Sohnes gesucht, Sie zeigen mir den Weg, auf dem ich sie allein finden kann; Sie zeigen mir die breite und ewig feste Grundlage meines Reiches, diese Grundlage, welche mein grosser Oheim verlassen hat und von welcher ich ebenfalls im Begriff war mich ablenken zu lassen. Ich danke Ihnen," fuegte er mit unendlich liebenswuerdigem Ausdruck hinzu, "Sie haben mir in dieser Stunde einen grossen Dienst geleistet, Sie haben Klarheit in die Ideen gebracht, die in meinem Geiste hin und her wogten und sobald die Klarheit der Erkenntniss da ist, laesst auch die Entschiedenheit des Handelns nicht auf sich warten. "Ich werde meine Entschluesse ueber die formelle Ausfuehrung des Gedankens, den Sie mir so klar entwickelt haben, zur Reife bringen und den Ministern durch Ollivier mittheilen lassen." "Wenn Eure Majestaet diesen Schritt thun," sprach Clement Duvernois, "so wird sich auch die wahre Stellung der Personen deutlich erkennen lassen; diejenigen Ihrer Raethe, welche wirklich das volksthuemliche Kaiserreich unterstuetzen, staerken und erhalten wollen, werden, wie ich ueberzeugt bin, mit Freuden auf dem Wege vorgehen, den Eure Majestaet beschreiten wollen, diejenigen aber, welche den Doctrinen Ihrer Feinde dienen, werden verschwinden. "Glauben Sie mir, Sire, die Probe wird zur Klarheit fuehren und wenn," fuegte er mit dem Anklang leisen Vorwurfs hinzu, "Eure Majestaet Ihre alten Freunde verloren haben, so werden Sie sich ueberzeugen, dass auf der richtigen und wahrhaft grossen Basis neue und ebenso treue Freunde Ihnen erstehen werden." Der Kaiser streckte Herrn Duvernois mit anmuthiger Bewegung die Hand hin und sprach: "Davon, mein lieber Freund, habe ich mich schon in diesem Augenblick ueberzeugt. Sie haben mir den Beweis gegeben, dass ich noch ueber Hingebung und Vertrauen gebieten kann, Sie haben mir ohne Furcht und Rueckhalt die Wahrheit gesagt. "Doch," fuhr er nach einer kurzen Pause fort, "ich moechte noch ueber einen Punkt Ihre Meinung hoeren. "Sie wissen," sprach er langsam seinen Schnurrbart drehend, "dass das nationale Gefuehl in Frankreich durch die preussischen Siege, durch die Herstellung des maechtigen preussischen Uebergewichts in Deutschland tief verletzt ist; der militairische Ruhm und das militairische Uebergewicht Frankreichs in Europa ist gewissermassen eine Lebensbedingung einer Regierung, welche den Namen Napoleon fuehrt und auf die Traditionen des grossen Kaisers gestuetzt ist. Man raeth mir von vielen Seiten und zwar von Seiten, deren Interesse an meiner Regierung nicht bezweifelt werden kann--die schwuele Luft, welche ueber Europa liegt, durch einen kraeftigen Wetterstrahl zu klaeren und die militairische Stellung des napoleonischen Frankreichs wieder herzustellen." "Man raeth Eurer Majestaet," fiel Clement Duvernois ein, "ganz einfach den Krieg gegen Preussen zu fuehren, diesen uebermaechtig gewordenen Staat in seine Grenzen zurueckzuweisen und der Welt zu zeigen, dass ohne Frankreichs Genehmigung keine Veraenderungen in dem Gleichgewicht Europa's sich vollziehen koennen; man raeth," fuhr er mit erhoehter Stimme fort, "um es mit einem Worte zu sagen, Eurer Majestaet Das jetzt zu thun, was Sie--verzeihen Sie meine Kuehnheit, Sire--unmittelbar nach der Schlacht bei Sadowa haetten thun sollen." Der Kaiser liess die Augenlider herabsinken und sprach mit leiser Stimme: "Und was meinen Sie zu diesem Rath?" "Sire," erwiderte Duvernois, "ich bin Franzose und bin ein treuer Anhaenger der napoleonischen Dynastie--Eure Majestaet koennen also darueber nicht im Zweifel sein, dass meinem Gefuehl der Rath, den man Eurer Majestaet ertheilt hat, in hohem Grade sympathisch ist, mein Herz wuerde aufwallen, mein Blut sich erwaermen, mein patriotischer Stolz sich freudig erheben, wenn ich die Armeen Frankreichs unter den kaiserlichen Adlern zu neuen Siegen ausziehen sehen wuerde und ich verkenne nicht, dass ein maechtiger Erfolg gegen diese an unsern Grenzen sich emporrichtende preussische Macht den Thron Eurer Majestaet immer fester und dauernder in den Sympathieen des ganzen Volkes begruenden wuerde--aber--" "Aber?" fragte der Kaiser gespannt. "Aber zuvor, Sire, moechte ich mir die Frage erlauben, sind Eure Majestaet des Erfolges sicher, ist die Organisation und Schlagfertigkeit der franzoesischen Armee wirklich auf der Hoehe, um einem so furchtbaren Gegner wie Preussen mit der Gewissheit des Sieges entgegentreten zu koennen? Sind Eure Majestaet ferner sicher, Preussen isoliren zu koennen und die Gegner, welche ihm 1866 gegenueber standen, zu einem neuen Kampf bestimmen zu koennen? "Wenn Eure Majestaet ueber diese Punkte voellig klar und sicher sind, dann ist der Krieg ein gutes Mittel, dann wuerde ein grosser Sieg vielleicht besser als alle inneren Massregeln die Schwierigkeiten der Lage beseitigen. Sind aber Eure Majestaet eines solchen Erfolges nicht vollkommen sicher, muessen Sie befuerchten, dass es dem so kuehnen und so geschickten preussischen Staatsmann gelingen koennte, das gesammte Deutschland in einer nationalen Erhebung gegen Frankreich um sich zu versammeln, dann Sire um Gotteswillen keinen Krieg, denn, ich spreche abermals mit der vollkommenen Offenheit eines ergebenen Freundes,--ein ungluecklicher Feldzug, eine Niederlage wuerde die Stellung Frankreichs in Europa fuer lange hinaus untergraben und zugleich im Innern alle Feinde des Kaiserreichs wie der staatlichen Ordnung ueberhaupt entfesseln." "Da liegt es," sagte der Kaiser mit dumpfem Ton. "Waere ich mein Oheim, vermoechte ich es selbst mit der Spitze meines Degens die Armeen Frankreichs zu lenken--ich wuerde mich wahrlich keinen Augenblick besinnen, auf diese einfachste Weise alle Schwierigkeiten zu loesen--aber kann ich das Schicksal meines Hauses, das Schicksal Frankreichs in die Haende meiner Generale legen, welche diesem Gegner noch niemals gegenueber gestanden haben?--Niel ist todt," fuhr er fort, halb zu sich selbst sprechend, "ihm haette ich mit vollem Vertrauen die Fuehrung meiner Armee uebergeben koennen.--Habe ich einen Niel?--Lebt sein Geist noch in den Schoepfungen, die er hervorgerufen? Man sagt mir, dass Alles bereit ist--man sagt mir, dass die franzoesische Armee unueberwindlich sei, aber ein banges Misstrauen erfuellt mich; und wenn es misslaenge--es waere das Ende, ein va banque-Spiel um das Kaiserreich--um Frankreich--ein va banque-Spiel, bei dem man wohl Alles gewinnen, aber auch Alles verlieren kann. "Der Oberst Stoffel," fuhr er fort, "schreibt mir vortreffliche Berichte ueber die preussische Armee-Organisation--es ist nicht genug, dass die franzoesische Armee wohl geruestet sei, sie muss auch in der Tactik und Bewegung jener so wunderbaren Organisation ebenbuertig sein, welche Koenig Wilhelm und die grossen und genialen Interpreten seines Willens geschaffen haben, denn wir duerfen niemals vergessen, dass wir es in diesem Kriege nicht mit den Gegnern von Magenta und von der Krim zu thun haben wuerden, und diesem Grafen Bismarck gegenueber wuerde kein Villa Franca moeglich sein." "Mir genuegt," sagte Clement Duvernois, "was Eure Majestaet mir so eben gesagt haben; wenn in Ihrer Seele," fuhr er fort, "nur der geringste Zweifel lebt, dann Sire, beschwoere ich Eure Majestaet, das Wuerfelspiel des Krieges nicht zu wagen. Ein Sieg koennte niemals so grossen Nutzen bringen, als eine Niederlage Unheil und Verderben anrichten wuerde, und fuer die Machtstellung des kaiserlichen Frankreichs in Europa wuerde der gewaltige Eindruck eines Plebiscits fast dem Siege auf einem Schlachtfeld gleich kommen; auf diesem Wege sind Sie des Erfolges sicher, Sire--deswegen gehen Eure Majestaet diesen Weg und bereiten Sie langsam und vorsichtig eine militairische Aktion fuer die Zukunft vor, denn nicht immer wird ja diese preussische Militairmacht von dem Geiste geleimt werden, der heute an ihrer Spitze steht und es wird frueher oder spaeter die Zeit kommen, in welcher mit der Sicherheit des Erfolges auch das Schwert wieder in die Wagschale geworfen werden kann." Der Kaiser stand auf. "Ich danke Ihnen, mein lieber Duvernois," sagte er, "Sie sind auch in diesem Punkte meinen Ideen begegnet--Sie werden sich ueberzeugen, dass ich diesen Ideen gemaess handeln werde und ich hoffe, dass Sie mich mit Ihrer so gewandten und scharfen Feder unterstuetzen werden. "Ich wuensche und hoffe," fuhr er mit freundlichem Laecheln fort, indem er Duvernois auf die Schulter klopfte, "dass Sie mir dereinst noch naeher treten und mir auf hoeherem und weiterem Gebiet zur Seite stehen werden." Clement Duvernois verneigte sich tief und sprach mit dem Ausdruck stolzer Befriedigung: "Wohin immer Eure Majestaet mich zu stellen fuer gut befinden werden, meine ganze Hingebung, meine ganze Aufopferung und vor Allem meine ganze Aufrichtigkeit werden Ihnen immer gehoeren." Er zog sich langsam zurueck, verneigte sich an der Thuer noch einmal tief vor dem Kaiser, der ihm mit freundlichem Kopfnicken zulaechelte und verliess das Cabinet. "Er hat Recht," sagte Napoleon, in seinen Lehnstuhl zuruecksinkend--"er hat Recht; ich habe nicht mehr zu erkaempfen, sondern zu erhalten; ich darf das grosse Spiel nicht spielen, zu dem man mich draengen moechte und zu dem ich," sagte er mit duesterer Traurigkeit, "nicht mehr die Kraft in mir fuehle." Der Huissier oeffnete die beiden Thuerfluegel und rief: "Ihre Majestaet die Kaiserin!" Napoleon seufzte tief auf, erhob sich und ging seiner Gemahlin entgegen. Drittes Capitel. Ihre Majestaet die Kaiserin Eugenie trat raschen elastischen Schrittes in das Cabinet. Das roethlich blonde Haar der Kaiserin war in reichen Flechten ueber ihrer edlen hochgewoelbten Stirn wie ein natuerliches Diadem zusammengewunden. Das antik klassisch geschnittene Gesicht der Kaiserin, mit dem wunderbar zarten, perlmutterschimmernden Teint zitterte in zorniger Bewegung, ihre grossen dunkelblauen Augen flammten in gluehendem Feuer. Sie trug einen einfachen dunkelgrauen Morgenanzug ohne allen Schmuck und reichte mit einer anmuthigen aber etwas hastigen und unruhigen Bewegung ihrem Gemahl die Hand hin, welche dieser mit ritterlicher Galanterie an seine Lippen fuehrte. "Ich habe so eben," sagte der Kaiser, "recht schmerzlich die Macht der Zeit und des Alters empfunden, aber wenn ich Sie, meine ewig junge und schoene Gemahlin ansehe, moechte ich fast an dieser Macht zweifeln. Warum koennen Sie," fuegte er mit einem leicht wehmuethigen Laecheln hinzu, "Ihr Geheimniss, der Zeit zu trotzen, mir nicht mittheilen? Niemand hat unvergaengliche Jugend noethiger als ein Regent auf dem Thron dieses unruhigen Frankreichs." "Ich hoffe," rief die Kaiserin mit leicht zitternder Stimme, indem sie sich in einen Lehnstuhl warf, "dass Sie jene Jugend und Energie wiederfinden werden, um aller dieser Feinde Herr zu werden, welche sich gegen uns erheben. Es ist dahin gekommen," fuhr sie immer lebhafter fort, "dass man in diesem so leicht beweglichen Paris nicht mehr von dem Kaiser spricht, sondern dass Herr Rochefort, dieser elende Pamphletist, den Mittelpunkt des Interesses bildet. Haben Sie bereits ausfuehrlichere Nachrichten ueber die Unruhen empfangen, welche gestern Abend in der Stadt stattgefunden? "Die Verhaftung dieses Rochefort ist auf recht ungeschickte Weise vorgenommen, sie hat diesen Nichts bedeutenden Menschen noch populaerer gemacht und dazu beigetragen, von Neuem die Tiefen aufzuwuehlen und den Hass gegen die Regierung zu schueren." "Ich habe gehoert," erwiderte der Kaiser ruhig, "dass einige Unruhen stattgefunden haben, indessen scheint mir das nicht von Bedeutung gewesen zu sein; ausfuehrliche Berichte habe ich noch nicht erhalten." "Schlimm genug," rief die Kaiserin, "dass man Ihnen das noch nicht erzaehlt hat; es scheint, dass in Ihrer Umgebung eine gewisse Neigung vorherrscht, Ihnen Alles im rosigsten Licht darzustellen. "Statt Rochefort," fuhr sie fort, "in aller Stille abzufuehren, statt ihn einfach verschwinden zu lassen, hat man ihn mitten aus einer aufgeregten Menge herausgenommen und ihm Gelegenheit gegeben, eine Maertyrer-Rolle zu spielen; in der ganzen Stadt herrscht, wie man mir erzaehlt, eine sehr bedenkliche Aufregung." Der Kaiser laechelte. "Wenn Sie meiner Umgebung vorwerfen, Eugenie," sagte er, "dass man mir die Lage und die Ereignisse des Tages zu guenstig darstellt, so scheint bei Ihnen das Gegentheil stattzufinden. Ihnen gegenueber scheint man kleine unbedeutende Dinge zu grossen Erschuetterungen anschwellen zu lassen. "Doch hoeren wir," sagte er mit artiger Verbeugung gegen seine Gemahlin, "den genauen Bericht." Er trat zu der Portiere, welche die Thuer zu dem Zimmer seines Geheimsecretairs maskirte und nach kurzer Zeit trat auf seinen Ruf Herr Pietri, ein noch junger schlanker Mann mit blassem intelligentem Gesicht, mit einem kleinen Schnurrbart und Knebelbart und von der Stirn zurueckgestrichenem Haar in das Cabinet. Herr Pietri verneigte sich tief vor der Kaiserin, welche mit leichtem Kopfnicken seinen Gruss erwiderte und blieb schweigend stehen, die Anrede des Kaisers erwartend. "Ist ein genauer Bericht ueber die Ereignisse des gestrigen Abends und der Verhaftung Rocheforts eingegangen?" fragte Napoleon. "Zu Befehl, Sire," erwiderte Herr Pietri "Die Ruhestoerungen sind nicht ganz unbedeutend gewesen, doch scheint in diesem Augenblick Alles beendet." "Wie hat man Rochefort verhaftet?" fragte der Kaiser, indem er sich neben seine Gemahlin in einen Fauteuil setzte. "Man hat gestern Abend um acht Uhr, Sire," sprach Herr Pietri, "in der Rue des Flandres Rochefort in dem Augenblicke arretirt, als er in das dortige Versammlungslocal der radicalen Partei eintreten wollte; am Eingange des Saales standen zahlreiche Personen, welche auf die Aufforderung von Flourens Miene machten, sich den Polizeiagenten gewaltsam zu widersetzen. Rochefort forderte sie jedoch auf sich ruhig zu verhalten und stieg ohne Widerstand mit den Beamten in den Wagen, um nach dem Gefaengniss von St. Pelagie gefuehrt zu werden. Die im Innern des Saales tagende Versammlung wurde zugleich aufgeloest, wobei es zu heftigen Scenen kam, man insultirte den Polizeibeamten, welcher das Aufloesungsdecret verlas und vertheilte sich dann in heftiger Bewegung und unter lautem Tumult nach verschiedenen Seiten. Es kam in der Rue Aboukir, im Faubourg du Temple, namentlich aber in Belleville zu Volksansammlungen und lebhaften Demonstrationen; um Mitternacht wurden einige Detachements der Garde de Paris und Truppen nach Belleville abgesandt; daselbst war eine Barrikade gebaut, welche mit den Waffen in der Hand genommen wurde; es sind auf beiden Seiten schwere Verwundungen vorgekommen, bereits um Mitternacht sind zweihundert Gefangene nach der Praefectur gebracht--auch an einigen andern Orten wurden Versuche zum Barrikadenbau gemacht, aber durch das Einschreiten der Truppen sofort vereitelt. Gegen Mitternacht zogen grosse Haufen von Arbeitern nach der Fabrik Lefaucheur in der Rue Lafayette, pluenderten dieselbe und nahmen ungefaehr dreihundert Revolver und fuenfzig Gewehre mit sich fort. Die Boulevards waren bis gegen Morgen sehr belebt, verschiedene Laternen sind zerbrochen, verschiedene Kioske umgeworfen, doch ist jetzt Alles beendet." "Sie sehen," sagte die Kaiserin, "dass die Sache ernst ist; wenn man erst den Anfang hat machen koennen, ungestraft die Gewehrfabriken zu pluendern, wenn auf diese Weise die Aufruehrer in den Besitz von vortrefflichen Waffen kommen, so laesst sich gar nicht berechnen, welche Dimensionen eine solche Bewegung annehmen kann." Der Kaiser schuettelte mit missmuthigem Ausdruck den Kopf. "Es scheint allerdings, mein lieber Pietri, dass man bei der Verhaftung Rocheforts recht ungeschickt verfahren ist. Warum hat man ihn nicht am Ausgang des Corps legislativ arretirt oder in der Nacht aus seiner Wohnung geholt? Der ungeeignetste Ort ihn zu fassen war jedenfalls eine grosse Volksversammlung, von welcher aus sich naturgemaess die unruhige Bewegung ueber ganz Paris verbreiten musste. Schreiben Sie sogleich an Ollivier und verlangen Sie Auskunft darueber, warum man diesen nach meiner Ansicht ungeeignetsten Weg eingeschlagen hat?" Pietri verneigte sich. "Ich bedaure sehr," sagte der Kaiser, sich zu seiner Gemahlin wendend, "dass ich mich ueberhaupt habe bestimmen lassen, meine Genehmigung zu dem Strafverfahren und zur Verhaftung Rocheforts zu geben; man hat dadurch diesen an sich so unbedeutenden Menschen gross und einflussreich gemacht. Schon das Verbot der 'Laterne' war ein Fehler; dieses an sich ziemlich geist- und witzlose Machwerk waere von selbst untergegangen, wenn man sich nicht darum gekuemmert haette." "So haetten Sie lieber ruhig zusehen wollen," rief die Kaiserin mit flammenden Augen, "dass elende Pamphletisten nicht nur die Autoritaet der Regierung angreifen, sondern sogar die Personen nicht schonen dass sie es wagen, sogar Sie selbst, mich Ihre Gemahlin und Ihren Sohn mit Schmutz zu bewerfen? Wenn so etwas in Paris ungestraft geschehen darf, wie soll man in dem uebrigen Frankreich, wie soll man im Auslande noch an die Macht der kaiserlichen Regierung glauben? "Und in der That," fuegte sie bitter hinzu, "man faengt bereits an, diesen Glauben zu verlieren." Der Kaiser neigte leicht das Haupt gegen Pietri: "Haben Sie die Guete," sagte er, "den Brief an Ollivier sogleich abgehen zu lassen." Pietri entfernte sich mit tiefer Verbeugung. "Sie muessen einen ernsten Entschluss fassen, Louis," sagte die Kaiserin. "Die Zustaende koennen unmoeglich so weiter bestehen. Es ist eine Zuegellosigkeit, eine Frechheit bei den Agitatoren und den von ihnen geleiteten unteren Volksklassen entstanden, welche stets wachsen muessen und uns endlich verderben werden, wenn nicht schleunigst Einhalt gethan wird." "Aber Sie sehen ja," sagte der Kaiser, "dass mit aller Energie vorgegangen worden ist; hat man auch etwas ungeschickt gehandelt, so ist doch die Autoritaet der Regierung mit leichter Muehe Sieger geblieben." "Sie ist es heute geblieben," sagte die Kaiserin, "sie wird es morgen noch bleiben, aber der Zeitpunkt kann vielleicht bald kommen, in welchem man nicht mehr Herr ueber die Bewegung sein wird, denn wir befinden uns dieser Bewegung gegenueber in der Defensive und das ist eine schlimme Position; es muss mit einem grossen, gewaltigen und kuehnen Schlage mit dem Allen ein Ende gemacht werden. Sie muessen die Verhaeltnisse mit fester und entschlossener Hand da anfassen, wo der Schluessel zu all dieser Unsicherheit und all diesen schwankenden Bewegungen liegt--" --"Und dieser Schluessel liegt?" fragte Napoleon, mit der Hand ueber seinen Knebelbart streichend. "Er liegt in dem tiefen Gefuehl," rief die Kaiserin, "welches ganz Frankreich durchzieht, und welches Ihre besten und treusten Freunde erfuellt, dass die Macht und das Ansehen des Kaiserreichs, dass Ihr persoenliches Prestige in Europa schwer erschuettert ist, ja taeglich von Neuem verhoehnt wird durch diese taeglich anmassender auftretende preussische Macht." Ein Zug schmerzlicher Ermuedung erschien auf dem Gesicht des Kaisers; er zuckte fast unmerklich die Achsel und sagte: "Aber glauben denn die Partisane des Krieges, welche"--fuegte er mit einer ganz feinen Nueance leichter Ironie hinzu--"es so vortrefflich verstehen, Ihnen ihre Ideen einzufloessen,--glauben sie denn, dass ich de but en blanc an die Grenzen marschiren und Preussen den Krieg erklaeren koennte? Dazu gehoeren doch vor Allem sehr ernste militairische Vorkehrungen dazu gehoert denn doch auch ein Kriegsgrund, welcher ebenfalls mit Geschicklichkeit vorbereitet werden muss."-- "Zu den militairischen Vorbereitungen," sagte die Kaiserin, "sollten Sie, wie ich glaube, seit der Schlacht bei Sadowa Zeit genug gehabt haben; es ist allerdings ein grosses Unglueck, dass der vortreffliche Niel gestorben ist, aber bereits vor mehr als einem Jahr erklaerte er unsere Armee fuer vollkommen schlagfertig--" "Seit jener Zeit ist eben mehr als ein Jahr verflossen," fiel der Kaiser ruhig ein, "und in diesem Zeitraum hat sich," sagte er seufzend, "die Leitung der Armee leider nicht mehr in Niels Haenden befunden."-- "Und was den Kriegsgrund betrifft," sprach die Kaiserin lebhaft weiter, ohne die Bemerkungen ihres Gemahls zu beachten, "so liegt Ihnen derselbe ja voellig fertig zur Hand. Der Prager Frieden ist unter der Garantie Frankreichs geschlossen worden und Preussen verletzt taeglich die Bestimmungen jenes Friedensvertrages. Man giebt den armen Daenen ihr Recht nicht, welche Frankreich vertraut haben und auf Frankreich hoffen und in Sueddeutschland ist die Stimmung eine tief erbitterte; taeglich werden dort Versuche gemacht, in die durch den Prager Frieden garantirte Selbststaendigkeit der Staaten einzugreifen; auch dort erwartet man nur eine kraeftige Action Frankreichs, um diese gewaltsamen Schoepfungen von 1866 wieder zu zertruemmern." "Sind Sie so genau ueber die Stimmung in Sueddeutschland unterrichtet?" fragte der Kaiser. "Ich habe nicht ein so absolutes Vertrauen auf den Beistand, den wir dort finden koennen." "Die ganze katholische Kirche in Bayern," sprach die Kaiserin weiter, "ist von tiefem Hass gegen Preussen erfuellt und wenn Frankreich fuer die genaue Erfuellung des Prager Friedens eintreten wuerde, so wuerden alle jene Besiegten von 1866, bei denen noch die Traditionen aus der Zeit Napoleons I. maechtig sind, Frankreich als seinen Retter begruessen." Der Kaiser schuettelte bedenklich den Kopf und schwieg einige Augenblicke in Gedanken versunken, waehrend die Kaiserin ihn forschend und ungeduldig ansah. "Ich verkenne nicht," sagte er dann, "dass eine geschickte Behandlung der Verhaeltnisse, welche der Prager Frieden geschaffen, uns einen guten Grund zum Kriege bieten kann, bei welchem es sich auch vermeiden laesst das deutsche Nationalgefuehl auf die Seite unserer Gegner zu bringen. Doch das Alles verlangt ruhige und ernste Erwaegung, da wir vor Allem vermeiden muessen, vor den Augen des uebrigen Europa als die Stoerer des Weltfriedens dazustehen und zu diesen Vorbereitungen scheint mir jetzt nicht der geeignete Augenblick." "So wollen Sie warten," rief die Kaiserin, "bis die Wogen der inneren Unruhen immer uebermaechtiger heranschwellen?--bis endlich die ganze Welt sagen wird, Sie machten den Krieg nur, um einen Ausweg zu suchen aus den Verlegenheiten, in welche wir immer tiefer versinken?"-- "Um den Krieg vorzubereiten," sagte Napoleon, seinem inneren Gedankengange folgend--"muss ich mit Maennern umgeben sein, welche den Krieg wollen.--Glauben Sie," fragte er, die Augen gross aufschlagend und seine Gemahlin fest anblickend--"glauben Sie, dass Daru der geeignete Mann ist, um den Kriegsfall diplomatisch vorzubereiten? Halten Sie Ollivier fuer geeignet, den Krieg im Lande selbst populaer zu machen--diese Maenner der parlamentarischen Doctrin, deren Lebensbedingung der Friede quand meme ist?"-- "Daru?" rief die Kaiserin. "Warum ist Daru Ihr auswaertiger Minister? Warum haben Sie diesen mit den Orleans so eng verbundenen Mann neben sich, der, obgleich er den Namen des grossen Kaisers traegt, doch keinen von den Instincten in sich hat, welche einen Minister des napoleonischen Frankreichs erfuellen muessen. "Und Ollivier," sprach sie mit einem feinen Laecheln von unbeschreiblichem Ausdruck--"nun, Ollivier wird Ihnen vortreffliche Reden voll Eloquenz und Begeisterung fuer den Krieg halten, wenn Sie ihn nur richtig zu nehmen wissen--oder wenn Sie ihn mir ueberlassen wollen, und wenn dieser Mann des Friedens den Krieg predigt--so wird sich doch ganz Frankreich ueberzeugen, dass der Krieg eine Nothwendigkeit ist." "Und wenn Graf Daru abtraete?" sagte der Kaiser--"wen habe ich, um an seine Stelle zu setzen, wo finde ich den Mann, der die Kuehnheit hat, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen und zugleich das Ansehen, um Frankreich mit sich fortzureissen?" "Ich glaube," sagte die Kaiserin, "dass ein solcher Mann nicht zu schwer zu finden sein wuerde; ich wuerde um die Wahl nicht in Verlegenheit sein und Sie haben ja selbst schon frueher an Denjenigen gedacht, welcher mir im Sinne liegt--" Der Kaiser blickte fragend zu seiner Gemahlin hinueber. "Grammont," sagte diese, "ist tief durchdrungen von der Ueberzeugung, dass nur ein grosser nationaler Krieg den Fehler von 1866 wieder gut machen und Frankreich wiederum auf seine alte Hoehe heben kann. Grammont kennt auf das Genaueste die Verhaeltnisse in Oesterreich, der einzigen Macht, auf welche wir direct oder indirect bei unserer Action rechnen koennen; Grammont ist aufrichtig und ohne Rueckhalt dem Kaiserreich und unserer Dynastie ergeben und sein Name hat einen guten Klang im Lande, da er mit allen grossen ruhmreichen Epochen der Vorzeit verknuepft ist. Grammont ist ein ritterlicher und fester Charakter--warum lassen Sie Grammont in Wien? Setzen Sie Grammont an Daru's Stelle und Alles wird sich von selbst machen." "Sie koennten Recht haben," sagte Napoleon, indem er seinen Blick vollstaendig unter den herabsinkenden Augenlidern verschleierte--"lassen Sie mich darueber nachdenken--" "Nur darf dieses Nachdenken," rief die Kaiserin aufstehend, "nicht zu lange dauern. Ich bitte Sie Louis," rief sie, nahe an ihn herantretend, indem sie den Arm auf seine Schulter legte und ihn mit fast zaertlichen Blicken ansah--"ich bitte Sie, denken Sie, daran, dass es sich nicht nur um unser Ansehen und unsere Macht handelt, sondern dass auch die Zukunft unseres Sohnes, unseres einzigen Kindes in Frage steht.--Die Armee, diese edle franzoesische Armee ist unsere einzige Stuetze wie sie einst die seinige sein wird--und die Armee beginnt unzufrieden zu werden ueber die lange Unthaetigkeit, ueber die untergeordnete Stellung, zu welcher das militairische Frankreich in Europa herabgedrueckt wird. Unser Kind ist der Armee noch fremd, aber er ist gross genug, um in einem nationalen Feldzuge in der Mitte der Truppen hinauszuziehen. "Denken Sie, dass die franzoesische Armee in grossen, siegreichen Schlachten unser theures Kind in ihren Reihen sieht, dass sein Name sich verknuepft mit ihrem Ruhm und ihren Lorbeeren, dann,"--rief sie, indem ihr Auge begeistert aufleuchtete, "dann wird keine Bewegung im Innern, kein Rochefort, kein Flourens im Stande sein, ihm das Erbe streitig zu machen, das Sie fuer ihn durch die Arbeit eines halben Lebens geschaffen haben." Der Kaiser drueckte seine Lippen auf die marmorweisse Stirn seiner Gemahlin und strich langsam mit der Hand ueber ihr weiches, goldschimmerndes Haar.-- "Ich danke Ihnen, Eugenie," sagte er sanft und innig, "dass Sie in meine alternde Seele das Feuer und die Kraft der Jugend giessen. Lassen Sie mich alle Fragen der Situation ruhig pruefen und ueberlegen und glauben Sie, dass der Funke, den Sie in diesem Augenblick in mir entzuendet, nicht erloeschen wird." Sie lehnte den schoenen Kopf an seine Schulter und blieb einige Augenblicke schweigend neben ihm stehen. "Ich will jetzt," sagte Napoleon dann, "ein wenig ausfahren und die Boulevards besuchen; man soll nicht sagen, dass ich im Alter gelernt habe, mich vor dem Aufruhr und der Gefahr zu fuerchten--ich will festen Blickes diesem Volk von Paris in's Auge sehen; man soll erkennen, dass ich noch Vertrauen auf meine Kraft und auf meinen Stern habe." "Ich weiss es, Louis," sagte die Kaiserin, ihm die Hand drueckend, "dass die Furcht in Ihrer Seele keinen Platz hat und ich bitte Gott, dass es mir vergoennt sein moege, Sie noch einmal von siegreichen Schlachtfeldern lorbeergekroent zurueckkehren zu sehen." Der Kaiser geleitete sie bis zur Thuere und kuesste sie nochmals innig auf die Stirn. "Meine Gemahlin moechte ein wenig die Leitung in die Hand nehmen, wie es scheint," sagte er, als die Kaiserin das Cabinet verlassen hatte, langsam auf- und niederschreitend. "Sie hat bereits diesen Ollivier, der eifrigst Alles thut, was sie will. Sie hat Recht, er wuerde auch den Krieg predigen, wie er schliesslich Alles vertheidigen wuerde, was ihm Gelegenheit giebt eine schoene Rede zu halten und seinem Ehrgeiz und seiner Eitelkeit schmeicheln zu lassen. Nun will sie auch noch Grammont.--Grammont ist kein Ollivier, er ist ein edler und ritterlicher Charakter, aber sein Geist hastet an der Oberflaeche der Dinge. Es ist ihm unmoeglich, sich in die Ursachen und Consequenzen der Ereignisse zu vertiefen. Grammont und Ollivier wuerden den Krieg machen, das ist wahr.--Sie wuerden auch in einem augenblicklichen Elan den Nationalgeist mit sich fortreissen. Aber wohin wuerde dieser Krieg fuehren? Wuerden jene Maenner im Stande sein, im Falle des Ungluecks den Widerstand zu organisiren, die Nation um mich fest zu halten?-- "Nein, nein," sagte er mit fest entschlossener Stimme, "noch sehe ich die augenblickliche Nothwendigkeit einer kriegerischen Action nicht ein.--Sie wird freilich taeglich naeher an mich herantreten," sprach er seufzend, "und entziehen werde ich mich ihr nicht koennen. Dann aber soll wenigstens die Leitung der Angelegenheiten in festen und entschlossenen Haenden liegen.-- "Ich will mit Drouyn de L'huys sprechen.--Er hat auch gewisse Beziehungen zwischen den Orleans," sprach er leise in tiefen Gedanken, "aber immerhin ist er ein ehrlicher, fester, entschiedener Mann, der es versteht das durchzufuehren, was er beginnt--Eugenie liebt ihn nicht, ich weiss es. Aber auf persoenliche Neigung oder Abneigung meiner Gemahlin kann es in einer so ernsten Frage, bei welcher die ganze Existenz des Landes auf dem Spiel steht, nicht ankommend." Er bewegte die Glocke. "Ich will ausfahren," sprach er zu dem eintretenden Kammerdiener.--"Grosse Attelage, offene Kalesche! Ist der General Fave da?" "Der General wartet im Vorzimmer." "Fuehren Sie ihn herein!" Der Kammerdiener oeffnete die Thuer. Der General Fave im schwarzen Morgenanzuge trat ein. Der Kaiser liess sich seinen Hut und einen warm gefuetterten Morgenanzug reichen, nahm ein spanisches Rohr und stieg, sich leicht auf den Arm des Generals stuetzend, die Treppe hinab. Die offene Kalesche mit dem schwarzen Viergespann fuhr unter das Zeltdach des Einganges. Langsam und etwas schwerfaellig mit leichtem schmerzlichem Zucken in seinem Gesicht stieg der Kaiser in den Wagen und setzte sich vorsichtig nieder. General Fave nahm zu seiner Seite Platz.--Die Piqueurs sprengten voran und schnell fuhr die kaiserliche Equipage aus dem Ehrenhof der Tuilerien. Als der Kaiser an den Anfang der Boulevards bei der Madeleinekirche gekommen war, befahl er langsam zu fahren. Schnaubend und ungeduldig gingen die edlen Thiere des kaiserlichen Gespanns im Schritt ueber die Mitte der grossen Boulevards hin, waehrend die Piqueurs etwa dreissig Schritt vorausrittten. Die Voruebergehenden blieben stehen. Es umgab eine dichte Menschenmasse den kaiserlichen Wagen. Die Menge befand sich in der unmittelbaren Naehe des Kaisers. Die sergeants de ville, die den Dienst auf den Boulevards thaten, wollten die Herandraengenden zurueckweisen. "Laissez approcher!" sagte Napoleon mit lauter Stimme, indem er zugleich den Hut erhob und die Menge mit freundlichem Laecheln begruesste. Erst einzelne Stimmen, dann ein tausendstimmiger Ruf antwortete mit lautem: "Vive l'Empereur!" auf diesen Gruss. Ein einfach gekleideter Mann aus dem Volke stieg auf den Tritt des kaiserlichen Wagens, schwenkte den Hut in der Luft und rief mit laut schallendem Ton: "Es lebe der Kaiser, die Kaiserin, der kaiserliche Prinz. Nieder mit den Meuterern!" Diese Rufe wiederholten sich weit hin ueber die Boulevards. Langsam fuhr der Kaiser die ganze Linie hinunter, immer begleitet von einer stets anwachsenden und immer lauter rufenden Menge, immer mit der Hand und freundlichem Kopfnicken gruessend. "Sehen Sie," sagte er laechelnd, sich zum General Fave wendend, "alle diese Unruhen haben Nichts zu bedeuten. Jeder Mann konnte mich hier mit einem Dolch oder mit einer Kugel erreichen, und alle diese Leute gruessen mich und rufen mir ihre Anhaenglichkeit und Treue entgegen. Man muss diesem Geist der Revolution nur ruhig in's Auge sehen, dann verliert er sofort seine grossen und gefaehrlichen Dimensionen." Der Wagen war am Ende der Boulevards angekommen. "Nach Belleville!" rief Napoleon. Er gruesste noch einmal mit dem Hute, noch einmal brach die ganze versammelte Menschenmenge in ein lautes, volltoenendes "Vive l'Empereur!" aus und in raschem Trabe fuhr der Wagen nach jenen von der arbeitenden Bevoelkerung der Residenz bewohnten Gegenden. "Fuerchten Eure Majestaet nicht," sagte der General Fave, "dass in jenem unruhigsten Viertel von Paris irgend etwas Feindliches zu besorgen waere? Wir haben keine Bedeckung, nicht einmal Waffen bei uns," fuegte er mit etwas aengstlicher Miene hinzu. "Wer die Gefahr fuerchtet, wird ihr unterliegen," antwortete der Kaiser, stolz den Kopf erhebend. "Lassen Sie uns ruhig diese Spazierfahrt machen. Wir haben Nichts zu besorgen und Frankreich muss erkennen, dass ich mich noch als seinen Herrn fuehle." Man war in Belleville angekommen. Abgebrochene Laternenstangen, zerschlagene Fenster, stellenweis zerstoerte Trottoirs zeugten noch von der Unruhe der letzten Nacht. Wenige Menschen gingen auf der Strasse, an den Thueren der Haeuser standen meist Frauen und Kinder, welche neugierig der kaiserlichen Equipage nachsahen; hinter denselben erblickte man finstere Gesichter mit verworrenem Haar und struppigen Baerten, welche ihre duestern Blicke mit dem Ausdruck finstern Hasses auf den kaiserlichen Wagen richteten. Alles verhielt sich schweigend, kein gruessender Ruf ertoente, aber auch kein Laut feindlicher Kundgebung liess sich hoeren. Man kam an eine in der Nacht vorher errichtete und von den Truppen genommene Barrikade. Einige Arbeiter in Blousen waren unter der Aufsicht von sergeants de ville beschaeftigt, die Truemmer derselben hinweg zu raeumen, welche aus dem Holz von umgeworfenen Kiosken, zerbrochenen Fiakern und Asphaltstuecken des Trottoirs bestanden. Der Kaiser liess halten. An den Fenstern des naechsten Hauses erschienen in grosser Anzahl jene duesteren, feindlich blickenden Gesichter, welche man in dem eleganten glaenzenden Theil von Paris nur dann erblickt, wenn die aufgaehrenden Wogen der Revolution aus den Tiefen heraufdringen. Der Kaiser befragte den Fuehrer der sergeants de ville, welcher in dienstlicher Haltung an den Wagenschlag herangetreten war, genau nach allen Details der naechtlichen Vorgaenge, dann liess er den Blick ueber die Fenster hinschweifen. Kleine Gruppen von Menschen waren auf der Strasse stehen geblieben. Napoleon gruesste artig mit der Hand hinueber, aber kein Ruf antwortete ihm. Alle diese Maenner und Frauen blickten finster und unbeweglich vor sich hin. "Vorwaerts!" befahl Napoleon. Die Pferde zogen an, und langsam bewegte sich der Wagen ueber die noch nicht ganz fortgeraeumten Truemmer der Barrikaden. Da ertoente aus einem der umliegenden Haeuser wie aus der Luft herklingend eine tiefe, rauhe und heiser toenende Stimme. "Fahre hin, blutiger Caesar! Das Volk, das Du gemordet, erwartet Dich vor dem Richterstuhl der Geschichte!" Der Kaiser zuckte zusammen. "Halt!" rief er. Sein Wagen stand unbeweglich. Keine Bewegung zeigte sich an den Fenstern. Die verschiedenen Menschengruppen auf der Strasse standen starr und still. Niemand schien die Worte gehoert zu haben, welche eben so schauerlich durch die Luft klangen. Der Kaiser liess den brennenden Blick seiner grossen duester aufleuchtenden Augen rings umher schweifen. Die sergeants de ville wollten auf die Menschengruppen nach der Seite hin, von welcher man jene Stimme vernommen hatte, zueilen. "Man soll keine Nachforschungen anstellen," sagte Napoleon kalt und ruhig. Dann legte er sich in den Wagen zurueck, blickte einige Minuten auf die Truemmer der Barrikaden, gruesste nochmals mit wuerdiger Handbewegung die an der Seite der Strasse stehenden Gruppen und befahl endlich, weiter zu fahren. Schweigend und in Gedanken versunken fuhr der Kaiser ueber die aeussern Boulevards durch den Parc de Monceau nach der rue Francois premier. An der Ecke dieser Strasse hielt der Kutscher, welcher von dem General Fave seine Instructionen erhalten hatte, vor einem grossen Hause die Pferde an. Das Thor des Hauses oeffnete sich, Lakaien eilten heraus und traten dienstfertig an den Schlag des kaiserlichen Wagens. "Ist Herr Drouyn de L'huys zu Hause?" fragte der Kaiser. "Zu Befehl, Sire." Napoleon stieg aus und trat, auf den Arm des Generals gestuetzt, durch das grosse Eingangsthor in einen innern elegant gepflasterten Hof, an dessen Langseite eine breite Steintreppe von vier bis fuenf Stufen in das Innere des Hotels fuehrte. In dem Vestibule des Hauses erschien schnell herbeieilend der fruehere langjaehrige Minister der auswaertigen Angelegenheiten, jetziger Senator und Mitglied des Geheimen Raths, Herr Drouyn de L'huys. Seine Gestalt war etwas voller, seine Bewegungen etwas schwerfaelliger geworden; sein kurzes Haar und sein Backenbart erschienen fast weiss, aber der Ausdruck und die Farbe seines kraeftigen, etwas phlegmatischen Gesichts zeigten noch immer eine fast jugendliche Frische, und die kleinen, klaren, grauen Augen blickten lebhaft und geistvoll unter den starken Augenbrauen hervor. Herr Drouyn de L'huys verneigte sich mit wuerdevoller Ruhe vor dem Kaiser und sprach mit seiner vollen und klaren aber etwas leisen Stimme: "Ich bitte um Verzeihung, Sire, dass ich Eure Majestaet nicht schon am Wagenschlag empfangen habe. Aber ich bin durch die Ehre Ihres Besuchs so vollstaendig ueberrascht, dass ich kaum die Zeit hatte, Ihnen entgegen zu eilen." "Ich sehne mich Sie zu sehen, mein lieber Herr Drouyn de L'huys," sagte der Kaiser, seinem fruehern Minister die Hand reichend, die dieser ehrerbietig ergriff. "Da Sie sich selten in die Tuilerien machen, so muss ich wohl zu Ihnen kommen." Herr Drouyn de L'huys war dem Kaiser vorgeschritten. Sie traten in den grossen Empfangssalon. "Madame Drouyn de L'huys wird sogleich bereit sein, vor Eurer Majestaet zu erscheinen, sie ist noch mit ihrer Toilette beschaeftigt." "Ich bitte Sie," sagte der Kaiser, "Ihre Gemahlin nicht zu derangiren. Lassen Sie uns in Ihr Cabinet gehen, ich moechte ein wenig mit Ihnen plaudern. Der General wird die Guete haben mich hier zu erwarten." Drouyn de L'huys verneigte sich und fuehrte den Kaiser durch ein kleines Vorgemach in sein Arbeitszimmer, dessen Fenster durch Vorhaenge von dunkelgruener Seide zur Haelfte verhuellt waren und dessen ganze Ausstattung in einem grossen Tisch von Eichenholz, einigen grossen Fauteuils und auf verschiedenen Consolen aufgestellten Antiken, Kunstwerken von Marmor oder Bronce bestanden. In einem schoen gearbeiteten Kamin brannte ein helles Feuer. Napoleon legte seinen Ueberrock ab und liess sich, indem er froestelnd zusammenschauerte, in einen tiefen Lehnstuhl vor dem Kamin nieder. Drouyn de L'huys nahm auf seine Einladung neben ihm Platz und erwartete schweigend die Anrede seines Souverains, der einige Augenblicke in sinnendem Nachdenken auf die zuengelnde Flamme blickte. "Die Lage ist ernst, mein lieber Herr Drouyn de L'huys," sagte Napoleon endlich, indem er, wie einen raschen Entschluss fassend, sofort auf den Gegenstand einging, der seine Gedanken beschaeftigte,--"die Lage ist ernst, und ich muss darauf denken, sie zu verbessern. Denn," fuegte er halb scherzend, halb wehmuethig hinzu, "die Zeit respectirt die Kronen und den Purpur nicht. Ich werde alt und immer aelter und bevor ich aus diesem irdischen Leben scheide, muss ich meine Angelegenheiten ordnen und mein Haus bestellen. Mein Haus aber ist Frankreich. Sie sind so lange der Hueter dieses Hauses gewesen, dass ich in dem ernsten Augenblick, in dem wir uns jetzt befinden, bei Niemandem besser Rath finden kann als bei Ihnen." Drouyn de L'huys verneigte sich schweigend, keine Miene seines Gesichts zeigte die geringste Bewegung; in seinen Zuegen lag nur die ehrerbietige Aufmerksamkeit auf das, was der Kaiser ihm sagen wuerde, aber keine Neugierde, keine Spannung es zu vernehmen. "Sie haben," sagte der Kaiser zoegernd und eine leichte Verlegenheit ueberwindend, "Sie haben im Jahre 1866 mit patriotischem Eifer und begeisterter Ueberzeugung die Ansicht vertheidigt, dass ich den Thatsachen gegenueber, welche sich in Deutschland durch die Schlacht von Sadowa vollzogen haben, mein Veto einlegen solle, um die Constituirung der neuen preussischen Macht zu verhindern oder fuer Frankreich diejenigen Compensationen zu erreichen, welche uns in den Stand gesetzt haetten, auch jener Macht gegenueber unsere Stellung zu behaupten." Drouyn de L'huys neigte betaetigend das Haupt. "Ich erinnere mich, Sire," sagte er, "dass jene Ansicht, welche auch heute noch die meinige ist, damals unausfuehrbar war, weil Eurer Majestaet Marschaelle erklaerten, dass eine militairische Action in jenem Augenblick unmoeglich oder hoechst bedenklich sei. Ich bin auch heute noch der Ansicht," fuhr er mit fester Stimme fort, "dass damals eine wirklich militairische Action garnicht moeglich geworden waere, dass die franzoesischen Fahnen am Rhein allein genuegt haetten, um unmittelbare Annahme der Bedingungen zu erwirken, welche man spaeter, nachdem der Frieden von Prag geschlossen war, so schnoede zurueckgewiesen hat." "Sie sind damals," sprach der Kaiser mit sanfter trauriger Stimme, "von den Geschaeften zurueckgetreten, weil ich Ihrer Ansicht nicht beipflichten konnte. Sie zuernen mir, vielleicht haben Sie Recht--vielleicht habe ich damals Unrecht gehabt."-- "Ich wage nicht, Eurer Majestaet Handlungen zu beurtheilen," erwiderte Drouyn de L'huys, "und erlaube mir nicht Eurer Majestaet zu zuernen, weil Sie nach Ihrem eigenen Ermessen Frankreich regieren, aber Eure Majestaet wissen auch, dass ich nur dann Ihr Minister sein kann, wenn die Politik, die Sie befehlen, meiner eigenen Ueberzeugung entspricht. Dass ich mich damals zurueckgezogen habe, dass ich mich seither von dem politischen Leben vollkommen fern halte, werden Eure Majestaet natuerlich finden und mir deshalb Ihre Gnade und Ihr Vertrauen nicht entziehen." "Wie wenig mein Vertrauen zu Ihnen erschuettert ist," sagte Napoleon, "sehen Sie daraus, dass ich in diesem Augenblick zu Ihnen komme, um Ihren Rath zu hoeren,--den Rath eines Freundes, eines bewaehrten Freundes, eines der wenigen Freunde, die mir noch bleiben," sagte er tief seufzend--"denn ich habe viel verloren." "Mein Rath, Sire," erwiderte Drouyn de L'huys, "wenn Eure Majestaet auf denselben Werth legen, wird Ihnen in jedem Augenblick zu Gebote stehen, und der Privatmann wird Ihnen mit derselben Ergebenheit und Aufrichtigkeit die Wahrheit oder das, was er fuer die Wahrheit haelt, sagen, als es Ihr Minister gethan hat." "Irgend ein grosser Staatsmann," sagte der Kaiser, immerfort in die Flammen des Kamins blickend, "ich glaube Metternich--sagt, einen Fehler machen sei nicht so schlimm, als einen gemachten Fehler nicht verbessern. Nun wohl," fuhr er fort, sich mit verbindlichem Laecheln zu Drouyn de L'huys wendend, "wir haben einen Fehler gemacht, ich fange an mich zu ueberzeugen, dass es weit besser gewesen waere, damals Ihrem Rath zu folgen. Doch moechte ich nicht die zweite groessere Schuld auf mich laden, jenen Fehler nicht zu verbessern, und es handelt sich darum, wie dies geschehen koenne. Man hat mir zu liberalen Concessionen gerathen," fuhr er schneller und lebhafter sprechend fort, "um die Zukunft des Kaiserreichs mit populairen Institutionen zu umgeben. Ich habe jene Concessionen gemacht, die Unzufriedenheit hat sich vermehrt und die Zukunft des Kaiserreichs beruht, wenn wir uns die Wahrheit nicht verhehlen wollen, mehr als je auf meinen persoenlichen Einfluss. Von allen Seiten sagt man mir, und ich fange an zu glauben, dass man Recht hat, dass die Schwierigkeit der Situation weniger im Innern, als in dem geschwaechten Einfluss Frankreichs nach Aussen hin liege. Alles draengt mich den Fehler von 1866 zu verbessern, mit einem Wort: den Krieg zu machen und dasjenige wieder zu zerstoeren, was man vielleicht besser damals garnicht haette entstehen lassen sollen.--Um aber den Krieg zu machen, bedarf ich ausser der Tuechtigkeit der Armee, welche vorhanden ist, wie man mich versichert, auch Maenner von festem, klaren und entschlossenem Geist, welche die militairische Action politisch vorbereiten und waehrend der Ereignisse die Zuegel der Politik in starker Hand halten. Sollte es zum Kampf kommen, so muss ich und werde ich persoenlich bei der Armee sein, denn der Kaiser, der den Namen Napoleon fuehrt, muss da sein, wo die Gefahr ist, wo die Adler Frankreichs dem Feinde entgegengetragen werden. Ich wuerde die Kaiserin als Regentin in Paris zuruecklassen muessen, dann aber waere es vor Allem nothwendig, dass neben ihr ein Mann staende von erprobter Treue, von erprobter Geschaeftskenntniss, ein Mann, welchem die europaeischen Cabinette ihre Achtung und ihr Vertrauen entgegentragen, und zu welchem ebenso mit Vertrauen und mit Achtung das franzoesische Volk aufblickt. Ich wuesste keinen bessern Mann dafuer als Sie, mein lieber Herr Drouyn de L'huys, und ich bin deshalb gekommen, um ohne alle Umschweife Sie zu fragen, ob Sie es fuer nothwendig und fuer klug finden, jenen Fehler von 1866, den Sie einst so scharf getadelt und der Sie mir entfremdet hat, heute zu verbessern, und ob Sie in einem solchen Fall mir mit Ihrem Rath und Ihrer Kraft zur Seite stehen wollen?" Drouyn de L'huys blickte lange ernst und schweigend vor sich nieder, dann erhob er das kluge offene Auge zu dem Kaiser, der mit dem Ausdruck lebhaftester Spannung seine Antwort erwartete. Er sprach ruhig und langsam, jedes Wort scharf betonend: "Eure Majestaet haben mir in wenig Worten eine Frage gestellt, welche nicht leicht ist kurz zu beantworten.--Es ist wahr, Sire," fuhr er fort, "dass ich den Fehler, den die franzoesische Politik im Jahre 1866 gemacht hat, heute noch schmerzlich beklage. In jenem Fehler liegt die Wurzel, der Anfang der ganzen Verlegenheit, in welcher wir uns gegenwaertig befinden. Ob aber dieser Fehler wieder gut zu machen ist, ob er heute oder in naher Zeit gut zu machen ist--daran, Sire, muss ich ernstlich zweifeln. Frankreich befindet sich, wenn ich einen Vergleich brauchen darf, in der Lage eines Mannes, der es verweigert hat ein Duell anzunehmen in dem Augenblick, wo man ihn beleidigt hat, er empfindet spaeter in der allgemeinen Missachtung die Folgen seiner Unschluessigkeit. Aber gewiss kann er sie dadurch nicht gut machen, dass er irgend eine Gelegenheit vom Zaune bricht, um sich zu schlagen. Fuer uns ist in diesem Augenblick eine richtige, einer grossen Nation wuerdige Veranlassung zum Kriege nicht vorhanden. Wir haben alle Veraenderungen, welche der Krieg von 1866 in Deutschland hervorgerufen, acceptirt, wir haben den Prager Frieden nicht nur geschehen lassen, sondern haben selbst bei dessen Abschluss mitgewirkt. Alles, was jetzt in Deutschland geschieht, ist nur die Consequenz jenes Friedensvertrages, und mag man hier und da ueber den Wortlaut desselben hinausgehen, fuer Frankreich kann darin gewiss kein Grund zu einem so furchtbaren und folgenschweren Krieg liegen, durch den man heute mit dem Einsatz aller Kraefte und der ganzen Machtstellung des Landes einen Fehler wieder gut machen wollte, der damals durch eine einfache militairische Demonstration haette vermieden werden koennen.-- "Ich sage nicht, Sire," fuhr er fort, als der Kaiser ihn erstaunt und verwundert anblickte, "ich sage nicht, dass der Conflict zwischen dem sich immer fester constituirenden Deutschland und Frankreich nicht frueher oder spaeter kommen muesse. Heute aber ist er noch in keiner Weise reif, und vor allen Dingen kann es nicht die Initiative Frankreichs sein, welche diesen Conflict hervorrufen darf. Die Fragen, um welche es sich in diesem Augenblick handelt, sind nicht franzoesische. Frankreich ist weder der vertragschliessende Theil, noch garantirende Macht bei dem Prager Frieden. Geht Preussen ueber die Schranken hinweg, welche es sich selbst im Jahre 1866 gezogen hat, so muss es zunaechst die Sache Oesterreichs und der Sueddeutschen Staaten, das heisst, der in jenem Krieg Besiegten sein, Einhalt zu thun und Protest zu erheben. Wenn die Frage so gestellt wird, wenn die Sueddeutschen Staaten ihre Unabhaengigkeit gegen Preussen vertheidigen, wenn Oesterreich zum Schutz dieser seiner Verbuendeten die strenge Aufrechthaltung der Vertraege fordert, dann kann Frankreich hinzutreten, jene Forderungen unterstuetzen und als Verbuendeter der deutschen Staaten, als Verbuendeter Oesterreichs gegen Preussen zu Felde ziehen. Dann werden wir sicher sein, dass das deutsche Nationalgefuehl sich nicht als ein maechtiger Verbuendeter des Berliner Cabinets uns gegenueberstellt.--Davon, Sire," fuhr er fort, "sind wir noch sehr weit entfernt. Ich habe," sagte er laechelnd, "obgleich ich mich ganz von der activen Politik fern gehalten, dennoch aus alter Gewohnheit den Gang der Dinge scharf beobachtet, und ich habe kein Zeichen bemerkt, dass die Sueddeutschen Staaten entschlossen oder auch nur geneigt waeren, einen energischen Widerstand gegen Preussen zu machen." "Doch werden dort," fiel der Kaiser ein, "namentlich in den katholischen Kreisen vielfache Sympathien fuer Frankreich laut. Man erwartet von uns Huelfe und Beistand." "Um Huelfe und Beistand zu erwarten," erwiderte Drouyn de L'huys, "muss man zunaechst selbst handeln. Und ich kann Eurer Majestaet nicht genug wiederholen, dass die hoechste Gefahr in einem Krieg gegen Preussen darin liegt, das deutsche Volk zu dem Irrthum zu veranlassen, es handele sich um eine franzoesische Frage. Moegen die Herren in Muenchen und in Stuttgart statt halbe Winke und Andeutungen hierher zu senden, moegen sie fest und frei auftreten, moegen sie ihr Recht vertheidigen, sich mit einer starken Bewegung ihres Volkes umgeben, dann, Sire, kann der Moment kommen, in welchem Frankreich kluger und berechtigter Weise jenen durch diese ganzen langen Jahre sich wie eine schleichende Krankheit hinziehenden Conflict zu endlicher Loesung zu bringen, das heisst auch dann nur in dem Fall, dass Oesterreich mit festem Willen und ernster Energie entschlossen ist, auch seinerseits den Kampf um seine alte Stellung in Deutschland wieder aufzunehmen." "Ich habe keinen Grund," sagte der Kaiser, "daran zu zweifeln, dass Oesterreich in dem gegebenen Augenblick einen solchen Entschluss fassen und ausfuehren wird. Nach dem Bericht des Herzogs von Grammont ist der Grundgedanke der oesterreichischen Regierung immer der, die deutsche Basis, von welcher sie herabgeworfen ist, wieder zu gewinnen, und ich betrachte die Mitwirkung Oesterreichs auch ohne dass darueber etwas Bestimmtes stipulirt ist, fuer gesichert." "Ich bin nicht in der Lage, Sire," erwiderte Drouyn de L'huys ruhig und kalt, "das Vertrauen Eurer Majestaet zu theilen. Selbst da, wo bestimmte Vertraege vorlagen, hat Oesterreich uns oft im Stich gelassen. Gegenwaertig aber scheint mir, so weit ich die Lage beurtheilen kann, nicht einmal irgend eine fassbare Verhandlung zu existiren. Oder verzeihen Eure Majestaet meine indiscrete Frage, die durch Ihre vertrauensvolle Berufung an mein Urtheil gerechtfertigt sein mag, haben irgend welche Verhandlungen mit bestimmten Resultaten zwischen Oesterreich und Frankreich Statt gefunden?" "Das nicht," erwiderte der Kaiser mit einer leichten Verlegenheit, "indessen die Bestimmung, die ich selbst persoenlich bei dem Kaiser Franz Joseph Gelegenheit hatte zu bemerken, und die Mittheilungen, welche Grammont ueber die dortigen Verhaeltnisse macht, lassen mich an einer activen Mitwirkung Oesterreichs nicht zweifeln. Nur," fuhr er fort, "scheint man dort--ganz entgegengesetzt der Ansicht, die Sie soeben aussprachen--dringend zu wuenschen, dass der Kriegsfall nicht aus einer deutschen Frage genommen werde, da es fuer Oesterreich schwer sein wuerde, in einer solchen eine diplomatische Handhabe fuer seine Aktion zu finden, nachdem es in seine voellige Ausschliessung aus Deutschland eingewilligt hat." Ein leichtes hoehnisches, fast mitleidiges Laecheln glitt ueber Drouyn de L'huys' ernste Zuege. "Dies entspricht ganz der unsichern zweideutigen Haltung, welche mir in der oesterreichischen Politik nichts Neues ist," sagte er. "Das ist der vollstaendige cercle vitieux, das heisst mit andern Worten klar und ohne Rueckhalt ausgesprochen. Wir sollen allein die Gefahr tragen, wir sollen das siegreiche Preussen niederwerfen, und dann will Oesterreich die grosse Gnade haben, mit uns die Fruechte des Sieges zu theilen.--Nein, Sire," rief er lebhaft, "auf einer solchen diplomatischen Basis kann Frankreich in diesem Augenblick keinen Krieg fuehren! Wir muessen feste und starke Alliirte haben! Wir muessen des energischen Vorgehens der Sueddeutschen Staaten und vor Allem der festen Alliance und der genau normirten und bis zum Ende sicher gestellten Mitwirkung Oesterreichs vollkommen gewiss sein. Die jetzigen Beziehungen zwischen Frankreich und Oesterreich kommen mir vor wie das Verhaeltniss eines Herrn zu einer Dame, der ihr die Cour macht, ihr Bouquets ueberreicht, ihr die Taschentuecher aufhebt, aber niemals von Heirathen spricht. Soll Frankreich eine so ernste entscheidende Action beginnen, so muss vor allen Dingen mit Oesterreich eine wirkliche, ganz feste Alliance geschlossen werden. Diese Alliance allein kann verhindern, dass die ganze, so ungeheuer angewachsene preussische Militaermacht sich in maechtig concentrirten Vorstoessen ueber den Rhein her gegen uns heranbewegt. Diese Alliance allein ist im Stande, auch Italien in Schach zu halten, das sonst gewiss jede Verwickelung Frankreichs benutzen wird, um Rom zu nehmen und damit unseren Einfluss auf der pyrenaeischen Halbinsel zu zerstoeren und Eurer Majestaet Regierung die maechtige Stuetze zu rauben, welche Ihnen der katholische Clerus bietet." "Und wuerden Sie geneigt sein," fragte der Kaiser, welcher sehr ernst zugehoert hatte und auf den die Worte seines frueheren Ministers einen tiefen Eindruck gemacht zu haben schienen, "die franzoesische Politik nach den Grundsaetzen, welche Sie mir soeben entwickelt, wieder zu leiten und die grosse Action nachdruecklich vorzubereiten, welche uns wieder auf die alte Hoehe zurueckfuehren soll?" "Ich werde, Sire," erwiderte Drouyn de L'huys, "meine Dienste Eurer Majestaet und meinem Vaterlande niemals verweigern, doch scheint mir in diesem Augenblick noch nicht die Zeit gekommen zu sein, um an einen Krieg zu denken. Ich wuerde Eurer Majestaet rathen, zuerst die Verhaeltnisse im Innern zur vollstaendigen Abklaerung zu bringen. Denn ich muss Ihnen mit aller Aufrichtigkeit sagen, Sire, dass so wie die Dinge jetzt liegen, auch ein nur voruebergehender Misserfolg unserer Armee die bedenklichste und gefaehrlichste Bewegung im Lande selbst hervorrufen kann. Die alte Kraft der Regierung ist gebrochen,--die unzufriedenen Elemente sind fest organisirt und jeden Augenblick entschlossen, das Aeusserste zu wagen." "Aber die Nation," sprach der Kaiser mit einem Anklang von Ungeduld in der Stimme, "empfindet tief das Herabsinken Frankreichs von seiner militairischen Hoehe. Man sagt mir allgemein, dass die Nation den Krieg will, und dass ein grosser nationaler Krieg das beste Mittel sei, um der Regierung die allgemeinen Sympathieen wieder zu gewinnen." "Ich glaube," sagte Drouyn de L'huys, "dass Diejenigen, die dies Eurer Majestaet sagen, sich taeuschen. Ich habe seit meinem Ruecktritt von den Geschaeften meine Musse mit dem Studium der oeconomischen Verhaeltnisse ausgefuellt. Man hat mir die Ehre erzeigt, mich zum Praesidenten der grossen Gesellschaft der Landwirthe zu erwaehlen, welche sich ueber ganz Frankreich verbreitet. Ich habe in dieser meiner Stellung viele Reisen gemacht und die meisten Provinzen des Landes besucht als Praesident der Gesellschaft, welche die grossen Grundbesitzer, wie die kleinen laendlichen Eigentuemer und die Bauern umfasst. Ich hatte Gelegenheit wie aus einer Loge die ganze Bewegung zu beobachten, welche sich auf der Scene des wirthschaftlichen Lebens zeigt, und ich kann Eurer Majestaet meine Ueberzeugung nur dahin aussprechen, dass das ganze Land, d.h. das Land, welches schafft und arbeitet, den Frieden will, den Frieden auf lange Zeit, um all die Quellen des Wohlstandes, welche so viele weise Massregeln Eurer Majestaet eroeffnet haben, zu vollkommenem und ergiebigem Fluss zu bringen. Wuerde eine grosse Verwickelung in Deutschland entstehen, wuerde die unterdrueckte Bevoelkerung der Sueddeutschen Staaten, wuerde Oesterreich die Huelfe Frankreichs gegen Verletzungen der oeffentlichen Vertraege anrufen, so wuerde es allerdings die Nation als eine Ehrensache betrachten, dann mit voller Kraft und mit allem Nachdruck in den Kampf einzutreten. Wuerde aber Frankreich einseitig einen Conflict provociren, ohne dringende Notwendigkeit sich in die Opfer und Wechselfaelle eines Krieges stuerzen--dann, Sire--ich spreche meine innigste und festeste Ueberzeugung aus, dann wuerde man vielleicht einiges chauvinistisches Geschrei auf den Boulevards hoeren, aber die ganze grosse Bevoelkerung des Landes wuerde mit tiefem Schmerz ihren durch Fleiss und Arbeit erworbenen Wohlstand der unsicheren Entscheidung durch die Spitze des Schwertes preisgegeben sehen." Der Kaiser senkte das Haupt und drehte lange schweigend an seinem Schnurrbart. "Sie meinen also, dass die Consolidirung der innern Verhaeltnisse einer Action nach Aussen vorhergehen muesse?" fragte er. "Ebenso gewiss," erwiderte Drouyn de L'huys fest, "als man bei jedem Vorgehen an den Rueckzug denken muss. Eure Majestaet muessen sicher sein," sagte er mit leiser durchdringender Stimme,--"verzeihen Sie meine kuehne Aufrichtigkeit--dass Sie nach einer immerhin moeglichen Niederlage noch Herrscher bleiben, den Thron von Frankreich noch erhalten koennen." Der Kaiser oeffnete weit die Augen. Ein eigenthuemlich durchdringender Blick fiel auf das ruhige Gesicht des Herrn Drouyn de L'huys. Dann beugte er sich mit einer raschen Bewegung zu ihm hinueber, reichte ihm die Hand und sagte mit sanfter weicher Stimme. "Ich danke Ihnen fuer dieses Wort, ich habe mich nicht getaeuscht, als ich im Vertrauen auf Ihre Freundschaft zu Ihnen kam. Ich habe die Wahrheit gesucht und Sie gaben mir dieselbe, wie es einem wahren Freunde geziemt,--doch," fuhr er fort, "wenn Sie der Meinung sind, dass die in's Schwanken gekommenen inneren Verhaeltnisse wieder befestigt werden muessten, so haben Sie auch gewiss Ihre bestimmte Ansicht darueber, in welcher Weise dies geschehen koennte.--Sie haben mir selbst," fuhr er nach einer kleinen Pause fort, "frueher den Rath gegeben, den kaiserlichen Thron mit liberalen Institutionen, welche in der freien Bewegung des Volkes beruhen, zu umgeben, damit wenn die Vorsehung es will, dass mein Sohn im fruehen Juenglingsalter zur Herrschaft berufen werde, diese Institutionen seinen Thron schuetzend umringen. Sie sehen, dass ich Ihren Rath befolgt habe. Aber," sagte er seufzend, "statt Befriedigung habe ich nur eine immer unzufriedener wachsende Unruhe hervorgerufen." "Weil," fiel Drouyn de L'huys ein, "Eure Majestaet hierbei einen Fehler gemacht haben. Das heisst," schaltete er, sich verneigend ein, "nach meiner unvorgreiflichen Ueberzeugung, welche Sie mir frei auszusprechen befohlen haben--einen Fehler, welcher schon oft in aehnlichen Verhaeltnissen begangen worden ist, und welcher jedesmal verderbliche Folgen gehabt hat." "Und welchen," fragte der Kaiser gespannt, den Arm auf das Knie stuetzend und den Kopf zu Drouyn de L'huys hinueber neigend. "Eure Majestaet haben liberale Institutionen durch liberale Personen einfuehren lassen," erwiderte Drouyn de L'huys, "und zwar durch Personen, welche durchdrungen sind von dem parlamentarischen Doctrinismus, der niemals selbststaendig und fest handelt, sondern immer nach rechts und links hin lauscht, was wohl der leicht beweglichen oeffentlichen Meinung in jedem Augenblick am meisten zusagen moechte. Es ist aber," fuhr er fort, "eine alte Regel der Staatskunst, dass man liberale Institutionen immer durch sehr feste und energische Maenner einfuehren lassen muss, durch Maenner, welche in ihren Grundgesinnungen wesentlich conservativ und vor Allem der Regierung und der Dynastie sehr ergeben sind, damit man in der freiern Bewegung die Zuegel nicht aus den Haenden verliert,--ebenso wie es auf der andern Seite jedenfalls richtig und geboten ist, energische oder gar reactionaire Massregeln stets durch Persoenlichkeiten ausfuehren zu lassen, welche als liberal bekannt sind, und welche jenen Massregeln das oeffentliche Vertrauen zu gewinnen im Stande sind. Ich liebe Herrn Rouher nicht, wie Eurer Majestaet bekannt," sprach er weiter, "dennoch glaube ich, dass er der richtige Mann gewesen waere, um die freiere Bewegung zu inauguriren, welche Eure Majestaet dem Staatsleben haben geben wollen.--Ebenso wie Herr Ollivier," fuegte er mit leichtem Laecheln hinzu, "ganz der Mann sein wuerde, um etwa nothwendig werdende strenge Massregeln durch ihn durchfuehren zu lassen." Der Kaiser hatte mit aeusserster Aufmerksamkeit zugehoert. "Sie haben Recht, Sie haben vollkommen Recht," sagte er. "Ich habe auch darin wieder einen Fehler gemacht. So wie man Concessionen macht, betritt man eine schiefe Ebene, und es gehoeren starke Kraefte dazu, um dem zu schnellen Hingleiten nach der abschuessigen Bahn sich entgegen zu stemmen.--Die Maenner aber, in deren Haenden gegenwaertig die Gewalt der Regierung liegt, haben diese Kraefte nicht. "Sie meinen also," fuhr er fort, "dass um die freieren Grundsaetze ohne Schaden fuer die Nationalitaet in das oeffentliche Leben hineinwachsen zu lassen--" "Andere Maenner noethig sind," fiel Drouyn de L'huys ein, "und zwar Maenner, welche die oeffentliche Bewegung beherrschen, nicht aber ihr folgen." "Was meinen Sie," sagte der Kaiser schnell, "zu dem Plebiscit, um den neuen Institutionen des placet de suffrage universel zu geben und damit auch dem Kaiserreich von Neuem die Basis eines wiederholten Vertrauensvotums des ganzen Volkes zu schaffen? Man koennte dadurch mit einem Schlage einen Schwerpunkt aus dem parlamentarischen Parteitreiben herausnehmen, welches jetzt nur zu sehr der Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens geworden ist." Drouyn de L'huys blickte ein wenig erstaunt in die lebhaft erregten Zuege des Kaisers. "Und Sire," fragte er, "wie wuerde sich Graf Daru, wie wuerde sich Herr Buffet zu einer solchen Wiederholung des suffrage universel stellen?" "Das weiss ich nicht," sagte der Kaiser. "Doch," fuhr er achselzuckend fort, "liegt mir an dem Vertrauensvotum der franzoesischen Nation mehr als an Daru und Buffet." Drouyn de L'huys neigte mit dem Ausdruck des Verstaendnisses den Kopf. "Und Ollivier?" fragte er dann. "Ich werde ihm einen Brief schreiben," sagte der Kaiser, "ich werde die ganze Sache in seine Haende legen. Seine frueheren parlamentarischen Stuetzen sind sehr schwankend geworden, er wird mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, wie ich glaube, um sich auf den breitern und festern Grund des allgemeinen Volkswillens zurueckzuziehen." "Ich glaube," sagte Drouyn de L'huys, "aus den Andeutungen Eurer Majestaet entnehmen zu duerfen, dass Ihre Ideen sich auf dem Wege befinden, den ich unter den augenblicklichen Verhaeltnissen nur als den richtigen anerkennen kann. Wenn Sie das allgemeine Volksvotum als das beste Mittel erkennen, die neue und freie Verfassung des Kaiserreichs auf festen Grundlagen zu etabliren und vor schwankenden Bewegungen zu schuetzen, so ist es gewiss richtig, diese Massregeln durch Ollivier vorbereiten und ausfuehren zu lassen. Nachdem dies geschehen ist, wird es meiner Ueberzeugung nach an der Zeit sein, die Zuegel der Regierung in festere und kraeftigere Haende zu legen, wobei indess Herr Ollivier, der so unendlich leitungsfaehig ist, immer conservirt werden kann. Dann, Sire, wird auch vielleicht der Augenblick gekommen sein, in welchem man an eine wohl ueberlegte und verstaendige Vorbereitung einer grossen militairischen Action wird denken koennen, welche die Consequenzen des Jahres 1866 wieder zu redressiren im Stande sein moechte." Der Kaiser erhob sich. "Und dann," sagte er, "duerfte ich auch darauf rechnen, dass mir Ihre Unterstuetzung nicht fehlen wird." "Ich werde dann, Sire," erwiderte Drouyn de L'huys, "jeden Augenblick bereit sein, Eurer Majestaet meine Ideen, ueber welche ich reiflich nachdenken will, auseinanderzusetzen, und diese Ideen, wenn Sie dieselben acceptiren, auszufuehren." "Ich danke Ihnen," sagte der Kaiser, ihm die Hand reichend. "Ich verlasse Sie, wie immer, so oft ich mit Ihnen gesprochen, reicher an guten Gedanken und Entschluessen.--Ich bitte Sie, Madame Drouyn de L'huys meine angelegentlichsten Empfehlungen zu machen, ich will sie nicht derangiren, denn ich moechte sogleich nach den Tuilerien zurueckkehren, um meine Entschluesse reif werden zu lassen und sie ohne Verzug zur Ausfuehrung zu bringen." Drouyn de L'huys geleitete den Kaiser an seinen Wagen.--Napoleon stieg mit dem General Fave ein und fuhr durch die Champs Elyses nach den Tuilerien zurueck. Viertes Capitel. In einer eleganten Parterrewohnung eines Hauses der Thiergartenstrasse sassen in einem behaglich eingerichteten Wohnzimmer zur vorgerueckten Abendstunde eines dunklen und stuermischen Februartages zwei alte Herren in bequemen Lehnstuehlen neben einem grossen Tisch, der durch eine hohe Lampe mit einem flachen Schirm beleuchtet wurde. Der Eine derselbe zeigte in seiner ganzen Haltung und dem Ausdruck seines Gesichts, obgleich er im einfachen Civilanzug gekleidet war, alle Eigenthuemlichkeiten eines alten Militairs. Das etwas empor stehende graue Haar war kurz geschnitten, der graue Bart dienstmaessig zugestutzt, und das bleiche kraenkliche Gesicht hatte jenen ruhigen, etwas zurueckhaltenden und fast dienstlich gleichmaessigen Ausdruck, welcher den preussischen Officieren eigenthuemlich ist. Die dunklen Augen blickten scharf und klar unter den grauen Augenbrauen hervor. Er sass grade aufgerichtet in seinem Stuhl, von Zeit zu Zeit eine volle Rauchwolke aus der grossen dunklen Havannahcigarre ziehend, welche er in seiner Hand hielt. Dieser alte Herr war der Oberstlieutenant von Buechenfeld, welcher seit einiger Zeit wegen rheumatischer Leiden den activen Dienst verlassen hatte und in sehr einschraenkten Verhaeltnissen von seinem kleinen Vermoegen und seiner Pension lebte. Neben ihm sass der Baron von Rantow, sein Jugendfreund, ein grosser Grundbesitzer aus der Provinz Schlesien, welcher als Mitglied des Herrenhauses den Winter in Berlin lebte und, ohne selbst ein grosses Haus zu machen, sich doch viel in der vornehmen Gesellschaft der Residenz bewegte. Der Baron von Rantow war in seiner ganzen Erscheinung das vollstaendige Gegentheil seines Freundes. Sein ganzes Wesen zeigte jene bequeme Eleganz, welche das Bewusstsein einer unabhaengigen Lebensstellung verleiht. Sein volles Gesicht von gesunder Farbe war von einem dichten, wohl gepflegtem, nur leicht ergrauten Backenbart umrahmt. Sein Kopf war fast kahl, und der Blick seiner grossen blauen Augen war zwar nicht ohne Geist und ohne Intelligenz, schien aber alle Gegenstaende, auf die er sich richtete, nur leicht und oberflaechlich zu streifen, und liess Diejenigen, mit denen der Baron sprach, oft daran zweifeln, ob er sich wirklich mit den Gegenstaenden der Unterhaltungen beschaeftigte oder ob seine Gedanken anderswo weilten. Herr von Rantow sass bequem zurueckgelehnt in seinem Fauteuil und spielte leicht mit den Fingern seiner vollen weissen Hand auf der Lehne desselben. "Die Kammern sind ja jetzt geschlossen," sagte der Oberstlieutenant mit einer scharfen, bestimmt klingenden Stimme. "Ihr habt Euer Werk fuer dies Jahr vollendet, und der Norddeutsche Reichstag tritt jetzt auf die Scene. Du wirst wohl nicht mehr lange hier weilen," fuegte er seufzend hinzu. "Das thut mir recht leid, ich werde dann wieder in meiner Einsamkeit hier allein sein. Ich kann mich noch nicht so recht in mein Leben als Pensionair finden. Die active Dienstthaetigkeit fehlt mir ueberall, und mich dem geselligen Leben anzuschliessen, dazu bin ich mit der Zeit zu steif und schwerfaellig geworden." "Ich bleibe noch zwei Monate hier, mein alter Freund," erwiderte der Baron von Rantow. "Du wirst also noch einige Zeit hier einen Ort haben, wo Du gelegentlich einen langweiligen Abend unterbringen kannst. Dann kommst Du mit mir auf mein Gut, frische Luft wird Dir wohl thun, die Bewegung im Freien Deine Kraefte wieder staerken." "Du bleibst noch hier?" fragte der Oberstlieutenant ein wenig erstaunt. "Das ist mir unendlich erfreulich," fuegte er hinzu, "doch begreife ich nicht, dass Du Dich so lange ohne dringende Nothwendigkeit Deiner Wirthschaft entziehst." "Ich habe einen sehr tuechtigen Verwalter," erwiderte der Baron von Rantow,--"und dann," fuhr er fort, indem sein Blick wie zerstreut sich in die Ferne zu richten schien, "Du weisst, mein Sohn ist in seinem Staatsexamen begriffen, ich moechte das Resultat abwarten, um ihn dann gleich mit mir zu nehmen. Der Landrath meines Kreises wird bald zuruecktreten, und ich wuensche, dass mein Sohn sich um diese Stelle bewerben moege;--wenn er dereinst meine Besitzungen uebernimmt, so ist es sehr gut fuer ihn zugleich Landrath des Kreises zu sein und sich so eine angenehme und nuetzliche Thaetigkeit, bedeutenden Einfluss und vielleicht die Aussicht auf eine grosse Carriere zu schaffen." "Du bist gluecklich, alter Freund," sagte der Oberstlieutenant mit etwas wehmuethigem Ton, "dass Du Deinem Sohn eine solche Perspective eroeffnen kannst. Ich kann leider," fuhr er fort, eine dichte Rauchwolke vor sich hinblasend, "meinem armen Carl nur dieselbe Lebensbahn bieten, an deren Ende ich jetzt angelangt bin, eine gleichfoermige und wenig froehliche Bahn. Man zehrt seine Kraefte im Dienst auf und dann bringt man sein Alter als ein unbrauchbares Glied der menschlichen Gesellschaft hin. Haette ich es mir recht ueberlegt oder waere meine Frau am Leben geblieben,--vielleicht waere es anders geworden. Sie wollte immer, dass unser einziger Sohn studiren sollte. Nun,"--sagte er, leicht mit der Hand ueber die Augen fahrend, "sie ist lange dahingegangen, und der Junge hatte immer so grosse Freude an den Knoepfen der Uniform und den Epauletten und bat so dringend, dass er auch des Koenigs Rock tragen duerfe, dass ich ihm nachgegeben habe. Jetzt ist es geschehen, und er muss den Weg zu Ende gehen. Gott gebe, dass er mehr Glueck und Freude auf demselben finden moege, als mir zu Theil geworden ist." "Mein lieber Freund," sagte der Baron von Rantow, indem der Ausdruck phlegmatischer Zerstreutheit und Gleichgueltigkeit auf seinem Gesicht einen Augenblick von einem waermeren Gefuehl verdraengt wurde, "Du darfst nicht vergessen, dass das Leben eines Soldaten in seinem ruhigen und einfoermigen Gang dafuer aber auch von manchen Sorgen und Aufregungen verschont bleibt, die uns treffen und dass es doch auch schoen ist," fuegte er hinzu, dem Oberstlieutenant die Hand drueckend, "sich zuletzt sagen zu koennen, dass man alle Zeit mit Ehren seine Pflicht erfuellt hat." "Ja, ja," erwiderte der Oberstlieutenant mehrmals mit dem Kopf nickend, "das ist Alles ganz schoen, aber man fragt sich denn doch auch, wozu das Alles, wo ist der Nutzen, den dieses Leben von Arbeit, Pflichterfuellung und Entbehrung gebracht hat?" "Der Nutzen?" fragte Baron von Rantow lebhaft. "Du wirst den Nutzen nicht im Kreise des Einzelnen, nicht in der beschraenkten Zeit eines Menschenlebens suchen; Ihr Alle, die Ihr Eure Kraefte und Arbeit im militairischen Dienst dem Staat widmet, schafft Glied fuer Glied, Kette fuer Kette jene grosse gewaltige Macht, die Armee, die in den entscheidendsten Augenblicken der Weltgeschichte heraustritt und fuer alle die Ideen, welche die geistige Thaetigkeit erzeugt und entwickelt hat, die Bahnen bricht und den Raum schafft. Wie Viele haben sich in den fuenfzig letzten Friedensjahren gefragt, wofuer sie ihre Kraefte anstrengten! Wie Viele sind gestorben, ohne eine Antwort auf diese Frage zu erhalten! Das Jahr 1866 hat diese Antwort gegeben, und Du, mein alter Freund, gehoerst zu den Gluecklichen, denn Du hast jenes Jahr noch mit erlebt und mit durchgekaempft. Du wenigstens weisst, wofuer Du gestrebt und gearbeitet hast." "Nun, nun," sagte der Oberstlieutenant, indem er sich laechelnd den Schnurrbart strich, "ich murre auch nicht weiter. Wird auch der einzige Stein in einem grossen Bau nicht bemerkt, er gehoert doch auch mit zum Ganzen und darf auch mit Stolz sich sagen, dass er seinen Platz ausfuellt. Ich wuensche nur, dass mein Sohn keine fuenfzig Friedensjahre vor sich haben moege." "Dazu hat es kaum den Anschein," sagte der Baron von Rantow mit einem leichten Anklang von Unzufriedenheit in seiner Stimme. "Man schwebt ja in dieser Zeit eigentlich fortwaehrend zwischen Krieg und Frieden, und in den letzten Tagen klingen wieder sehr kriegerische Stimmen von der andern Seite des Rheins herueber. Frueher oder spaeter muessen alle Conflicte, welche 1866 noch ungeloest geblieben, doch endlich wieder zum Ausbruch kommen. Ich bedaure es wirklich recht sehr," fuegte er hinzu, "ich bin in verschiedenen grossen Unternehmungen begriffen, welche einen vortrefflichen Erfolg versprechen. Ich moechte einige neue Industrieen auf meinen Besitzungen einfuehren, welche dazu vortreffliche Gelegenheit bieten, und stehe im Begriff, hier ein Consortium zu bilden, das mir die Capitalien dazu verschaffen soll. Um die Sache in Gang zu setzen, brauche ich noch einige Jahre Frieden. So lange aber," fuegte er laechelnd hinzu, "kann ja Dein Sohn auch wohl noch warten." Der Oberstlieutenant schuettelte langsam den Kopf und blickte halb verwundert, halb missbilligend zu seinem Freunde hinueber. "Du willst Consortien gruenden?" fragte er. "Du willst Dich mit diesen Banquiers und Capitalisten associiren, um industrielle Spekulationen auf Deinen alten Besitzungen einzufuehren?--Nimm es mir nicht uebel, alter Freund," fuhr er fort, "mir scheint das nicht recht mit der Stellung eines alten Edelmanns zusammen zu passen. Dein Gut ist ja so schoen und in vortrefflicher wirtschaftlicher Ordnung, es wirft Dir eine glaenzende Revenue ab, Du bist wohlhabend und hast Alles, was Du bedarfst. Du hast nur einen Sohn, warum willst Du denn noch mehr, als die Vorsehung Dir gegeben und Deine Vorfahren Dir hinterlassen haben? Es vertraegt sich nicht mit der Stellung des Adels nach meiner Auffassung, sich mit dieser modernen Capitalswelt zu verbinden, um Geld auf Geld zu haeufen. Und ausserdem scheint es mir nicht klug zu sein, denn auf diesem Gebiet werden wir den Juden und Banquiers doch niemals gewachsen sein, sie werden uns immer das beste Fett vorwegnehmen, und wir werden froh sein koennen, wenn uns ueberhaupt noch Etwas bleibt--verzeihe meine Aufrichtigkeit,--Du hast ja zu thun, was Dir beliebt,--aber meine Meinung ist nun einmal so, wie ich gesagt habe." "Ich glaube, Du hast vollkommen Unrecht," erwiderte der Baron von Rantow, indem er sich ein wenig emporrichtete und zu seinem Freunde hinueberneigte. "Das Geld ist die Macht, welche heut zu Tage die Welt beherrscht, ebenso wie es frueher die koerperliche Ueberlegenheit in den ritterlichen Uebungen war. Wenn der Adel seine Stellung behaupten will, so muss er jene herrschende Gewalt unserer Zeit in seine Haende bringen. Sieh die grosse Aristokratie von England an. Wodurch ist sie auf der Hoehe geblieben? Nur dadurch, dass sie es immer verstanden hat, ihren Besitz nicht nur zu erhalten, sondern den steigenden Anforderungen der Zeit gemaess fortwaehrend zu vergroessern. Sieh, wie in Oesterreich der Adel an seiner schlechten Naturalwirtschaft zu Grunde geht. Du wirst mir zugeben, dass auf die Dauer keine Familie sich auf der Hoehe ihrer Stellung ohne die Grundlage eines den Zeitbeduerfnissen entsprechenden Besitzes zu erhalten im Stande ist." Wieder schuettelte der Oberstlieutenant bedenklich den Kopf. "Der Besitz ist eine schoene Sache," sagte er, "aber er macht doch nicht allein die dauernde und feste Grundlage des Adels aus. Ich moechte fast der Meinung sein, dass die Armuth noch eher die ritterlichen Gesinnungen erhaelt, als der Reichthum,--wie denn auch die alten geistlichen Orden zur Erhaltung des ritterlichen Sinnes das Geluebde der Armuth ablegen mussten." "Das sie aber zuletzt sehr wenig hielten," sagte der Baron von Rantow laechelnd. Dann fuegte er hinzu. "Die geistlichen Herren hatten keine Kinder, fuer die sie sorgen mussten.--Du hast mir vorhin gesagt, ich haette nur einen Sohn und er haette fuer sein Leben genug an dem, was ich besitze. Das ist ganz recht, aber mein Sohn kann mehrere Nachkommen haben. Und ich moechte doch gern," fuhr er fort, mit einem gewissen Stolz den Kopf emporrichtend, "dass auch spaeter Jeder, der den Namen Rantow fuehrt, einen diesem Namen entsprechenden materiellen Besitz habe. Wenn ich nun sehe, dass durch eine geschickte Capitalassociation mein Besitz sich vier- bis fuenfmal vergroessern kann, sollte ich da unthaetig bleiben, ruhig in alter Weise fortwirthschaften und damit meinen Nachkommen entziehen, was ich ihnen zu schaffen mich fast fuer verpflichtet halten muss?" "Wir werden uns nicht darueber verstaendigen," sagte der Oberstlieutenant. "Ich meinerseits," sprach er bestimmt und energisch, "wuerde mich niemals mit dieser industriellen Welt in Verbindung setzen." Das Gespraech der beiden alten Herren wurde durch den Eintritt der Baronin von Rantow unterbrochen, einer Dame von hoher und trotz ihrer starken Fuelle noch schlanken und elastischen Gestalt mit einem vornehm geschnittenen Gesicht von freundlich heiterm Ausdruck, das die Spuren frueherer grosser Schoenheit zeigte. Die Dame begruesste den Oberstlieutenant, der ihr mit einer etwas altmodischen Hoeflichkeit die Hand kuesste, herzlich und nahm auf einem breiten Divan vor dem Tisch Platz, auf welchem ein Diener in eleganter Hauslivree das Theegeschirr aufstellte. "Die Wagen fangen bereits an vorzufahren," sagte Frau von Rantow, "es wird eine sehr grosse Gesellschaft sich ueber uns bei dem Herrn Commerzienrath Cohnheim versammeln. Es scheint," fuhr sie mit einem leichten Laecheln fort, "dass man Alles aufgeboten hat, um ein recht grossartiges Fest zu geben." "Wir werden die Nacht recht gestoert werden," sagte der Baron, "von dem Laerm ueber unsern Koepfen. Nun," fuegte er achselzuckend hinzu, "das ist immer noch besser, als wenn wir haetten hingehen muessen. Ich bin einen ganzen Tag," fuhr er zum Oberstlieutenant gewendet fort, "zu Hause geblieben, um mein Unwohlsein recht natuerlich vorzustellen, damit ich nicht genoethigt bin diese Gesellschaft zu besuchen, in der man sich zwischen emporgekommenen Boersenspeculanten und einzelnen heruntergekommenen Mitgliedern der guten Gesellschaft befindet." "Und darum," fragte der Oberstlieutenant erstaunt, "legtest Du Dir einen Tag Hausarrest auf? Warum lehntest Du denn nicht einfach die Einladung der Leute ab? Du hast doch wahrhaftig keine Ruecksichten auf sie zu nehmen." "Doch, mein lieber Freund," erwiderte Herr von Rantow, "ich habe sogar recht grosse Ruecksichten auf diesen Herrn Commerzienrath Cohnheim zu nehmen. Er ist gerade Derjenige, der mir meine Consortien zusammenbringen soll, und der mit grossem Eifer dabei ist, mir diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Ich darf ihn also in keiner Weise verletzen, ich nehme auch fortwaehrend die aeusserste Ruecksicht auf ihn,--doch mich in diese Gesellschaft hineinzubegeben, das ist etwas zu viel verlangt. In kleinen Kreisen bin ich schon bei ihm gewesen, ich will ihn auch gern bei mir sehen, ja, ich habe sogar Nichts dagegen," fuhr er laechelnd fort, "dass mein Sohn dem Fraeulein Cohnheim den Hof macht, was er ausserdem sehr gern thut, denn die Tochter des Herrn Commerzienraths ist wirklich von einer wunderbaren Schoenheit, dabei sehr gut erzogen und sehr fein gebildet." "Um Gottes Willen," rief der Oberstlieutenant ganz erschrocken, "wenn nun aber die jungen Leute bei diesem Spiel sich Etwas in den Kopf setzen, wenn da eine ernste Neigung entstehen sollte." "Nun," sagte Herr von Rantow leicht mit den Fingern auf der Lehne seines Sessels trommelnd, "das waere eine Sache, die sich ueberlegen liesse. Herr Cohnheim ist sehr reich, sein Vermoegen waechst taeglich und stuendlich. Er wird nach kurzer Zeit sich auf die Hoehe der ersten Matadore der Finanzwelt erhoben haben. Er hat nur diese einzige Tochter, wie ich den einzigen Sohn. Es haben sich ja schon viele alte Familien durch Heirathen zu grossem Glanz gebracht,--die Sache wuerde sich vielleicht arrangiren lassen." "Ich vermag der neuen Zeit nicht mehr zu folgen," sagte der Oberstlieutenant. "Ich fuer meinen Theil, so arm ich bin, wuerde doch wahrhaftig niemals meine Zustimmung geben, dass mein Sohn sich durch eine Heirath in dieser Weise seine Lebensstellung machte. Ich halte viel auf meinen Namen und viel auf alte Familien, aber dennoch waere mir jedes Maedchen aus dem Volke recht, wenn sie mir mein Sohn als Tochter zufuehrte. Aber mit diesen Kreisen der Finanzwelt, welche die Gesellschaft durch ihre unnatuerlichen Speculation aussaugen, denen jedes Mittel recht ist, um nur Geld und wieder Geld aufzuhaeufen, mit diesen Kreisen meine Familie zu verbinden!----Nein," rief er lebhaft, "dazu wuerde ich niemals meine Zustimmung geben." "Nun, lieber Buechenfeld," sagte Frau von Rantow freundlich laechelnd, indem sie dem Oberstlieutenant ein Glas Grog mischte, "beunruhigen Sie sich nicht, mein Mann ist noch kein so schlimmer Spekulant geworden, als er Sie glauben machen moechte. Hueten Sie sich aber," fuhr sie leicht mit dem Finger drohend fort, "dass Ihr Sohn Sie mit Ihren Grundsaetzen nicht in Verlegenheit bringt. Er besucht, wie er mir erzaehlt hat, seit er hier zur Kriegsschule commandirt ist, die Gesellschaften der haute finance sehr fleissig und amuesirt sich sehr gut dort. Er wird gewiss auch heute hier beim Commerzienrath sein in gefaehrlicher Naehe der schoenen Augen des Fraeulein Cohnheim." "Ich freue mich," sagte der Oberstlieutenant, "wenn mein Sohn sich amuesirt, doch bin ich vollkommen sicher, dass er an keine ernsthafte Liaison denkt, und dass er die Grundsaetze, die ich vorhin ausgesprochen habe, vollkommen mit mir theilt." Er nahm einen kraeftigen Schluck aus seinem Glase und wandte sich dann zu der Baronin von Rantow mit einer gleichgueltigen Frage, welche die Absicht zu erkennen gab, das bisherige Gespraechsthema nicht weiter zu behandeln. Inzwischen hoerte man vor dem Hause einen Wagen nach dem andern vorfahren. Bald war es das leichte Rollen eleganter Equipagen, bald der schwerfaellig rasselnde Ton einer Droschke, und in der Bel-Etage ueber der Wohnung des Barons liess sich das Geraeusch zahlreicher Schritte und das dumpfe Gewirr verschiedener Stimmen hoeren. Die weiten eleganten Raeume des obern Stockwerks, welche der Commerzienrath Cohnheim bewohnte, und welche mit reicher, wenn auch nicht geschmackloser, so doch etwas ueberladener Pracht ausgestattet waren, strahlten im hellen Glanz einer intensiven Gasbeleuchtung. Die Fenster waren ueberall durch schwere seidene Vorhaenge verdeckt, der ziemlich grosse Tanzsaal reich mit frischen Blumen decorirt, in den Nebensalons waren Spieltische arrangirt, die kostbaren Oelgemaelde an den Waenden waren durch darueber angebrachte Schirmlampen in das moeglichst beste Licht gesetzt. Kurz, es war Alles geschehen, um zu zeigen, dass der Commerzienrath ein Mann war, welcher die Mittel besass, grosse Gesellschaft bei sich zu empfangen, und welcher es auch verstand, durch guten Geschmack es den Vornehmen gleich zu thun. Dass ueberall ein kleines Zuviel oder Zuwenig in diesen Arrangements die scharfe Grenzlinie des wirklich vornehmen Geschmacks ueberschritt oder hinter derselben zurueckblieb, entging dem zufriedenen Blick des Commerzienraths, welcher nach einem letzten Blick ueber die Vorbereitungen zu seinem Feste sich in den ersten Salon begab, um die Gaeste zu empfangen, die erst langsam und einzeln, dann immer schneller und zahlreicher zu erscheinen begannen. Der Commerzienrath Cohnheim war eine kleine, volle und untersetzte Gestalt, von raschen, kurzen, etwas unruhigen Bewegungen. Er mochte etwa fuenfzig Jahre alt sein, sein kleiner runder Kopf erhob sich nur wenig ueber die breiten, etwas hoch empor stehenden Schultern. Sein Haar leicht in's Graue spielend, war kurz und kraus gelockt, seine scharfen Zuege, die hervorspringende, leicht gebogene Nase, die etwas aufgeworfenen Lippen, und die klugen, stets etwas unruhig umherspaehenden Augen zeugten von Intelligenz und scharfer Beobachtung, waehrend um seinen Mund ein fast stereotypes Laecheln spielte, welches halb aus gutmuethigem Wohlwollen, halb aus befriedigtem Selbstgefuehl zusammengesetzt war. Der Commerzienrath trug einen tadellosen schwarzen Anzug, eine Cravatte von blendender Weisse. Er zeigte in seiner ganzen Erscheinung eine strenge, vielleicht etwas gesuchte Einfachheit, welche nur durch einige grosse Hemdknoepfe von prachtvollen Diamanten unterbrochen wurde, die er sich nicht hatte versagen koennen. Im Knopfloch seines Fracks befand sich ein unendlich kleines Miniaturkreuz des Ordens eines kleinen deutschen Miniaturstaats; in seiner Hand mit den kurzen beweglichen Fingern, deren Spitzen den weissen Handschuh nicht vollstaendig ausfuellten, hielt er eine goldene Dose, deren er sich weniger zum eigenen Gebrauch als zur Entamirung einer Conversation zu bedienen pflegte. Waehrend er strahlend von liebenswuerdiger Hoeflichkeit in dem ersten Salon seiner Wohnung Stellung nahm, befand sich die Frau Commerzienraethin mit ihrer Tochter in einem Zimmer, das an die entgegengesetzte Seite des Tanzsaals stiess, um dort die Begruessung der Gaeste zu empfangen. Frau Commerzienraethin Cohnheim war eine grosse hagere Gestalt mit ziemlich eckigen Bewegungen und einem Gesicht, dessen entschieden juedischer Schnitt in ihrem gegenwaertigen Alter wenig Einnehmendes hatte. Sie trug ein dunkelrothes Sammetkleid, ein reiches Collier von kostbaren Edelsteinen, Diamanten im Haar und Diamanten an den Armspangen. Der Blick ihrer grossen dunklen und stechenden Augen war kalt und fast starr, und ihre etwas duennen, gewoehnlich fest zusammengeschlossenen Lippen oeffneten sich je nach dem Range und der Stellung ihrer Gaeste zu einem mehr oder weniger hoeflichen und verbindlichen Laecheln. In ihrer ganzen Erscheinung durchaus von ihrer Mutter verschieden stand ihre Tochter, ein junges Maedchen von achtzehn Jahren, neben ihr. Fraeulein Cohnheim trug eine unendlich einfache Balltoilette von zartestem weissem Stoff, mit kleinen, fast unbemerkbaren Silbersternen uebersaeet; ihr Haar war mit frischen Maiblumen und Rosenknospen geschmueckt. Sie trug keine Edelsteine, keinen Schmuck; und in der That waren auch die einfachen natuerlichen Blumen der schoenste und passendste Schmuck fuer diese so zarte Erscheinung, welche von dem idealen Schimmer jener eigentuemlichen orientalischen Schoenheit ueberhaucht war, welche man gewoehnlich mehr in den Schoepfungen der Kuenstler, als in der Wirklichkeit findet. Der durchsichtige Teint des jungen Maedchen zeigte jenen eigentuemlichen Schmelz, welcher auf der zarten Schale der im Sonnenlicht des Suedens gereiften Pfirsich liegt; ihr ebenholzschwarzes Haar war wie von blaeulichem Phosphorschimmer uebergossen.--Ihre grossen dunklen Augen blickten wie traeumerisch fragend in die Welt hinein, und um ihren zarten feinen Mund spielte ein halb kindlich harmloses, halb melancholisches Laecheln. Die Saele fuellten sich immer mehr. Es kamen zahlreiche Matadore der hohen Finanzwelt mit ihren Frauen und Toechtern--es kamen Geheimraethe trocken, steif und wuerdevoll mit mehr oder weniger dicht behaengten Ordenskettchen im Knopfloch. Die Damen der Bureaukratie blickten musternd und pruefend auf die Toiletten der Frauen und Toechter der Commerzien- und Commissionsraethe, indem sie durch ihren wuerdevollen und zurueckhaltenden Ernst zu erkennen gaben, dass sie sich wohl bewusst seien, wie die Wuerde des Ranges und der Stellung sie trotz ihrer einfachen und zuweilen etwas duerftigen Anzuege doch hoch ueber jene in Federn, Diamanten und schwerer Seide prangenden Damen erhebe. Dann kamen junge Officiere in den Uniformen fast aller Regimenter der Garde, welche sich Alle bald unter die Gruppen der im Tanzsaal harrenden jungen Damen mischten und ihre Feldzugsplaene fuer die Taenze des Abends feststellten. Der Commerzienrath war unerschoepflich in Liebenswuerdigkeit beim Empfang seiner Gaeste. Doch wusste er dabei mit unendlicher Schaerfe und Feinheit die Nuancirungen seiner Hoeflichkeit jedem Eintretenden gegenueber genau abzumessen. Mit einer gewissen zuversichtlichen Vertraulichkeit begruesste er die Geheimenraethe, und trat irgend ein magerer und steifer Herr mit einem kleinen auslaendischen Stern auf dem Frack herein, so legte er wohl seinen Arm in den seines Gastes und begleitete denselben mit einigen Scherzworten bis zur Thuer des naechsten Zimmers, um sich dann zum Empfang der Neueintretenden zurueckzuwenden. Mit wuerdevoller Zurueckhaltung begruesste er die Mitglieder der Finanzwelt, deren Stellung an der Boerse noch nicht fest begruendet war. In tiefer Ehrerbietung verneigte er sich vor den grossen Matadoren der Geldwelt; mit cordialer Herzlichkeit drueckte er irgend einem rasch vorueberschreitenden Gardeofficier mit altem Grafen- oder Freiherrntitel die Hand. Mit fast fuerstlicher Herablassung neigte er den Kopf gegen junge Kaufleute, welche, um den Tanzsaal zu fuellen, in feine Gesellschaften zugelassen wurden. Und mit der Miene eines schuetzenden Maecens klopfte er diesem oder jenem Kuenstler auf die Schulter, welcher seine Salons betrat und vielleicht im Stillen die Hoffnung hegte, dass der reiche Commerzienrath ihm eines Tages eins seiner Werke abnehmen werde. Die Saele waren schon stark gefuellt, Lakaien in reich gallonirten Livreen praesentirten den Thee und jenes dumpfe Gesumme fluesternder Stimmen, welches sich stets beim ersten Beginn grosser Gesellschaften vernehmen laesst erfuellte die Raeume. Die Thueren des ersten Salons, welche seit einiger Zeit geschlossen geblieben waren, oeffneten sich abermals, und der Commerzienrath ging rasch den zwei jungen Leuten entgegen, welche neben einander eintraten. Es war der junge Baron von Rantow und der Lieutenant von Buechenfeld, der Sohn des Oberstlieutenants, welcher in der Parterrewohnung desselben Hauses am Theetisch seines Freundes sass. Der Referendar von Rantow hatte entschiedene Aehnlichkeit mit seinem Vater. Sein Gesicht war huebsch, vornehm, aristokratisch geschnitten und anziehend durch die frische jugendliche Gesundheit und durch das wohlwollende, gutmuethige und freundliche Laecheln, welches auf demselben lag. Doch hatten seine hellen klaren Augen denselben etwas gleichgueltigen oberflaechlichen Blick wie diejenigen seines Vaters. In seinem Laecheln lag ein Zug hochmuetigen Selbstbewusstseins, der ohne jene Beimischung von Gutmuetigkeit und Herzlichkeit beinahe haette unangenehm beruehren koennen. Die ganze Haltung des mit aeusserster Eleganz und hoechster Einfachheit gekleideten jungen Mannes zeigte vornehme und leichte Sicherheit. Er betrat die Gesellschaftsraeume des Commerzienraths mit einer Miene, aus welcher ein wenig von dem Bewusstsein hervorschimmerte, dass er durch sein Erscheinen in diesem Hause mehr Ehre gebe, als empfange. In der einfachen Uniform eines Linien-Infanterieregiments erschien, durch das schnelle Vorschreiten des Herrn von Rantow einen Schritt zurueckbleibend, der Lieutenant von Buechenfeld. Der junge Mann war hoch und schlank gewachsen, seine Haltung war fest und ritterlich, fast etwas starr, und die Zuege seines magern, scharf geschnittenen bleichen Gesichts zeigten maennliche Kraft, Muth und Entschlossenheit, doch dabei auch eine stolze, fast feindlich abwehrende Verschlossenheit. Auf der Oberlippe seines schoen geformten, fest zusammengepressten Mundes kraeuselte sich ein leichter blonder Schnurrbart. Seine hellen grauen Augen blickten so ernst und liessen aus ihrem eigentuemlichen Glanz eine solche Tiefe hervorleuchten, dass sie in einzelnen Augenblicken von fast dunkler Farbe zu sein schienen. Der Commerzienrath drueckte mit unendlich liebenswuerdigem Laecheln dem jungen Baron von Rantow die Hand, waehrend er zugleich mit freundlicher Hoeflichkeit den Kopf gegen den jungen Offizier wandte. "Wie unendlich bedaure ich, mein lieber Herr von Rantow, dass Ihr Herr Vater und die Frau Mama verhindert sind, mich heute zu besuchen. Es verdirbt mir fast die Freude an meinem ganzen Fest," fuegte er hinzu, indem er seine laechelnden Zuege fast mit Gewalt zu einem trueben Ausdruck zwang, "Ihre Eltern heute nicht bei mir zu sehen." "Es thut meinen Eltern ebenfalls sehr leid," sagte Herr von Rantow mit leicht degagirten Ton, indem sein Blick ueber den Commerzienrath hinweg nach dem andern Salon hinschweifte, "dass sie Ihrer Einladung nicht haben Folge leisten koennen. Doch ist mein Vater stark erkaeltet und meine Mutter, wie Sie begreifen koennen, wollte ihn nicht allein lassen." "Nun," sagte der Commerzienrath, "ich freue mich wenigstens, dass Sie gekommen und dass ich doch ein Glied Ihrer verehrten Familie bei mir sehe. Eilen Sie, eilen Sie," fuegte er hinzu, indem er den jungen Mann nach dem Tanzsaal hinfuehrte--"der Tanz wird sogleich beginnen und die Damen werden schon sehr umlagert. Meine Tochter hat Ihnen gewiss noch einen Tanz aufgehoben," fuegte er dem jungen Mann auf die Schulter klopfend hinzu und verliess denselben auf der Schwelle des Saals, sich zu der Eingangsthuer zurueckwendend, ohne den Lieutenant von Buechenfeld weiter zu beachten, welcher hinter Herrn von Rantow ebenfalls in den Tanzsaal eintrat. Fraeulein Cohnheim hatte waehrend dieser Zeit neben ihrer Mutter gestanden, meist nur mit hoeflicher schweigender Verbeugung die Damen begruessend und einzelne Worte mit den jungen Herren wechselnd, welche zu ihr herantraten, um sie um einen Tanz zu bitten. Sie hatte einige Engagements angenommen, andere abgelehnt und blickte von Zeit zu Zeit wie fragend und suchend ueber die Gruppen hin, welche sich in dem Tanzsaal vor ihr bewegten. Als Herr von Rantow und Herr von Buechenfeld in den Saal eintraten, flog eine augenblickliche leichte Roethe ueber das Gesicht des jungen Maedchens. Ihr Blick leuchtete einen Moment auf--dann schlug sie die Augen nieder und gab einer Dame, welche sich soeben zu ihr wandte, eine Antwort, welche nicht ganz auf die Anrede zu passen schien und einen etwas erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht der zu ihr Sprechenden hervorrief. Der Referendar von Rantow schritt rasch und sicher durch den dicht mit Menschen gefuellten Saal, indem er hier und dort einen Bekannten begruesste und trat in das Zimmer, in welchem die Commerzienraethin mit ihrer Tochter sich befand. Er machte der Dame des Hauses, welche ihn mit ausgezeichneter Liebenswuerdigkeit empfing, seine Entschuldigungen in Betreff des Ausbleibens seiner Eltern und wandte sich dann zu dem Fraeulein Cohnheim. "Ich bin etwas spaet gekommen, mein gnaediges Fraeulein," sagte er. "Unaufschiebliche Arbeiten hielten mich noch ab. Darf ich hoffen, dass Sie noch einen Tanz fuer mich frei haben?" "Ich bedauere sehr," erwiderte das junge Maedchen mit einem Blick auf die Tanzordnung, waehrend ihre Mutter ziemlich kalt und oberflaechlich die Begruessung des Lieutenants von Buechenfeld erwiderte; "Alle meine Taenze sind besetzt." "Das ist ja ein wahres Unglueck!" rief der junge Herr von Rantow, waehrend er versuchte, den gleichgueltigen Ausdruck von seinem Gesicht verschwinden zu lassen.--"ein Unglueck," fuegte er hinzu, "auf das ich uebrigens haette gefasst sein muessen, wenn ich nicht die leise Hoffnung gehabt haette, dass Sie vielleicht die Guete haben wuerden mir einen Tanz zu reserviren." Die Commerzienraethin wandte sich ein wenig erstaunt zu ihrer Tochter. "Soviel ich bemerkt," sagte sie, "hast Du noch kein Engagement fuer den Cotillon angenommen." "Ah" rief Herr von Rantow freudig, "sollten Sie mir vielleicht diese glueckliche Ueberraschung gemacht haben?" "Ich bin fuer den Cotillon versagt," erwiderte Fraeulein Cohnheim ernst und kalt, indem ihr Blick zu dem neben ihrer Mutter stehenden jungen Officier hinueberflog. Dieser trat rasch heran und sprach: "Darf ich hoffen, dass Sie sich des Versprechens noch erinnern, das Sie mir auf dem letzten Ball fuer den naechsten Cotillon gegeben?" "Was ich versprochen halte ich stets," erwiderte die junge Dame mit freundlichem Laecheln den Gruss des Officiers erwidernd. "Sie sehen," fuhr sie fort, ihm ihre Tanzordnung hinreichend, "Ihr Name steht bereits beim Cotillon notirt." Ein strenger hochmuetiger Blick der Commerzienraethin traf den Lieutenant von Buechenfeld. Wie missbilligend schuettelte sie leicht den Kopf und wandte sich von ihrer Tochter ab, waehrend der Referendarius von Rantow mit leichter Verbeugung zuruecktrat. Die Musik im Tanzsaal begann den ersten Walzer zu spielen. Die Paare traten an. Der Taenzer des Fraeulein Cohnheim erschien und fuehrte die junge Dame in die Reihen. Herr von Rantow und der Lieutenant von Buechenfeld blieben einen Augenblick neben einander stehen. "Du hast mir die Kleine weggekapert," sagte der Referendarius, indem sein Blick ueber den Saal hinschweifte. "Das ist nicht huebsch von Dir, nun habe ich heute gar keine Gelegenheit mich mit ihr zu unterhalten, und ich moechte doch gern einmal laenger mit ihr sprechen, um zu sehen, was denn eigentlich hinter diesem huebschen Gesicht steckt. Sie ist sehr gut erzogen und hat auch gute Manieren, und wenn die commerzienraethlichen Eltern nicht waeren, es waere am Ende keine ueble Partie." Er hob sein Lorgnon an's Auge und musterte einige in seiner Naehe stehende Paare. Der Lieutenant von Buechenfeld war bei den Worten des Herrn von Rantow fluechtig erroethet, er sah ihn mit einem eigenthuemlich pruefenden Blick seiner tiefen Augen an und folgte dann, ohne eine Antwort zu geben, den anmuthigen Bewegungen der Tochter des Hauses, welche soeben im Tanze an ihm vorbeischwebte. Waehrend der Ball im grossen Mittelsaal seinen Fortgang nahm, waehrend die aeltern Damen theils an den Waenden des Tanzsaals, theils in den unmittelbar daran stossenden Zimmern ihre Plaetze einnahmen und sich in mehr oder weniger liebevollen Kritiken ueber die tanzenden Paare ergingen, bildeten sich in den entfernteren Raeumen Gruppen der aelteren Herren. Ein ziemlich starker Mann von etwa fuenfzig Jahren mit vollem rothen Gesicht und rueckwaerts gekaemmtem Haar stand lebhaft sprechend und gesticulirend in einem Kreise von fuenf bis sechs anderen Herren, welche ihm aufmerksam zuhoerten. "Ich sage Ihnen, meine Herren," rief er, "unser Norddeutscher Reichstag mag eine ganz gute Institution sein und wird gewiss viel zur Einheit und Verkehr im Handel und Wandel wie auch zur Gesetzgebung beitragen. Aber es ist doch immer nur ein halbes Werk und die Hauptsache liegt in der Vereinigung mit den Suedstaaten. Und von dieser Vereinigung sind wir jetzt weiter entfernt als je vorher." "Warum das, Herr Director," fragte ein langer, fast aengstlich magerer Herr mit einem faltigen, leberkranken Gesicht, welcher eine Kette mit verschiedenen kleinen Decorationen im Knopfloch trug und jene eigenthuemliche, halb geheimnissvolle, halb ueberlegene Miene hatte, welche ein besonderes Kennzeichen der hoehern preussischen Bureaukratie bildet. "Die Vertraege, welche in militairischen Beziehungen mit den sueddeutschen Staaten abgeschlossen sind, bilden ja ein festes Band, welches sich in der Stunde der Gefahr gewiss bewaehren wuerde. Und gerade in Bayern, dem maechtigsten der sueddeutschen Staaten, macht sich eine sehr entschiedene deutsche Bewegung bemerkbar, welche von dem jungen Koenige ganz besonders beguenstigt wird. Wir haben darueber," fuegte er mit einer etwas gedaempften Stimme im Ton einer vertraulichen Mittheilung hinzu, "sehr befriedigende Berichte." "Ihre Berichte moegen befriedigend sein, mein lieber Herr Geheimrath," erwiderte der Bankdirector Huber, "die Wirklichkeit ist es nicht, denn gerade in Bayern arbeitet in diesem Augenblick die ultramontane katholische Partei mit aller Kraft daran, den Anschluss an den Norddeutschen Bund zu verhindern und zu erschweren. Und man taeuscht sich hier gewaltig, wenn man die Macht und Bedeutung dieser Partei gering anschlaegt. Ich bin vor Kurzem in Muenchen gewesen und habe Gelegenheit gehabt, das sehr genau zu beobachten, weil vermiedene Personen, mit denen ich in Geschaeftsbeziehung stehe, gerade zu den uns feindlichen Kreisen gehoeren. Der Koenig, es ist wahr, soll ja, wie man sagt, sehr deutsch gesinnt sein, aber er hat auch sehr particularistische bayerische Gefuehle, und die ultramontane Partei uebt einen grossen Einfluss auf ihn aus, da sie ihn bei der religioesen Seite zu fassen versteht." "Ich kann," sagte der Geheimrath Fintelmann, "kaum glauben, dass die ultramontane Partei in Bayern im Stande sein sollte, den Zug zur deutschen Einigkeit, welcher doch im Volke lebt, wirksam zu bekaempfen. Ausserdem begreife ich eigentlich nicht, was sie dabei fuer ein Interesse haben sollte, die Katholiken werden doch wahrlich in Preussen nicht schlecht behandelt, im Gegentheil, sie stehen hier besser als in manchen katholischen Laendern, und sie wuerden sich selbst schaden, wenn sie sich im Gegensatz stellen wollten zu den nationalen Einigungsbestrebungen." "Die Stellung der Katholiken," erwiderte der Bankdirector, "ist eine vollkommen andere geworden, seitdem man in Rom an der Unfehlbarkeit des Papstes arbeitet. Die verschiedenen Parteigaenger dieses Dogmas sprechen es ganz offen aus, dass sie einen Kampf mit der preussischen Staatsgewalt voraussehen und dass sie deshalb dieser protestantischen Macht gegenueber in Bayern einen Mittelpunkt fuer den deutschen Katholicismus bilden muessen." "Mein Gott," sagte der Geheimrath achselzuckend, "ich glaube, dass man dieser ganzen Unfehlbarkeitsangelegenheit zu viel Bedeutung beilegt. So viel mir bekannt, hat ja der Papst in der katholischen Kirche immer fuer unfehlbar gegolten, und schliesslich ist ja jede oberste Instanz in jeder menschlichen Institution unfehlbar. Lasse man doch ruhig den Papst in Glaubenssachen seine unfehlbaren Decrete sprechen, die staatliche Nationalitaet wird darum ruhig ihren Weg weiter gehen und die Katholiken auch nach dieser neuen Facon selig werden lassen." "Sie legen der Sache umgekehrt zu _wenig_ Bedeutung bei," erwiderte der Bankdirector. "Verzeihen Sie, das ist aber der gewoehnliche Fehler der Herren am gruenen Tisch, dass sie die Folge der Dinge erst dann einsehen, wenn sie wirklich eingetreten sind. Ich bin Rheinlaender," fuhr er fort, "ich bin Katholik und die Unfehlbarkeit des Papstes als oberste Autoritaet in Kirchenverwaltungen und Disciplinarsachen ist ja bei uns nie bestritten, obwohl es mir nicht so recht in den Sinn kommen will, dass eine fremde auslaendische Autoritaet ueber die Angelegenheiten unserer deutschen Kirche zu bestimmen haben soll. Allein ganz etwas Anderes ist es, wenn nunmehr die Unfehlbarkeit des Papstes dogmatisch festgestellt wird, wenn Jeder verflucht und excommunicirt wird, der irgend einem Decret nicht sofort Folge leistet. Damit erwaechst allerdings eine Macht, mit der der Staat auf die Dauer nicht im Frieden leben kann. Eine solche Unfehlbarkeit in Glaubenssachen koennten wir uns allenfalls gefallen lassen, wenn der oberste Leiter der deutschen Kirche ein deutscher Bischof waere. Aber der Papst ist nun einmal ein fremder, ein italienischer Kirchenfuerst, der nicht nur Priester ist, sondern auch seine Politik macht, und es koennten denn doch Verhaeltnisse eintreten, in welchen seine unfehlbaren Decrete der weltlichen Macht und im Besonderen Deutschland sehr wenig genehm sein moechten." "Nun," sagte der Geheimrath mit einem selbstzufriedenem Laecheln, "ich glaube, wir koennen es ruhig abwarten." "Ich wollte," rief der Bankdirector lebhaft, "Sie warteten es nicht ab, sondern traefen Vorkehrungen; wenn aus dieser Frage spaeter ein Conflict entsteht, ohne dass man zur rechten Zeit Stellung genommen hat, so duersten die Consequenzen sehr fatal werden." "Ich glaube, der Bankdirector hat ganz Recht," sagte der Professor Brandt, ein grosser Mann von steifer Haltung, dessen von dunklem, glatt gescheiteltem Haar umgebenes Gesicht geistige Bewegung und scharfe Intelligenz ausdrueckte, obwohl die Augen von einer grossen glaesernen Brille bedeckt waren. "Ich glaube, der Bankdirektor hat ganz Recht und ich wundere mich, dass man sich in massgebenden Kreisen so wenig mit solchen Fragen zu beschaeftigen scheint, welche da am Horizont der Zukunft heraussteigen. Denn gerade in diesem Augenblick muesste man zugreifen, um die Unabhaengigkeit von Rom, um welche die deutschen Bischoefe und die deutschen Kaiser so lange gestritten haben, endlich durchzusetzen. Alle deutschen Bischoefe, der so geistvolle und energische Kettler an der Spitze machten die groessten Anstrengungen gegen die Proclamirung der Unfehlbarkeit. Der katholische Fuerst von Hohenlohe hat die katholischen Maechte schon vor laengerer Zeit aufgefordert, gegen das von Rom aus verbreitete Dogma Stellung zu nehmen. In diesem Augenblick muesste man eingreifen. Wuerde die staatliche Autoritaet jetzt den Bischoefen die Hand reichen, es liesse sich da vielleicht etwas Grosses erreichen, und vielleicht liesse sich jetzt mit einem Male die durch das ganze Mittelalter erstrebte Unabhaengigkeit der deutschen Kirche von Rom herstellen. Man sollte," fuhr er in etwas docirendem Tone, aber mit dem Ausdruck tiefer Ueberzeugung fort, "man sollte in dieser Angelegenheit energisch handeln. Die Herstellung eines vollstaendig geeinigten Deutschlands liegt ja doch im Zug der Zeit, und wie das alte deutsche Reich und die Autoritaet der Kaiser keinen gefaehrlicheren Feind gehabt hat als die roemische Hierarchie, so wird auch das neue deutsche Reich, wenn ein solches, wie Gott geben mag, jemals ersteht, sogleich wieder den alten Gegner sich gegenueberstellen sehen. Wenn man die Bischoefe jetzt im Stich laesst, wenn ihnen die Staatsautoritaet nicht zu Huelfe kommt, so werden sie sich unterwerfen und es wird spaeter sehr schwer sein, sie wieder von Rom zu trennen." "Mein lieber Professor," sagte der Geheimrath im Ton wohlwollender Belehrung, "Alles, was Sie da sagen, ist in der Theorie sehr schoen. Wir haben uns aber bei Regelung des Staatslebens an die Praxis zu halten und viele Ruecksichten zu nehmen, welche man ausserhalb der eingeweihten Kreise nicht immer vollstaendig zu wuerdigen versteht." "Ruecksichten? Ruecksichten?" rief der Bankdirector. "Mit Ruecksichten ist noch niemals etwas Grosses geschaffen worden. Ich bin ganz der Meinung des Professors, in diesem Augenblick sollte man eingreifen, in diesem Augenblick ist Uneinigkeit unter der Hierarchie, der Nationalinstinct ist lebendig in dem deutschen Episkopat. Warten wir ab, bis sie wieder Alle einig geworden sind, so wird es vielleicht zu spaet sein." Freundlich laechelnd trat der Commerzienrath Cohnheim in den Kreis. "Die Herren sprechen ja so ernsthaft," sagte er, "als waeren sie im Reichstage. Ich bitte Sie, lassen Sie die Politik und die ernsten Fragen. Wollen Sie eine Cigarre rauchen?" fuegte er hinzu, "dort im letzten Zimmer habe ich ein kleines Rauchcabinet etablirt. Sie finden ganz vortreffliche Regalia's von der letzten Ernte, ich habe sie vor Kurzem aus Hamburg bekommen. Es ist entsetzlich," fuegte er hinzu, "welche theuere Passion jetzt das Rauchen wird, man wird kaum noch eine gute Cigarre erschwingen koennen." "Wenn Sie das schon sagen, mein lieber Herr Commerzienrath," sprach der Geheimrath mit einem sauer-suessen Laecheln, "was sollen wir dann sagen, die wir mit den Herren von der Finanz gar nicht mehr Schritt halten koennen." "Dafuer aber," erwiderte der Commerzienrath, "haben Sie die Hand an der Leitung der Ereignisse, die Ehre, den Einfluss!" Der Geheimrath entfernte sich mit einer Miene, welche deutlich ausdrueckte, dass Ehre und Einfluss ihm nicht vollwichtige Aequivalente fuer die mangelnden materiellen Mittel erschienen. Er begab sich in das Rauchcabinet, um eine von den gepriesenen Regalia's zu versuchen. "Ich habe ein vortreffliches Project," sagte der Commerzienrath zu dem Bankdirector, waehrend der Professor zu einem grossen Tisch trat und eins der darauf ausgebreiteten Albums oeffnete, "ein Freund von mir, der Baron von Rantow, Mitglied des Herrenhauses, hat auf seinen Besitzungen in Schlesien ein Zinklager entdeckt, zu dessen Ausbeutung grosse Capitalkraefte noethig sind, die dann allerdings aber auch eine grosse Rentabilitaet verspricht. Ich beschaeftige mich diesen Augenblick damit, ein Consortium zu bilden, um die Sache in die Hand zu nehmen.--Ich glaube, dass es ein vortreffliches Geschaeft fuer Ihre Bank waere, sich dabei zu betheiligen." Er ergriff den Arm des Bankdirectors, fuehrte ihn zu einem in der Ecke des Zimmers stehenden Divan und vertiefte sich mit ihm in ein laengeres und eingehenderes Gespraech. Der Ball nahm seinen Fortgang, die Herren an den Whisttischen spielten feierlich und wuerdevoll einen Robber nach dem andern. Die junge Welt tanzte unermuedlich, die Locken der Damen begannen sich zu loesen, die Blumen begannen allmaelig zu welken und die aelteren Damen an den Waenden des Saals verstummten mehr und mehr und blickten nur noch truebe und theilnahmlos, oft mit Schlafanwandlungen kaempfend in das Treiben vor ihnen. Der Referendarius von Rantow hatte wenig getanzt, sich der Reihe nach mit vielen aelteren Damen unterhalten und sich dann neben die Commerzienraethin gesetzt, mit welcher er angelegentlich und eifrig sprach, und welche mit der liebenswuerdigsten Aufmerksamkeit ihm zuhoerte. Der Lieutenant von Buechenfeld war still und ruhig an der Thuer des Tanzsaals stehen geblieben, sinnend, mit einem wehmuethigen, fast traurigen Ausdruck blickte er ueber die bunte Gesellschaft hin, und nur zuweilen leuchtete sein Auge hoeher auf, wenn er dem Blick der Tochter des Hauses begegnete, welche in den Pausen des Tanzes stets von einem Kreise junger Herren umgeben war und oft wie fragend zu ihm hinueber sah. Endlich trat die allgemein ersehnte Pause des Soupers ein, alle Welt nahm an kleinen Tischen Platz. Der Commerzienrath wurde nicht muede, hin- und herzugehen und bald diesen, bald jenen seiner Gaeste auf irgend eine Schuessel des vortrefflich bestellten Bueffets aufmerksam zu machen, oder einen Lakaien herbeizurufen, um den von ihm Bevorzugten ein Glas besonders empfohlenen Weins zu serviren. Fraeulein Cohnheim war auch hier wieder von einem grossen Kreise junger Damen und Herren umringt. Abermals warf sie einen fluechtigen fragenden Blick auf den jungen Officier, aber dieser naeherte sich ihr nicht, sondern blieb in der Naehe des Bueffets und nahm nur mit wenigen kurzen Bemerkungen an der Unterhaltung einiger Kameraden Theil, welche keine Plaetze mehr in dem Kreise der Damen gefunden. Das Souper war beendet. Die Musik intonirte die Aufforderung zum Cotillon; die junge Welt erhob sich, die Paare fanden sich zusammen und begaben sich in den Tanzsalon. Fraeulein Cohnheim war aufgestanden, hatte sich langsam der Thuere des Speisezimmers genaehert und blickte erwartungsvoll umher. Rasch trat der Lieutenant von Buechenfeld auf sie zu, reichte ihr mit stummer Verbeugung die Hand und fuehrte sie zu zwei Stuehlen, welche ein wenig abseits unter einer Decoration von gruenen Gewaechsen standen. Die jungen Leute setzten sich nieder, der Cotillon begann. "Sie sind so ernst, fast verstimmt heute Abend, Herr von Buechenfeld," sagte die junge Dame mit dem Ausdruck herzlicher Theilnahme. "Was fehlt Ihnen? Ist Ihnen etwas Unangenehmes widerfahren? Sie haben sich beim Souper von unserm Kreise zurueckgezogen, oder haben Sie--" fuegte sie, die Augen niederschlagend, mit leicht zitternder Stimme hinzu, "mir irgend Etwas uebel genommen?" "Wie koennte ich das," erwiderte Herr von Buechenfeld, indem sein Blick tief und innig auf dem Antlitz des jungen Maedchens ruhte, welches die leichte Verwirrung, in der sie sich befand, nur noch schoener erscheinen liess. "Aber Sie haben Recht," fuhr er seufzend fort, "ich bin verstimmt--und mehr als verstimmt--ich bin traurig, ernsthaft traurig--und fast wuenschte ich, garnicht nach Berlin gekommen zu sein." "Und warum das?" fragte Fraeulein Cohnheim, ihre grossen Augen treuherzig zu ihm aufschlagend. "Haben Sie hier keine Freunde, welche gern bereit sind, an Ihrem Kummer Theil zu nehmen und Sie zu troesten. Ich wuesste uebrigens nichts," fuhr sie in scherzendem Ton fort, "was Sie traurig machen koennte." "Wenn Sie es nicht wissen," sagte Herr von Buechenfeld, indem er ihr fest und grade in die Augen sah, "so muss mich das eigentlich noch trauriger machen. Ich bin hierher gekommen," fuhr er fort, "mit leichtem froehlichen Herzen, voll Muth und Vertrauen auf die Zukunft, und wenn ich von hier wieder fortgehe, so werde ich um viele Traeume, um viele Hoffnungen aermer sein, die vielleicht besser niemals in mein Herz eingezogen waeren." Das junge Maedchen neigte erroethend den Kopf und schwieg einige Augenblicke. Dann richtete sie sich mit einer raschen Bewegung wieder hoch empor, blickte den jungen Mann voll und klar an und sprach mit einer festen, aber zugleich weichen und dabei zaertlichen Stimme. "Warum sollten Traeume, warum sollten Hoffnungen ungluecklich machen? Wenn ein lieber Traum zur Wirklichkeit wird, wenn eine schoene Hoffnung sich erfuellt, das ist ja das beste Glueck, das uns auf Erden zu Theil werden kann." Ein flammender Blitz zuckte aus den Augen des jungen Mannes. "Diese Worte aus Ihrem Munde, Fraeulein Anna," sagte er mit lebhafter Bewegung, "sollten mich uebergluecklich machen und dennoch--dennoch--" fuhr er mit tief traurigem Tone fort, "kann ich an die Erfuellung meiner Hoffnungen, an die schoene Wirklichkeit meiner Traeume nicht glauben." Sie sah ihn fragend und fast vorwurfsvoll an. "Fraeulein Anna," sprach er, wie einem schnellen Entschluss folgend, "es muss klar werden durch die trueben Nebel, welche mein Herz bedruecken, denn die schmerzlichste Klarheit ist immer noch besser als die dumpfe Daemmerung widersprechender Gefuehle. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen frei und ohne Rueckhalt zu sagen, was mein Herz bedrueckt?" Abermals schlug sie erroethend die Augen nieder Ein leichtes Zittern flog durch ihre ganze Gestalt, dann machte sie eine Bewegung, als wolle sie dem jungen Officier die Hand reichen. Sie hielt sie jedoch zurueck, ein rascher Blick glitt ueber den Saal ueber die Tanzenden hin, und sie sagte mit herzlichem Ton: "Koennen Sie an meiner Theilnahme zweifeln?" "Nun, Fraeulein Anna," sprach er, sich ein wenig zu ihr hinueberneigend, "Sie muessen es bemerkt haben, dass, seit ich Sie kenne, meine ganze Seele Ihnen entgegengeflogen ist, dass mein Fuehlen, mein Denken, mein ganzes Leben sich nur um Sie als leuchtenden Mittelpunkt dreht. Sie muessen bemerkt haben, dass ich Sie liebe, und dass diese Liebe immer maechtiger mich durchdringt und erfuellt, je laenger ich mich in Ihrer Naehe bewegt habe." "Ich habe es bemerkt," fluesterte sie fast unhoerbar, indem ein feucht schimmernder Blick ihrer grossen Augen deutlich die unausgesprochene Frage ausdrueckte, "und ist das denn ein so grosses Unglueck?" Herr von Buechenfeld hoerte die leise gefluesterten Worte. Er sah diesen Blick und verstand die stumme Frage. "Sie haben Recht," sprach er, "eine solche Liebe waere das hoechste Glueck, wenn sie die Hoffnung haben koennte, Erwiderung zu finden--" Sie richtete wiederum ihre Augen mit wunderbarem Ausdruck auf ihn. Wiederum verstand er die stumme Sprache dieser Augen. Es zitterte einen Augenblick wie ein Wonneschauer durch sein Gesicht, dann aber legte sich wieder der tiefe traurige Ernst auf seine Zuege--er fuhr fort: --"und wenn die Verhaeltnisse fuer diese Liebe eine glueckliche Zukunft unmoeglich machten, Fraeulein Anna,"--sie sah ihn ganz erstaunt an, als begriff sie seine Worte nicht--"ich bin ein armer Officier, meine Zukunft beruht auf meiner Arbeit und Thaetigkeit, auf einer langjaehrigen muehevollen und angestrengten Arbeit. Nach Jahren kann ich erst in der Lage sein, an die Gruendung einer Haeuslichkeit zu denken, dem Wesen, das ich liebe, eine sichere Existenz zu bieten. Kann ich," fuhr er mit einem brennenden Blick fort, "von Ihnen, selbst wenn Sie einige Theilnahme fuer mich empfinden, selbst wenn Ihr Herz sich freundlich zu mir neigt, kann ich von Ihnen erwarten, dass Sie die Jahre der Jugend opfern, um den unsichern Erfolg meiner Thaetigkeit, meines Ringens und Strebens zu erwarten. Und wenn dieser Erfolg ausbleibt--ich allein koennte eine zerstoerte Carriere, ein verfehltes Leben ertragen, aber ich wuerde vernichtet zusammenbrechen, wenn ich auch die Hoffnungen eines andern Lebens zerstoert sehen muesste, das so reich berechtigt ist zu Freude und Glueck. Darum ist es besser," fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, waehrend sie ihn fortwaehrend mit ihren grossen Augen fest ansah, "darum ist es besser, ich reisse mich jetzt kraftvoll von allen jenen Traeumen los und verfolge meinen eigenen Weg.--Sie werden mich vergessen," sprach er seufzend, "und mich wird die Erinnerung an Sie immer noch gluecklich machen. Sie wird wie ein freundlicher Lichtschein, wie ein Stern, der unerreichbar hoch ueber uns schwebt, mein Leben verklaeren." Anna hatte ernst und unbeweglich zugehoert; als er schwieg, leuchtete ihr Blick hoeher auf, ein Zug fester Energie und muthiger Entschlossenheit legte sich um ihre sonst so weichen kindlichen Lippen, indem sie sich ein wenig zu dem jungen Officier hinueberneigte, sprach sie mit leiser Stimme, aber jedes Wort scharf und klar betonend. "Sie irren sich, Herr von Buechenfeld, ich werde Sie nicht vergessen--ich kann Sie nicht vergessen! Und von dem Augenblick an," fuhr sie, ihn fast befehlend anblickend, fort, "von dem Augenblick an, wo ich Ihnen dies gesagt habe, duerfen Sie sich nicht von mir wenden, Sie duerfen mich nicht allein lassen. Und wenn Sie Ihren Weg einsam durch das Leben verfolgen, so wird das Licht des Sternes, von dem Sie eben gesprochen haben, Ihnen nicht mehr leuchten, denn dieser Stern selbst wird sein Licht und seinen Glanz verloren haben." "Fraeulein Anna," sagte er, muehsam seine Erregung unterdrueckend, "solche Worte sollten mich auf die hoechste Hoehe der Glueckseligkeit erheben. Aber mein Gott," sagte er, die Haende in einander faltend, "es ist ja nicht moeglich." "Nicht moeglich," sagte sie sanft, "warum nicht moeglich? Haben wir noethig, auf die Vollendung Ihrer Carriere zu warten? Ich schwoere Ihnen," fuhr sie fort, "aller Reichthum und Glanz, mit welchem mein Leben umgeben ist, ist mir immer gleichgueltig gewesen.--Aber in diesem Augenblick danke ich Gott, dass mein Vater reich ist, denn dadurch sind wir ueber die traurige Nothwendigkeit erhoben, das Glueck unserer Liebe abhaengig von den Zufaelligkeiten dieses Lebens zu machen." Herr von Buechenfeld richtete sich hoch empor. Er sah das junge Maedchen mit einem Blick voll hohen, fast kalten Stolzes an. "Und wuerden Sie," sprach er in heftiger Bewegung mit muehsam gedaempfter Stimme, "wuerden Sie, Fraeulein Anna, einen Mann lieben koennen, wuerden Sie einem Mann Ihr Leben anvertrauen koennen, der seine Existenz, seine Stellung in der Welt auf das Vermoegen seiner Frau begruendet?--Ich," fuhr er, die Lippen zusammenpressend fort,--"ich wuerde eine solche Stellung nicht annehmen, nicht um den Preis des hoechsten Glueckes." "Soll die Liebe," fragte sie leise, "welche die Herzen und die Seelen _vereinigt_, jenen elenden Besitz der aeusseren Gueter des Lebens _theilen_? Wenn liebende Herzen das Hoechste und Goettlichste im Menschenleben gemeinsam umfassen, sollen sie fragen, ob die untergeordneten Elemente des materiellen Lebens dem Einen oder dem Andern gehoeren? Muss ich Sie bitten," fuegte sie mit einem wunderbar weichen, fast demuethig zu ihm empor gerichteten Blick hinzu, "muss ich Sie bitten, mir zu verzeihen, dass mein Vater reich ist?" "Mein Gott, Fraeulein Anna," rief er, "welche Qual macht mir das sonnige Glueck, das Sie mir zeigen, und nach welchem ich doch," fuegte er dumpf hinzu,----"nach welchem ich doch die Hand nicht ausstrecken darf.--Glauben Sie," fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, "dass, wenn mein Stolz sich Ihnen gegenueber beugen koennte, glauben Sie, dass Ihr Vater jemals einen armen aussichtslosen Officier, den er," sagte er bitter, "wohl als Staffage fuer seine Gesellschaftssalons benutzt--als Bewerber um seine Tochter annehmen wuerde?" "Und glauben Sie," erwiderte sie schnell, indem ihr sonst so weicher Blick hell aufleuchtete, "dass ich nicht die Kraft und den Muth haben wuerde, auch fuer meinen Willen und mein Glueck zu kaempfen?" Der Cotillon hatte seinen Fortgang genommen. Ein kleiner Tisch mit reizenden frischen Bouquets stand in der Mitte des Saales. Die Herren vertheilten dieselben an die Damen. Der Ball befand sich auf dem Hoehepunkt seines Interesses fuer die junge Welt, waehrend die aelteren Herren nur noch muehsam und gezwungen ihre Gespraeche fortsetzten, und die Muetter an den Waenden des Tanzsaals nur noch in lethargischer Unbeweglichkeit gleichgueltig und starr auf die Touren des Cotillons hinblickten. Der Referendarius von Rantow, welcher an dem Tanz nicht Theil genommen, trat zu dem Blumenkorb, nahm ein kleines zierliches Bouquet von Veilchen und Rosenknospen und brachte es der schoenen Tochter des Hauses. Als Fraeulein Cohnheim nach der Tour zu ihrem Platz zurueckkehrte, sprach der Lieutenant von Buechenfeld, welcher mit finstern Blicken die tanzenden Paare verfolgt hatte: "Sehen Sie, Fraeulein Anna, von allen Seiten werden sich die Bewerber um Sie draengen, und zwar Bewerber, welche in den Augen Ihres Vaters so unendlich weit ueber mir stehen muessen. Und auch Sie," fuhr er leise fort, "werden endlich unter allen diesen glaenzenden jungen Leuten, welche Sie umschwaermen, mich vergessen muessen, da ich ja mit jenen Allen den Vergleich nicht aushalten kann." Sie blickte ihn einen Augenblick gross und sinnend an, dann schuettelte sie langsam den Kopf und mit einer raschen Bewegung reichte sie ihm das kleine Bouquet, welches Herr von Rantow ihr soeben gebracht hatte. "Wie schlecht kennen Sie mich," sagte sie, "wie ich Ihnen diese Blumen gebe, so moechte ich Alles, was mir das Leben an Bluethen bietet, nur dazu benutzen, um Ihnen Freude zu machen." Er nahm die kleinen Blumen und drueckte sie wie begeistert an seine Lippen. Ehe er antworten konnte, traten andere Herren heran, und in den folgenden Touren des Cotillon wurde Fraeulein Cohnheim als die gefeierte Tochter des Hauses so sehr in Anspruch genommen, dass ein ruhiges Gespraech nicht mehr moeglich war. Der Tanz war zu Ende. Langsam fuehrte Herr von Buechenfeld Fraeulein Cohnheim zu ihrer Mutter zurueck. Als sie am Ende des Saales angekommen waren, hielt das junge Maedchen ihn durch einen festen und energischen Druck ihrer Hand zurueck. Er blieb einen Augenblick stehen. Sie neigte sich zu ihm hinueber, und indem sie auf ihrem Gesicht den harmlos laechelnden Ausdruck leichter Conversation festhielt, sprach sie, indem ihre Augen sich tief in die seinigen tauchten. "Ich will nicht, dass unser Gespraech zu Ende sei, Herr von Buechenfeld. Ich bitte Sie die Blumen zu bewahren, die ich Ihnen gegeben; ich bitte Sie dieselben taeglich zu betrachten und sich dabei zu erinnern, dass Sie nicht nur Pflichten gegen Ihren Stolz haben, sondern auch heilige Pflichten gegen Ihre Liebe, nachdem Sie einmal das Wort Liebe ausgesprochen haben,--nach Dem, was ich Ihnen gesagt, waere es nicht ritterlich, mich zu verlassen, und etwas Unritterliches zu thun ist Ihnen unmoeglich. Ich habe Ihnen das hoechste Vertrauen bewiesen, das man einem Manne zeigen kann. Jetzt ist es an Ihnen, Vertrauen zu mir und der Zukunft zu haben." Rasch schritt sie weiter und verneigte sich, an der Seite ihrer Mutter angelangt, stumm gegen ihren Taenzer, der sich, ohne eines Wortes maechtig zu sein, zurueckzog, seinen Helm und Degen nahm und schweigend, in tiefe Gedanken versunken, die Gesellschaftsraeume verliess. Allmaelig empfahlen sich die Gaeste. Der junge Herr von Rantow unterhielt sich noch laengere Zeit mit der Commerzienraethin und ihrer Tochter. Und als er endlich Abschied nahm, fuehrte der Commerzienrath ihn vertraulich bis zur aeusseren Thuer und fluesterte ihm zu: "Sagen Sie Ihrem Herrn Vater, dass ich fuer unsere Unternehmung thaetig gewesen bin, und dass ich bestimmte Hoffnung habe, in Kurzem die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Wir werden gute Geschaefte machen," fuegte er schmunzelnd hinzu, "und Ihr kuenftiges Erbe, mein lieber Baron, wird sich um das Dreissig- und Vierzigfache vermehren." Als die Raeume sich geleert hatten, trat der Commerzienrath zu seiner Frau und zu seiner Tochter. "Ein sehr gelungenes Fest," sagte er, sich vergnuegt die Haende reibend, "sehr gute Gesellschaft, Alles war sehr animirt. Und ich habe," fuegte er vergnuegt laechelnd hinzu, "ein gutes Geschaeft gemacht.--Der Baron von Rantow wird ein sehr reicher Mann werden--ein feiner Mann, eine sehr gute Familie, es freut mich sehr, dass wir mit ihnen in diesem Hause zusammen wohnen--ich hoffe, wir werden immer naeher mit einander bekannt werden," fuegte er mit einem Seitenblick auf seine Tochter hinzu. "Ich begreife nicht, Anna," sagte die Commerzienraethin, indem sie die schweren Falten ihrer seidenen Robe mit der Hand glaettete, "ich begreife nicht, dass Du dem jungen Rantow den Cotillon hast abschlagen koennen, um ihn mit diesem Officier zu tanzen, der nicht einmal von der Garde ist, mit diesem Herrn--ich habe seinen Namen vergessen," sagte sie im zerstreuten Ton. "Herr von Buechenfeld," sagte ihre Tochter fest und bestimmt. "Ich hatte ihm den Cotillon auf dem letzten Ball versprochen," fuegte sie in demselben Ton hinzu. "Du haettest eine kleine Ausrede machen koennen," sagte ihre Mutter. "Du hast wirklich nicht noethig, mit so unbedeutenden kleinen Officieren zu tanzen. Ich wuensche, dass Du kuenftig mehr Ruecksicht auf unsere Stellung und unsere Beziehungen nimmst." Anna's Augen flammten auf, ihre Lippen oeffneten sich, als wolle sie Etwas erwidern, doch unterdrueckte sie ihre Antwort, sie wuenschte ihren Eltern kurz gute Nacht und zog sich zurueck. Der Commerzienrath setzte sich neben seine Frau, zuendete eine jener Regaliacigarren an, die er seinen Gaesten vorhin so dringend empfohlen hatte, und Beide unterhielten sich noch laengere Zeit ueber die verschiedenen Beobachtungen in der Gesellschaft, waehrend die Lakaien in den uebrigen Zimmern die Gasflammen ausloeschten. Fuenftes Capitel. Der Reichskanzler von Oesterreich-Ungarn, Graf Beust, schritt langsam und nachdenklich in seinem Cabinet des Palais am Ballhausplatz zu Wien auf und nieder. Sein sorgfaeltig frisirtes Haar war ein wenig duenner und ein wenig grauer geworden; doch die Haltung seiner grossen schlanken Gestalt zeigte noch immer jugendliche Elasticitaet und Frische. Sein bleiches, geistdurchleuchtetes Gesicht, seine klaren, scharfen Augen schienen von dem Fortschritt der Zeit nicht beruehrt worden zu sein; nur das leicht ironische Laecheln seines seinen, etwas seitwaerts gezogenen Mundes war nicht mehr so heiter und siegesgewiss als frueher. Er hielt einen ziemlich umfangreichen Bericht in Quartformat in der Hand und blickte von Zeit zu Zeit kopfschuettelnd auf die grosse und deutliche Schrift welche das Papier bedeckte. "Die Katastrophe," sagte er, an einem der grossen Fenster stehen bleibend und sinnend in die truebe Nebelluft hinausblickend, in welcher einzelne Schneeflocken umherwirbelten, "die Katastrophe, welche seit fast vier Jahren wie eine Wetterwolke ueber Europa haengt, scheint sich dem entscheidenden Ausbruch nahen zu wollen.--Merkwuerdig," fuhr er fort, "alle meine Feinde in Deutschland und auch in Preussen, sie betrachten mich fortwaehrend als den geheimen Ruhestoerer des europaeischen Friedens, und doch ist in all dieser Zeit mein ganzes Bestreben darauf gerichtet, ueberall wo sich die schwebenden Differenzen zu acuten Conflicten zuspitzen, Alles wieder auszugleichen und um jeden Preis die Ruhe zu erhalten. Von der Luxemburger Affaire bis zu dieser Stunde bin ich der unermuedlichste und eifrigste Waechter des Friedens in Europa, denn ich bedarf den Frieden fuer mein Werk, das ich in Oesterreich begonnen. Dies arme, so schwer geschlagene Oesterreich kann noch lange keinen kriegerischen Anstoss ertragen. Alles was im Innern angebaut ist, wuerde zusammenbrechen. Mein Werk--meine Stellung"--fuegte er seufzend hinzu, "wuerde in demselben Augenblick zu Ende sein, in welchem die innere Entwickelung dessen, was ich begonnen, von aussen her gestoert wuerde, und selbst im Fall des Sieges wuerde nicht ich es sein, der die Fruechte desselben pflueckte. Jeder Krieg, der in Europa ausbraeche, wuerde die Leitung der oesterreichischen Angelegenheiten vorzugsweise in die Haende Ungarns legen, denn die militairische Kraft Oesterreichs liegt in Ungarn, und um einer grossen politischen Action diese Kraft zu sichern, wuerden die Forderungen dort sehr weit gehen.--Es bereitet sich Etwas in Frankreich vor, Napoleon wird alt und schwach, er scheint die Zuegel aus den Haenden zu verlieren und die verschiedenartigsten und unberechenbaren Factoren treiben dort ihr Spiel-- --"da ist wieder," fuhr er, den Bericht, welchen er in der Hand hielt, durchblaetternd fort, "dieser General Tuerr mit seiner Coalitionsidee im Gange, und es scheint in der That, dass Napoleon oder Diejenigen, welche seinen schwachen Willen in diesem Augenblick lenken, hinter der unruhigen Thaetigkeit dieses Generals steht.--Diese unzuenftigen Politiker," sagte er, tief aufseufzend, "welche es nicht unterlassen koennen, von Zeit zu Zeit mit uebereifrigen Haenden in das seine Gewebe der politischen Faeden einzugreifen, sind in der That ein Kreuz fuer die wahre Staatskunst, welche nach vernuenftigen Plaenen ihre Ziele verfolgt. Sie koennen es niemals abwarten, die Dinge reif werden zu lassen und wollen vorzeitige Fruechte von den halb angewachsen Baeumen pfluecken." Er ging langsam zu seinem Schreibtisch zurueck und setzte sich in den einfachen Lehnstuhl, welcher vor demselben stand. "Die Idee einer innigen Annaeherung zwischen Frankreich, Oesterreich und Italien ist ja gut und vortrefflich, und ich habe stets die Nothwendigkeit betont, in eine franzoesische Alliance, wenn sie wirksam sein soll, Italien mit aufzunehmen.--Oesterreich koennte einer solchen Combination, welche uns eine feste Stellung in Europa wieder geben wuerde, Opfer bringen. Ich arbeite mit Eifer daran, die guten Beziehungen mit Italien zu pflegen und Vergessenheit alles Geschehenen zur Grundlage fuer die Verhaeltnisse der Zukunft zu machen. Aber man muss nur nicht glauben, dass die Herstellung einer Alliance aus so heterogenen Mitteln, mit so verschiedenartigen Elementen ein Werk des Augenblicks ist. Da faellt dieser General Tuerr mit dem Saebel in die Diplomatie hinein und will alle diese so schwierigen Fragen in drei oder vier Punkten eines Vertrages zusammenfassen, und dann sofort mit vereinten Kraeften in's Feld ruecken, um vielleicht von Neuem in einer uebereilten Action Alles das auf's Spiel zu setzen, was uns aus den schweren Unfaellen von 1866 noch uebrig geblieben ist." Er blickte abermals auf den Bericht. "Wohlwollende Neutralitaet Italiens," sprach er, "militairische Huelfeleistung fuer den Fall, dass Russland activ in die Ereignisse eingreifen sollte.--Und dafuer die italienisch redenden Districte Tyrols.--Das klingt sehr schoen. Das Opfer waere nicht zu schwer fuer die Wiedererlangung der alten Machtstellung Oesterreichs, nachdem ja nun einmal Italien gegenueber das nationale Princip anerkannt worden ist. Aber das Alles bietet doch nur eine sehr unsichere und zweifelhafte Basis fuer eine Politik, bei welcher die Existenz Oesterreichs eingesetzt werden wuerde. Der Koenig Victor Emanuel billigt den Plan.--Aber was bedeutet die Billigung des Koenigs bei den gegenwaertigen Zustaenden in Italien. Wuerde ein solcher Vertrag in der Stille der Cabinette wirklich unterzeichnet--wer buergt dafuer, dass im Augenblick des Handelns das italienische Volk die Abmachung seines Koenigs gut heisst. Wer buergt dafuer, dass nicht ein neues Ministerium dort Alles desavouirt, was seine Vorgaenger abgemacht haben, dass im Augenblick einer besonders gefaehrlichen Entscheidung das kaum zu neuer Kraft erstarkte Oesterreich sich unter gewaltigen und maechtigen Feinden isolirt sieht--" "Nein," rief er, "niemals werde ich die Wege einer so unsicheren und gewagten Politik betreten. Ich will Oesterreich zur Groesse und zur Macht zurueckfuehren, aber ich muss es erst innerlich gesund machen und darf es in die Gefahren auswaertiger Verwickelungen erst dann stuerzen, wenn seine innere eigene Kraft vollstaendig wieder hergestellt ist,--wenn ich des Erfolges sicher bin, denn jeder unglueckliche Ausgang einer militairischen Action wuerde das Ende des heutigen Oesterreichs--das Ende meines Werkes sein." Er warf den Bericht auf den Tisch. "Ich habe den Ausgleich mit Ungarn hergestellt," fuhr er fort--"ich habe es unternommen, die kaiserliche Autoritaet an die Zunge der Wage zu stellen zwischen dem deutschen und dem magyarischen Theil des Kaiserstaats. Jeder Kampf in Europa, bei welchem Deutschland betheiligt waere, wuerde das Schwergewicht auf die Seite Ungarns bringen muessen, denn niemals wird Oesterreich in einer feindlichen Action gegen Preussen oder Deutschland sich auf seine deutschen Elemente stuetzen koennen. Wie man aber in Ungarn ein solches Verhaeltniss benutzen und ausbeuten wuerde, dafuer spricht am deutlichsten wieder dieser Brief Kossuth's an die achtundvierziger Partei, welche ihm ihre Praesidentschaft angetragen." Er ergriff ein anderes Papier, welches auf seinem Schreibtisch lag, durchflog es schweigend und las dann mit halb lauter Stimme die Schlussworte: "Und doch spreche ich es aus, dass ich fuer den Fall, dass noch vor der Zeit, wo die Logik der Geschichte die monarchische Institution in die Rumpelkammer des ueberlebten Entwickelungsstadiums verweisen wird, wenn in meinem Leben das Ereigniss eintreten sollte, dass ein europaeischer Sturm vom Haupte des Kaiser-Koenigs Franz Joseph die oesterreichische Krone herunterblasen sollte, ich im selben Augenblick nach Hause gehen und gegenueber dem ploetzlich zum Koenig von Ungarn reducirten Franz Joseph das Band der Unterthanentreue annehmen wuerde." "Diese Zeilen Kossuth's," sagte Graf Beust, das Haupt in die Hand stuetzend, "sind eine deutliche Mahnung fuer mich, ein deutliches Zeichen fuer das, was in Ungarn geschehen wuerde, wenn Oesterreich vorzeitig und unvorsichtig sich in eine europaeische Action verwickeln sollte. Fuer den Koenig von Ungarn wuerden sie kaempfen, diese Magyaren, aber nicht fuer den Kaiser von Oesterreich!----Fuer den Augenblick beherrscht die Partei des Ausgleichs das oeffentliche Leben in Ungarn. Sie haben gern angenommen, was ihnen geboten wurde. Aber diese Partei, welche dort mit Oesterreich pactirt, wuerde in demselben Augenblick verschwinden, in welchem der Kaiser auf die Kraft Ungarns sich stuetzen muesste. Die grosse Mehrzahl des Volkes jenseits der Leitha denkt wie Ludwig Kossuth und wuerde in einem solchen Augenblick sprechen, wie er heute spricht.--Und diese russische Macht, die schweigend an unsern Grenzen steht, den Moment erwartend, in welchem wir ihr Gelegenheit geben moechten, Rache zu nehmen fuer die Vergangenheit--fuer eine Vergangenheit, an der ich und das heutige Oesterreich unschuldig sind!--Darf ich den furchtbaren Ueberfall dieser Macht heraufbeschwoeren ohne eine andere Deckung, als den so unsichern Beistand Italiens?--Nein!" rief er mit entschlossenem Ton, "niemals werde ich ein so unsicheres Hazardspiel mit diesem alten, ehrwuerdigen oesterreichischen Staat spielen, dessen Schicksal man mir anvertraut hat. Ich bedarf des Friedens, um das Werk zu erfuellen, und ich werde alle meine Kraft aufbieten, um den Frieden zu erhalten. "Wenn dann," fuhr er mit einem wie in weite Fernen gerichteten Blick fort, "wenn dann Oesterreich innerlich einig, kraeftig und schlagfertig ist, wenn die reichen Huelfsquellen seines oeconomischen Lebens sich geoeffnet haben werden, wenn die Institutionen der neuen Verfassung feste Wurzel im Leben des Volkes geschlagen haben, dann mag der Kaiser es versuchen, wieder in die Arena der grossen Kaempfe der europaeischen Maechte hinabzusteigen, und den alten Glanz, die alte Macht Habsburgs wieder zu erringen, dann mag er das Spiel um sein Haus und sein Reich wagen. Aber von mir soll man nicht sagen, dass ich das Land, welches mir, dem Fremden so vertrauungsvoll die Leitung seiner Geschicke uebergeben hat, in die unheilvollen Zufaelligkeiten einer unreifen Action gestuerzt haette." Er blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken versunken sitzen. Der Bureaudiener, welcher im Vorzimmer den Dienst hatte, meldete den Sectionschef, Baron Hoffmann. Herr von Beust neigte zustimmend den Kopf. Wenige Augenblicke darauf trat die magere, etwas eckige Gestalt des Herrn von Hoffmann in das Cabinet. Herr von Beust reichte ihm verbindlichst die Hand und der vortragende Rath des auswaertigen Ministeriums nahm in dem Lehnstuhl neben dem Schreibtisch des Reichskanzlers Platz. Graf Beust reichte ihm den Bericht, den er vorher auf seinen Schreibtisch gelegt und sagte. "Ich bitte Sie, sogleich an Metternich zu schreiben, dass er der unruhigen und unklaren Thaetigkeit des Generals Tuerr gegenueber die aeusserste Zurueckhaltung beobachten moege, ohne indessen irgend wie die Idee einer immer enger zu knuepfenden Coalition zwischen Frankreich, Oesterreich und Italien zurueckzuweisen. Es waere mir sogar lieb," fuhr er fort, "wenn diese Negotiation--doch in moeglichst unbestimmter Form sich lange hinzoege.--Sie gaebe uns immerhin eine zweckmaessige Handhabe fuer unsere Diplomatie. Und wenn auch eine so bestimmt formulirte Allianz, wie der General sie herstellen moechte, mir unerreichbar scheint, auch fuer uns ihre sehr erheblichen und ernsthaften Bedenken hat, so koennte doch diese ganze Verhandlung, wenn sie mit Geschick geleitet wuerde, dahin fuehren, dass die freundschaftliche Annaeherung an Italien, welche ich so sehr wuensche, und welche schon mehrmals ohne eigentlichen Erfolg versucht wurde, jetzt wenigstens hergestellt wuerde.--Der Fuerst Metternich soll sich besonders hueten, ueber die von dem General Tuerr formulirten Punkte irgend wie eine bindende Aeusserung zu machen. Erst muss die allgemeine Annaeherung und Verstaendigung kommen, spaeter wird es dann vielleicht moeglich sein auf die Discussion bestimmt formulirter Alliancevertraege einzugehen. Vor Allem aber wird es dann noethig sein, zunaechst Fuehlung in Italien zu nehmen, und sich zu vergewissern, wie weit unsere Alliancevertraege die Zustimmung der dort herrschenden Parteien finden koennten. Denn wir duerfen nicht vergessen, dass Victor Emanuel kein Selbstherrscher wie Napoleon ist und dass ein mit ihm persoenlich geschlossener Vertrag leicht illusorisch bleiben koennte." "Ich glaube kaum," sagte Baron Hoffmann, "dass eine wirklich aktive Alliance mit Italien auf die Zustimmung der Majoritaet der dortigen Parteien jemals zu rechnen habe. Man fuehlt in Italien ganz genau, dass man das bisher Errungene nur durch die Alliance mit Preussen erreicht hat, und man sagt sich vom dortigen Standpunkt mit vollem Recht, dass man nur unter dem ferneren Beistand Preussens an das Endziel des betretenen Weges gelangen, das heisst von Florenz nach Rom wuerde gehen koennen. Die Stimme der oeffentlichen Meinung," fuhr er fort, "laesst darueber keinen Zweifel, und ich glaube, dass trotz aller Vertraege, welche das italienische Cabinet etwa schliessen koennte, im Augenblick einer europaeischen Verwickelung das italienische Volk die Regierung zwingen wird, die letzte Hand an die nationale Einigung Italiens zu legen, wie ja bisher jeder Schritt auf diesem Wege immer unter dem Druck des Volkswillens gegen die von der Regierung geschlossenen Vertraege geschehen ist." "Ich bedaure," sagte Herr von Beust nach einem augenblicklichen Nachdenken, "dass die verschiedenen Projekte, um mit Italien zu einer freundlichen Verstaendigung und einem naehern Verhaeltniss zu gelangen, niemals zur Ausfuehrung gekommen sind. Wir beduerfen der Freundschaft Italiens, wir beduerfen auch der diplomatischen Coalition mit Italien und Frankreich, aber in diesem Augenblick auf die ungluecklichen Actionsplaene des Generals Tuerr einzugehen, das waere unverzeihlich fuer einen oesterreichischen Minister. In Paris mag man jene Ideen in diesem Augenblick den stets heranwachsenden innern Verlegenheiten gegenueber acceptiren; doch glaube ich nicht, dass Kaiser Napoleon ernstlich daran denkt, gerade jetzt einen Conflict heraufzubeschwoeren, nachdem er viel passendere Momente, Momente, in welchen ihm viel groessere Chancen des Erfolges zur Seite standen, hat voruebergehen lassen. Ich bitte Sie also noch einmal, Metternich in dieser Beziehung meinen Willen mitzutheilen.--Doch muss die ganze Sache mit grosser Vorsicht und mit unendlicher Schonung aller persoenlichen Empfindlichkeiten behandelt werden. Man darf weder in Paris, noch in Florenz verletzt werden, und auch der General Tuerr darf in keiner Weise unangenehm beruehrt werden. Er ist uns in Ungarn sehr nuetzlich gewesen, und koennte uns jedenfalls unter Umstaenden viel schaden." Herr von Hoffmann verneigte sich. "Ich werde sogleich die Depesche nach Eurer Excellenz Befehl abfassen." Er zog ein Zeitungsblatt aus seiner Mappe und fuhr fort. "Ich muss um Eure Excellenz auf einen Artikel aufmerksam machen, welcher sich in verschiedenen Blaettern findet und ueber einen Vorfall in Muenchen berichtet, welcher, wie ich glaube, nicht unbeachtet bleiben darf. Graf Ingelheim," fuhr er fort, "hat gerade an dem Tage, an welchem der Koenig Ludwig die Minister und ministeriellen Reichsraethe zur Hoftafel befohlen, ein Diner gegeben, bei welchem er alle Mitglieder der grossdeutschen und ultramontanen Opposition im Reichsrath, die fuer die Misstrauensadresse gegen das Ministerium gestimmt hatten, bei sich versammelte, und es sollen bei diesem Diner, wie die Zeitungen berichten, eigentuemliche Unterhaltungen stattgefunden haben. Man soll Fuerst Hohenlohe bereits als beseitigt betrachten, und die Herstellung des Ministeriums unter Herrn von Bomhardt mit den Herren von Schrenk und von Thuengen lebhaft besprochen haben." "Unterhaltungen bei einem Diner koennen nun allerdings nicht gerade auf die Goldwage gelegt werden. Indessen hat doch dieser ganze Vorfall etwas Demonstratives.--Die Presse fasst ihn in diesem Sinne auf und setzt ihn in Verbindung mit dem allgemeinen Verhalten des Grafen Ingelheim, der mit den erbittertsten und entschiedensten Gegnern des Ministeriums Hohenlohe die innigsten Beziehungen unterhaelt.-- "Ich glaube nicht, dass es im Sinne der von Eurer Excellenz befolgten, so vorsichtig zurueckhaltenden Politik liegen kann, wenn der Gesandte Oesterreichs in Baiern offen gegen das dortige Ministerium demonstrirt, im Augenblick, in welchem der Koenig demselben einen Beweis seines Vertrauens giebt." Ueber das Gesicht des Herrn von Beust legte sich der Ausdruck finstern Unmuths. "Wie schwer," rief er, "wie unendlich schwer ist es doch, Oesterreich in den neuen Bahnen einer wohl durchdachten Politik zu lenken. Ueberall fehlt die Organisation der innern Verwaltung, in der Diplomatie stoesst man fortwaehrend auf die unerwarteten Hindernisse, und wenn ich mit der aeussersten Muehe die Wolken des Misstrauens vom politischen Horizont verscheucht habe, so werden sie bald hier, bald dort immer wieder hervorgerufen durch die Organe, welche meine Absichten und Plaene nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Da wird nun durch eine rein persoenliche Demonstration des Grafen Ingelheim wieder das muehsam aufrecht erhaltene gute Verhaeltniss mit Preussen getruebt, und man wird in Berlin nicht ganz Unrecht haben, denn fuer eine solche Handlung des offiziellen Vertreters Oesterreichs hat man eine gewisse Berechtigung, mich verantwortlich zu machen.--Ich habe lange Bedenken gehabt," fuhr er fort, "Ingelheim wieder in Aktivitaet zu setzen. Er ist ein braver Mann, aber das genuegt nicht, um ein guter Diplomat zu sein, und vor Allem ist er vollstaendig in den Haenden der Ultramontanen.--Doch," fuhr er fort, "die Sache ist mir nach Preussen hin noch weniger unangenehm, als fuer die Beziehungen zu Baiern selbst. Der Koenig Ludwig wird auf's Tiefste verletzt sein, und doch ist es fuer uns von groesster Wichtigkeit, gerade in Muenchen festen Fuss zu behalten, und das Vertrauen des Koenigs nicht zu verlieren;--bei seinem Charakter kann eine Demonstration wie die des Grafen Ingelheim ihn gerade in ploetzlicher Aufwallung von uns voellig entfremden, und wenn man diese Verhaeltnisse und Stimmungen von Berlin aus richtig benutzt, ihn ganz und gar der norddeutschen Politik in die Arme treiben. "Die Sache ist um so unangenehmer," fuhr er fort, indem er einen kleinen eng betriebenen Bericht von seinem Schreibtisch nahm und den Blick ueber denselben gleiten liess, "als----ich habe da eine merkwuerdige Mittheilung auf privatem Wege erhalten ueber Vorgaenge in der koeniglichen Familie.-- "Sie wissen," sagte er, dass die klerikale Partei ganz besondere Hoffnungen auf den Prinzen Luitpold setzt und stets bemueht ist, demselben einen moeglichst grossen Einfluss auf die Staatsgeschaefte zu sichern. Es soll nun im Schooss der koeniglichen Familie ein Project ernstlich ventilirt sein, den Koenig Ludwig durch einen Regierungsbeschluss unfaehig erklaeren zu lassen. Prinz Otto, der ohne politischen Ehrgeiz ist, soll gegen entsprechende persoenliche Vortheile bereit gewesen sein, schon jetzt auf das Thronrecht ausdruecklich zu verzichten. Im entscheidenden Augenblick habe aber dieser junge Prinz von Gewissensbissen bewegt, der verwittweten Koenigin die ganze Sache eingestanden, und es sei in Folge dessen zu sehr stuermischen Scenen gekommen, welche zur oeffentlichen Kenntniss freilich nur durch eine koenigliche Botschaft gelangt sind, die den Prinzen Luitpold mit seinen Soehnen Ludwig und Leopold bis auf Weiteres vom Erscheinen bei Hofe dispensirt.-- "Die ganze Sache ist etwas mysterioes und fabelhaft," sprach er weiter, "auch die Quelle, aus welcher die Mittheilung an mich gelangt ist, ist nicht absolut zuverlaessig. Dennoch aber ist so viel gewiss, dass die Prinzen mit den Fuehrern der klerikalen particularistischen Opposition in intimen Verbindungen stehen, und dass der Koenig ueber diese Opposition sehr gereizt ist. Wenn gerade in einem solchen Augenblick der Vertreter Oesterreichs in solcher Weise demonstrativ handelt, wie es der Graf Ingelheim gethan hat, so ist das allerdings sehr bedenklich. Wir muessen darauf denken," fuhr er fort, "die Sache unter jeder Bedingung wieder gut zu machen-- "Zunaechst bitte ich Sie, Graf Ingelheim in vertraulicher Weise auf das Bedenkliche seines Verfahrens aufmerksam zu machen. Ich werde weiter darueber nachdenken.--Ich glaube, dass ein anderer Vertreter in Muenchen nothwendig werden wird. Wir koennen doch wahrlich nicht am Muenchener Hof klerikale Politik machen, waehrend wir hier in Oesterreich damit beschaeftigt sind, den Einfluss der roemischen Hierarchie auf die Entwickelung des Staatslebens zu brechen." Der Bureaudiener trat ein und meldete den Herzog von Grammont. Graf Beust erhob sich. "Sie bleiben noch hier im Hause, nicht wahr, lieber Hoffmann?" sagte er. "Vielleicht koennen Sie mir nachher die Depesche an Metternich vorlegen, nachdem ich mit Grammont gesprochen habe." Herr von Hoffmann verneigte sich. Unmittelbar, nachdem er das Cabinet verlassen, trat der franzoesische Botschafter ein. Der Herzog von Grammont war ruhig und laechelnd wie immer. Sein feines, fast zierlich geschnittenes Gesicht mit den dunklen, vornehm gleichgueltig blickenden Augen, dem kleinen Mund und dem auswaerts gedrehten Schnurrbart trug den Ausdruck unzerstoerbarer Freundlichkeit und Hoeflichkeit.--In etwas steif-militairischer Haltung, welche dessen ungeachtet nicht ohne Anmuth war, naeherte er sich dem Reichskanzler, der ihm mit offener Herzlichkeit die Hand reichte, und liess sich neben dem Schreibtisch nieder. "Erlauben Sie zunaechst, mein lieber Herzog," sagte Graf Beust, "dass ich Ihnen mein aufrichtiges Bedauern ausspreche ueber die unruhigen Bewegungen, welche in Paris stattgefunden haben, und welche jedenfalls den Kaiser schmerzlich beruehrt haben muessen. Ich darf zugleich meiner Freude darueber Ausdruck geben, dass jene Bewegungen,--wie ich allerdings schon bei der ersten Nachricht nicht bezweifelte--schnell wieder vollstaendig beendet sind. Fuerst Metternich hat mir berichtet, mit welcher Sicherheit, Wuerde und Maessigung die Regierung verfahren ist, und ganz Europa muss dem Kaiser Dank wissen, dass er mit so fester und geschickter Hand die gaehrenden Elemente niederzuhalten versteht." "Diese kleinen Bewegungen," erwiderte der Herzog von Grammont mit leichter Neigung des Kopfes, "haben nicht viel zu sagen. Es sind Scenen, die man arrangirt hat, um die Verhaftung Rocheforts zu einem Ereigniss von Bedeutung zu stempeln. Der Kaiser," fuhr er fort, "ist vollkommen Herr der Lage, und Frankreich ist stark und kraeftig genug, um ohne Erschuetterung den Uebergang zu den neuen Institutionen zu ertragen, welche der Kaiser in richtiger Erkenntniss der Zeitbeduerfnisse in's Leben gerufen hat." Herr von Beust schwieg einen Augenblick. "Sie werden unterrichtet sein," sprach er dann, indem er den Herzog grade anblickte,--"dass in diesem Augenblick in Paris Besprechungen--mehr persoenlicher als eigentlich diplomatischer Natur stattgefunden haben, um dem Gedanken an eine naehere Verbindung mit Italien eine bestimmte Form zu geben. Vor einiger Zeit machte mir der General Tuerr darueber eine Andeutung, ueber welche ich damals allerdings nur oberflaechlich mit ihm gesprochen habe. Es scheint jedoch jetzt, dass jene Sache an Consistenz gewonnen hat, und dass man namentlich von Florenz aus geneigter scheint als frueher, in bestimmt formulierte Beziehungen mit uns zu treten. Sie wissen," fuhr er fort, "wie sehr ich ein gutes Verhaeltniss mit Italien wuensche und welchen Werth ich demselben fuer eine diplomatische Kooperation von Frankreich und Oesterreich beilege. Allein das, was ich gegenwaertig ueber die Unterhandlungen hoere, die in Paris ueber diesen Gegenstand stattgefunden haben, scheint mir noch sehr vage und unklar zu sein, und ich wuerde, um eingehender darueber nachdenken zu koennen, dringend wuenschen von Ihnen zu hoeren, wie Ihre Regierung und der Kaiser zu diesen Ideen stehen, ueber welche man mir Privatmittheilungen gemacht hat." Der Herzog von Grammont hielt unbeweglich, mit dem ruhigsten und freundlichen Gesichtsausdruck den fortwaehrend forschenden auf ihn gerichteten Blick des Grafen Beust aus. "Ich habe," erwiderte er, "ebenfalls Privatmittheilungen aus Paris ueber die Gedanken erhalten, welche durch den General Tuerr dort mehrfach angeregt worden sind, und welche, wie ich kaum bezweifeln darf, die Billigung des Koenigs Victor Emanuel gefunden haben. Sie beziehen sich, soviel mir darueber mitgetheilt worden, auf den Fall, dass Italien in die Lage kommen koennte, bei einer gemeinsamen militairischen Action Oesterreichs und Frankreichs mitzuwirken, und nach Dem, was ich darueber gehoert, scheint mir jener Gedanke wohl der Beachtung werth zu sein, da in ihm, wenn der in's Auge gefasste Fall eintreten sollte, jedenfalls die Grundlage zu bestimmten Vertraegen gefunden werden koennte, die sowohl im Interesse Frankreichs, als in demjenigen Oesterreichs wuenschenswerth erscheinen moechten." Graf Beust blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder und spielte leicht mit den Fingern seiner seinen und schlanken Hand auf der Decke des Schreibtisches. "Wie mir der Fuerst Metternich mittheilt," sagte er dann im ruhigen Conversationston, "beobachtet Herr Nigra dieser ganzen Sache gegenueber eine sehr vorsichtige, fast kalte Zurueckhaltung, und vom hiesigen Vertreter Italiens ist mir noch nicht die leiseste Andeutung darueber geworden." "Bei den eigentuemlichen Verhaeltnissen," erwiderte der Herzog, "welche zwischen Oesterreich und Italien bestehen und bei den peinlichen Erinnerungen aus nicht zu langer vergangener Zeit scheint es mir, dass eine Annaeherung zwischen beiden Maechten, namentlich eine Annaeherung mit bestimmten Zielen, mit formulirten Alliancebedingungen schwer durch direkten Verkehr hergestellt werden koenne.--Auch giebt es Propositionen, die man auf direktem Wege nicht eher machen kann, als bis man sicher ist, dass sie angenommen werden. Unter solchen Verhaeltnissen scheint mir eine vorlaeufige, nicht officielle und zunaechst nur sondirende Verhandlung durch die Natur der Dinge angezeigt zu sein, und fuer eine solche Verhandlung koennte dann auch der neutrale Boden eines den beiden Maechten befreundeten Hofes das richtige Terrain werden.--Jedenfalls glaube ich annehmen zu duerfen, dass der General Tuerr in eine solche Negotiation nicht eintreten wuerde, wenn er nicht der vollen persoenlichen Zustimmung des Koenigs Victor Emanuel sicher waere."-- "Und wie denkt der Kaiser Napoleon ueber die ganze Sache," fragte Graf Beust rasch und bestimmt. "Sie koennen natuerlich nicht voraussetzen, mein lieber Graf," erwiderte der Herzog mit vollkommener Ruhe, "dass ich Instructionen habe, mich ueber die Absichten auszusprechen, welche Seine Majestaet in Betreff einer Sache hegt, die das Gebiet officieller Unterhandlungen noch nicht beruehrt hat.--Wenn ich also Ihre Frage beantworte, so kann ich selbstverstaendlich nur eine ganz persoenliche Meinung aeussern, welche sich auf die Kenntniss stuetzt, die ich von den Anschauungen meines Souverains ueber die politischen Fragen gewonnen zu haben glaube." Graf Beust verneigte sich leicht. Ein feines Laecheln spielte eine Secunde um seine Lippen, dann richtete er den Blick mit erwartungsvoller Aufmerksamkeit auf den Herzog. "Sie wissen, mein lieber Graf," sagte dieser, "dass die Verhaeltnisse in Europa sich fortwaehrend in einer Spannung befinden, welche eine energische Action von einem Augenblick zum andern moeglich erscheinen laesst. Wir haben uns frueher bereits mehrfach ueber derartige Eventualitaeten unterhalten, und seit der Zusammenkunft in Salzburg sind wir stets darin uebereingekommen, dass die Interessen Frankreichs und Oesterreichs allen schwebenden politischen Fragen gegenueber die gleichen sind.--Wir sind ferner, wie Sie auch vorhin betonten, darin uebereingekommen, dass Italien das notwendige Mittel- und Verbindungsglied fuer das Zusammenwirken Frankreichs und Oesterreichs bildet.--Von diesen Praemissen ausgehend," fuhr er fort, waehrend Herr von Beust schweigend zuhoerte, "wuerde ich nun den Abschluss eines Vertrages, welcher fuer moegliche Faelle die Cooperation Italiens sichert und regelt, als einen grossen Gewinn betrachten muessen.--Der Koenig Victor Emanuel ist zu einer solchen Cooperation durchaus geneigt, doch ist er nicht in der Lage, dieselbe eintreten zu lassen, wenn er nicht zu gleicher Zeit dem italienischen Volk einen nationalen Gewinn dafuer versprechen kann. Die vollstaendige Arrondirung in den nationalen Grenzen nach dem Norden hin wuerde ein solcher Gewinn sein--um dieses Gewinns willen wuerde das italienische Volk sich bestimmen lassen, auf Rom zu verzichten, wenigstens so lange zu verzichten, bis vielleicht unter einem kuenftigen Pontificat ein Modus gefunden werden kann, welcher die heute sich noch unversoehnlich gegenueber stehenden Interessen vereinigt. Mit einem Wort, Italien hat noch zwei Forderungen zu stellen, die eine ist Rom, welche man von uns verlangt, die andere das italienische Tyrol, welches _Oesterreich_ zu gewaehren im Stande ist.--Wir koennen in diesem Augenblick Rom nicht Preis geben.--Ihre Sache ist es, zu beurtheilen, ob das Opfer eines nicht bedeutenden Gebiets, welches nur die weitere ergaenzende Ausfuehrung eines einmal anerkannten Princips bildet, Ihnen der Wichtigkeit einer festen italienischen Alliance entsprechend erscheint.--Nach meiner persoenlichen Auffassung," fuhr er fort, "wuerde dieses Opfer nicht gross sein und es wuerde sich im Falle einer erfolgreichen Action, an deren gluecklichen Ausgang nicht zu zweifeln sein moechte, durch weit groessere und weit bedeutendere Vortheile und durch die Wiedergewinnung der ganzen alten oesterreichischen Macht nach anderer Richtung hin ersetzen lassen.--Frankreich hat dasselbe Interesse wie Oesterreich, dass die Coalition mit Italien zu Stande komme; wenn Sie sich also zu jenem Opfer wuerden entschliessen koennen, so wuerden Sie, wie ich glaube, nicht nur in Ihrem eigenen Interesse handeln, sondern auch Frankreich einen sehr grossen und sehr wichtigen Dienst leisten, fuer den eine richtige franzoesische Politik, eine Politik, wie sie den Ideen des Kaisers so vollkommen entspricht, ihre Dankbarkeit zu bethaetigen nicht unterlassen koennte." "Eine Coalition auf der Basis," erwiderte Herr von Beust in einem beinahe gleichgueltigen Ton, "wie sie in diesem Augenblick in Paris discutirt wird mit so bestimmt formulirten Bedingungen, wuerde ihre Bedeutung doch immer wesentlich nur im Augenblick einer wirklich kriegerischen Action haben. Ganz abgesehen von der Frage," fuhr er fort, "ob in einem solchen Augenblick das italienische Volk geneigt sein wuerde, die Abmachungen des koeniglichen Cabinets gut zu heissen, muesste man sich doch, bevor man auf die Discutirung der Details ernstlich einginge, klar machen, ob denn eine militairische Action zweckmaessig und nothwendig--und ob sie mit Aussicht auf Erfolg ausfuehrbar sei. Ich meines Orts sehe die Nothwendigkeit nicht, denn es ist in diesem Augenblick keine Veraenderung der seit Jahren bestehenden europaeischen Verhaeltnisse eingetreten.--Ich vermag die Zweckmaessigkeit nicht anzuerkennen, denn ich sehe keinen vorbereiteten--oder moeglicher Weise zu schaffenden--vernuenftigen Kriegsfall, und endlich kann ich die Aussicht auf einen siegreichen Erfolg mit meiner Anschauung der Verhaeltnisse nicht vereinen. Die Macht des Norddeutschen Bundes ist ungeheuer stark und scharf concentrirt und auf alle Eventualitaeten taeglich und stuendlich vorbereite. Die sueddeutschen Staaten sind schwankend und haltlos, dabei militairisch kaum geruestet und bei uns in Oesterreich--Sie wissen, Herr Herzog, mit welchen innern Schwierigkeiten wir zu kaempfen haben, und wie unendlich langsam aus financiellen Gruenden schon die Reorganisation unserer Armee vorschreitet. Wir haben neben uns Russland, dem wir nicht gewachsen sind--" "Dem Sie aber doch," fiel der Herzog von Grammont ein, "zweifellos die Spitze zu bieten im Stande waeren, wenn nicht nur Ihre italienischen Grenzen vollkommen frei wuerden, sondern wenn wie der proponirte Tractat bestimmt, Italien fuer den Fall der russischen Intervention seine active militairische Huelfe verspricht." "Wenn ich auch," sprach Herr von Beust in einem Ton, als discutire er eine ihm der Zeit und dem Inhalt nach voellig fern liegende Frage, "wenn ich auch annehme, dass jene Versprechen im entscheidenden Augenblick wirklich gehalten wuerden, wofuer--ich muss es wiederholen--immer schwer eine Garantie gefunden werden zu koennen scheint, so glaube ich doch nicht, dass Oesterreich im Stande ist, selbst mit der Huelfe Italiens einen Kampf mit Russland und die Aussicht auf eine spaetere unversoehnliche Feindschaft Preussens und Deutschlands auf sich zu nehmen. Fuer den Fall, dass diese neu erstandene gewaltige Militairmacht aus diesem Conflict siegreich hervorgehen sollte--" "Siegreich hervorgehen?" rief der Herzog von Grammont mit dem Ton eines naiven Erstaunens, indem er seinen kleinen Schnurrbart emporkraeuselte,--"siegreich hervorgehen aus einem Kampf mit Frankreich!?--ich bin zu sehr Franzose," fuhr er fort, "um an eine solche Moeglichkeit auch nur einen Augenblick zu glauben." "Sie muessen mir verzeihen," sagte Graf Beust mit einer seinen Nuance kaum bemerkbarer Ironie in seiner Stimme, "wenn ich mich in diesem Augenblick mehr an den Geist des Staatsmanns und Diplomaten als an das Nationalgefuehl des franzoesischen Edelmanns wende.--Eine kluge Politik muss sich stets auch durch Erwaegung der moeglich unguenstigen Chancen bestimmen lassen.--Doch," fuhr er abbrechend fort, "diese Discussion fuehrt uns auf ein Gebiet, das ich, wie ich glaube, heute zu betreten noch keinen Grund habe. Ich bitte Sie, mir zunaechst mit derselben Aufrichtigkeit, mit welcher ich mich Ihnen gegenueber ausgesprochen habe, eine Frage zu beantworten:--Glauben Sie, dass es aus irgend welchem Grunde in den Absichten des Kaisers liegen koenne, wirklich in kurzer Zeit zu einer ernsten Action ueberzugehen?" Der Herzog zoegerte einen Augenblick mit der Antwort auf diese directe und bestimmte Frage. "Ich glaube," sagte er, "dass der Kaiser von dem eifrigsten Wunsch erfuellt ist, den europaeischen Frieden zu erhalten.--Indessen hat er auch die Verpflichtung, Frankreich nicht ohne Widerstand allmaelig zu einer bedeutungslosen Passivitaet in Europa herabdruecken zu lassen. Der Kaiser hat durch die freisinnigen Institutionen, welche er in die neue franzoesische Verfassung eingefuehrt hat, die Gruendung seines Gebaeudes im Innern vollendet. Und wenn diese neuen Institutionen, wie ich es wuensche und wie ich es hoffe, durch ein neues Plebiscit die Sanction des freien Volkswillens erhalten haben werden--" Graf Beust zuckte ein wenig zusammen und blickte erstaunt den Herzog an, dann nahmen seine einen Augenblick ernst und nachdenklich gewordenen Zuege wieder den Ausdruck gleichgueltig ruhiger Hoeflichkeit an, mit welchem er das ganze Gespraech bisher gefuehrt hatte. "--dann wird es," fuhr der Herzog fort, "nach meiner Ueberzeugung die Aufgabe des Kaisers sein, auch nach Aussen hin der Stimme Frankreichs wieder den alten Nachdruck zu verschaffen und zu zeigen, dass es auf die Dauer nicht moeglich ist, die Schicksale der europaeischen Voelker ohne Frankreichs Genehmigung zu lenken." "Aber," sprach Graf Beust, "dazu wuerde immer ein stichhaltiger und voelkerrechtlich moeglicher Kriegsfall erforderlich sein, und ich sehe nicht ein--" "Mein Gott," rief der Herzog, "der Prager Frieden wird ja taeglich verletzt und giebt Ihnen die verschiedensten und voelkerrechtlich begruendetsten Handhaben, um in jedem Augenblick den begruendetsten Kriegsfall zu finden--" "So," fragte Herr von Beust, den Herzog gross anblickend, "so sollte also Oesterreich nach Ihrer Ansicht den Conflict hervorrufen?" "Sie werden nicht verkennen," sagte der Herzog,--"ich spreche hier natuerlich nur meine ganz persoenlichen Ansichten aus,--dass der maechtigste Verbuendete des Herrn von Bismarck in einem Krieg gegen Frankreich das deutsche Nationalgefuehl sein wuerde, und dass es wesentlich darauf ankaeme, uns in Deutschland selbst Verbuendete zu schaffen. Das scheint mir am sichersten erreicht zu werden, wenn der eventuelle Kriegsfall aus deutschen Angelegenheiten und aus dem Prager Frieden genommen wird, welcher Oesterreich das Recht giebt, fuer die Unabhaengigkeit der sueddeutschen Staaten einzutreten." "Herr Herzog," sagte Graf Beust mit ernstem Nachdruck, indem er den leichten Conversationston, in dem das Gespraech bisher gefuehrt war, vollstaendig aufgab--"da die Unterhaltung, welche wir in diesem Augenblick ueber theoretische Hypothesen fuehren und in welcher wir unsere persoenlichen Meinungen austauschen, vielleicht in irgend einem frueheren oder spaeteren Moment eine Bedeutung fuer concrete Verhaeltnisse gewinnen koennte, so liegt mir daran, genau und klar die Anschauungen auszusprechen, welche auch bei einer solchen Moeglichkeit fuer mich immer massgebend sein und bleiben wuerden. Oesterreich," fuhr er fort, "bedarf absolut der Ruhe, es bedarf der friedlichen Entwickelung von mindestens zehn Jahren, um seine inneren Kraefte wieder zu staerken und seine inneren Verfassungszustaende zu consolidiren. Oesterreich kann und wird niemals, so lange ich seine Regierung zu leiten habe, die Initiative zu einer Action uebernehmen, welche Europa in gefahrvolle Unruhe stuerzen und die Zukunft des Kaiserstaats vor Allem gefaehrden wuerde. Wenn--wie Sie vorauszusetzen scheinen, an Frankreich die Aufgabe herantreten sollte, sein Prestige und seine Stellung unter den europaeischen Maechten noethigenfalls mit den Waffen in der Hand wieder auf die alte Hoehe zu erheben, so wird, davon koennen Sie ueberzeugt sein, keine Regierung mit groesseren Sympathien auf ein solches Streben der franzoesischen Nation blicken, als die oesterreichische, welche, wie ich frueher constatirt habe, und wie ich heute wiederhole, in fast allen europaeischen Fragen mit Frankreich gleiche Interessen hat. Die Phasen eines solchen Conflicts und seiner Consequenzen lassen sich nicht vorher bestimmen. Es laesst sich deshalb auch nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht im Verlauf solcher Ereignisse ein Augenblick kommen koennte, welcher Oesterreich trotz seines Friedensbeduerfnisses die Pflicht auferlegt, activ in die Verhaeltnisse einzugreifen.--Ich vermoechte mir heute keine Eventualitaet zu denken, welche ein solches moegliches Eingreifen Oesterreichs im _Gegensatz_ zu Frankreich rechtfertigen koennte.--In dieser Anschauung liegt die Haltung bezeichnet, welche mir fuer Oesterreich vorgeschrieben scheint. Weiter zu gehen, ohne die aeusserste Notwendigkeit aus der gebotenen Reserve herauszutreten, waere fuer einen oesterreichischen Staatsmann ein Verbrechen--und vor Allem wuerde ich wenigstens niemals die Verantwortlichkeit auf mich nehmen, durch Oesterreich aus dem von ihm abgeschlossenen Vertrage einen Kriegsfall zu provociren. Wuerde der Kaiser eine Action fuer nothwendig halten, so muss der Grund dafuer aus irgend welcher Frankreich interessirenden Frage genommen werden. Niemals aber kann und wird Oesterreich seinerseits die Initiative uebernehmen. Dies bestimmt und rueckhaltslos auszusprechen, halte ich fuer meine Pflicht, damit bei Erwaegung einer so wichtigen Frage, welche natuerlich in Paris ausschliesslich nur mit Ruecksicht auf das Interesse Frankreichs entschieden werden kann, keinen Falls irgend ein Zweifel ueber die Haltung bestehe, welche fuer Oesterreich unabaenderlich geboten erscheint." "Sie muessen natuerlich," sagte der Herzog mit einem Anklang von Kaelte in dem hoeflichen Ton seiner Stimme, "Sie muessen dies natuerlich besser beurtheilen koennen als ich. Jedenfalls sind Sie zu dem Urtheil, welche Haltung Oesterreich zu beobachten habe, berufener als ich. Doch kann ich die Bemerkung nicht unterdruecken, dass eine Zurueckhaltung, wie Sie dieselbe so eben als die Aufgabe der oesterreichischen Politik dargestellt haben, nach meiner Ueberzeugung leicht dahin fuehren koennte, dass Oesterreich sich eines Tages isolirt saehe, und diese Isolirung koennte unter Umstaenden gefaehrlich werden. Da, wie Sie selbst constatirt haben, die Interessen Frankreichs und Oesterreichs sich in den politischen Fragen fast ueberall decken, so moechte es mir nicht ganz unbedenklich fuer Oesterreich erscheinen, sich gerade von der Macht zu trennen, mit welcher Sie die gemeinsamen Interessen verbinden." "Ich habe," erwiderte Herr von Beust, "nicht im Entferntesten an die Moeglichkeit gedacht oder dieselbe aussprechen wollen, dass Frankreich sich jemals von Oesterreich trennen koenne.--Eine solche Trennung," fuhr er mit feiner und scharfer Betonung fort, "koennte jedenfalls nur dann moeglich werden, wenn die franzoesische Politik jemals Wege betreten sollte, in welchen die gegenwaertig zu meiner so innigen Genugthuung bestehende Gemeinsamkeit der Anschauungen und Interessen alterirt wuerde--ein solcher Fall scheint mir undenkbar und jedenfalls," fuegte er im leichten Ton mit einem fluechtigen Laecheln hinzu, "tauschen wir ja in diesem Augenblick auch nur unsere ganz persoenlichen Ansichten ueber Faelle aus, deren Eintritt kaum zu erwarten sein duerfte." Der Herzog erhob sich. "Es scheint," sagte er, das bisherige Gespraech abbrechend, "dass der Koenig von Hannover die Legion aufloesen will, die er bisher in Paris gehalten hat. Graf Platen hat mir Etwas davon gesagt. Ich muss aufrichtig bekennen, dass ich eigentlich recht damit zufrieden bin. Ich habe grosse Sympathien fuer den ungluecklichen Koenig und hohe Verehrung vor seinen persoenlichen Eigenschaften. Doch glaube ich nicht, dass er auf dem bisher befolgten Wege etwas Anderes erreichen kann, als seine schon ohnehin beschraenkten Mittel immer mehr zu vermindern und sich dadurch die Moeglichkeit spaeter Etwas fuer seine Sache und sein Haus zu thun, immer schwieriger zu machen." "Man schien frueher in Paris der Ansicht zu sein," sagte Graf Beust, "dass diese hannoeversche Emigration unter Umstaenden eine nuetzliche Handhabe werden koenne, um einem moeglichen Conflict mit Preussen den nationalen Charakter zu nehmen." "Ich bin dieser Ansicht nicht," sagte der Herzog, "die wenigen Emigranten in Frankreich wuerden weder der Sache des Koenigs, noch uns nuetzen koennen; ob fuer den Fall des Zusammenbrechens der Schoepfung von 1866 Etwas fuer den Koenig geschehen koenne, das wird immer davon abhaengen, wie sich das ganze Volk in Hannover und wie sich das uebrige Deutschland zu seiner Sache verhalten wird.--Was Frankreich betrifft, so stehe ich auf dem Standpunkt, dass wenn wir uns jemals zu einer ernsten Action entschliessen, wir auf alle kleinen Huelfsmittel verzichten und uns ganz ausschliesslich auf unsere eigene nationale Kraft und auf diejenigen Alliirten verlassen muessen, welche wir, wie ich hoffe, in einem solchen Fall unter den mit uns befreundeten europaeischen Maechten dennoch finden werden," fuegte er mit einem laechelnden Blick auf den Grafen Beust hinzu, indem er ihm die Hand zum Abschied drueckte. Der Reichskanzler begleitete ihn bis zur Thuer und kehrte dann nachdenklich zu seinem Schreibtisch zurueck. "Es geht Etwas vor," sagte er. "Der Kaiser Napoleon ist fuer den Frieden, schon weil er alle Unruhe und koerperliche Anstrengungen scheut. Metternich schreibt mir dies ganz bestimmt, und Metternich taeuscht sich darin nicht. Aber dieser alternde Imperator befindet sich mehr als je unter der Herrschaft seiner Umgebung. Und die Kaiserin Eugenie moechte fuer sich die Rolle der Maria von Medicis vorbereiten. Nun," rief er, "wenn man dort Abenteuer in der Politik machen will, so mag man es auf eigene Gefahr thun. Ich werde meine Schoepfungen in Oesterreich nicht den Zufaelligkeiten einer unueberlegten und unvorbereiteten Action aussetzen." Der Bureaudiener meldete den Staatsrath Klindworth. Etwas erstaunt blickte Herr von Beust auf. "Klindworth hier?" rief er, "sollte er sich hier wieder fuer moeglich halten?--Lassen Sie den Staatsrath eintreten," sprach er nach kurzem Besinnen. Wenige Augenblicke darauf trat der Staatsrath Klindworth in das Cabinet. Er war ein Mann von weit ueber sechzig Jahren; sein dichtes, beinahe weisses Haar war kurz geschnitten,--sein eckiger Kopf, mit den grossen abstehenden Ohren, den kleinen, scharfen, umherspaehenden Augen, der grossen, breiten Nase und dem ausdruckvollen haesslichen Mund, steckte zwischen den breiten Schultern, welche durch den hohen Kragen des weiten dunklen Ueberrocks noch hoeher erschienen. Graf Beust begruesste den viel gewandten, geheimen Agenten verschiedener europaeischer Hoefe mit einer freundlichen Vertraulichkeit, in welche sich doch ein wenig abwehrende Kaelte mischte. "Was fuehrt Sie her, mein lieber Staatsrath," sagte er, indem er Herrn Klindworth einen Stuhl neben seinem Schreibtisch bezeichnete. "Ich glaubte, Sie wollten fuer einige Zeit in Paris bleiben und vielleicht," fuhr er mit einem scharfen Blick auf das unbewegliche Gesicht des Staatsraths fort, "vielleicht waere das besser gewesen.--Sie wissen, dass nach den Vorgaengen mit der Wiener Bank und dem Koenig von Hannover hier Ruecksichten zu nehmen sind--" "Ich bin," sagte der Staatsrath ruhig, "nur auf einen Augenblick heruebergekommen und denke nicht, hier acte de presence zu machen. Doch habe ich nicht unterlassen koennen, hier Mittheilungen von dem zu machen, was ich gesehen und gehoert, und was so Viele nicht sehen und nicht hoeren wollen." "Ich weiss, wie scharf Sie sehen und wie scharf Sie hoeren," sagte Graf Beust laechelnd--"und es wird mir, wie es das stets gewesen ist, von besonderem Interesse sein zu hoeren, was Sie dort wahrgenommen haben." "Ich habe wahrgenommen," sagte der Staatsrath Klindworth, indem er die Haende ueber der Brust faltete, und seinen Kopf so tief zwischen dem Kragen seines Rockes zurueckzog, dass das Kinn fast ganz in seiner weissen Binde verschwand, "ich habe wahrgenommen, dass ein grosser Sturm im Anzuge ist, welcher Europa noch tiefer erschuettern wird, als die Ereignisse von 1866. Und ich bin gekommen, um zu warnen, und um zu rathen, wenn man meinen Rath hoeren, wenn man meine Warnung beachten will." Graf Beust wurde ernst und blickte erwartungsvoll auf den Staatsrath. "Der Herzog von Grammont geht soeben von Ihnen fort," sagte dieser, "was hat er Ihnen gesagt?" fragte er,--mit seinen kleinen Augen scharf von unten heraufblickend,--"ich hoffe, Sie werden ihn ein wenig ueber diese eigenthuemliche neben der regulairen Diplomatie herlaufende Negotiation des General Tuerr befragt haben, welcher da ploetzlich in Paris erschienen ist, um europaeische Coalitionen zu bilden, wie man Bataillone aufstellt und exerciren laesst.--Eine eigenthuemliche Zeit," sprach er, sich unterbrechend, indem er mit den Fingern der rechten Hand auf der Oberflaeche der linken trommelte, "eine eigenthuemliche Zeit, Alles wird auf irregulairem Wege gemacht. Es ist keine Ordnung in der Politik mehr, kein System! Kein Wunder, dass sich da die Faeden zu einem gordischen Knoten verschlingen, und dass Demjenigen der Erfolg zur Seite steht, der kuehn--oder plump genug ist," fuegte er achselzuckend hinzu, "das unloesbare Gewirr mit dem Saebel zu zerhauen.--Was wuerde der grosse Metternich sagen," sprach er seufzend, "wenn er diesen Wirrwarr in der politischen Maschinerie Europa's sehen koennte, in welcher zu seiner Zeit so vortrefflich jedes Rad in einander griff, und welche nach seinem Willen so richtig und exact spielte!" "Nun," sprach Herr von Beust laechelnd, "die Aufgabe eines Staatsmannes ist es immer, mit der Zeit fertig zu werden, in welcher er lebt. Wir muessen versuchen, auch in diesem Wirrwarr kaltes Blut und Ruhe zu behaupten. Grammont," fuhr er dann fort, "hat mir allerdings nur--ganz persoenlich--die Nothwendigkeit einer Alliance mit Italien sehr scharf betont. Ich glaube allerdings, dass man in Paris etwas energisch auftreten moechte, und dass man dazu Alliancen sucht.--Findet man sie nicht, so wird man sich beruhigen, wie man sich schon oefter beruhigt hat." Ein fast mitleidiges Laecheln zuckte ueber den breiten Mund des Staatsraths. "Dass man Alliancen sucht, ist richtig," sagte er, "dass man sich beruhigen wird, wenn man sie nicht findet, ist eine Ansicht, die ich nicht theile." "Aber der Kaiser ist krank, sein Gesundheitszustand floesst ernste Bedenken ein; die Aerzte empfehlen ihm die hoechste Ruhe und Schonung, wie sollte da eine ernste, gar eine kriegerische Action moeglich sein, da doch trotz der neuen parlamentarischen Institution wenigstens fuer die auswaertige Politik in Frankreich noch Alles von der Initiative des Kaisers abhaengt." "Der Kaiser ist krank," sagte Klindworth, "das ist richtig. Die auswaertige Politik haengt von seiner Initiative ab, das ist auch richtig. Aber von wem haengt wieder diese Initiative dieses kranken, zuweilen fast willenlosen Mannes ab?--Von der Kaiserin," sagte er, "welche keinen andern Gedanken hat, als ihrem lieben kleinen Louis ein wenig Lorbeer um das jugendliche Haupt zu winden,--und waehrend dieser Lorbeer an den Grenzen gepflueckt wird, beabsichtigt man, eine grosse Generalprobe fuer die kuenftige Regentschaft abzuhalten. Die Toilettenangelegenheiten fangen an, Ihre Majestaet zu langweilen," sprach er im hoehnischen Ton, "die Unterhaltung mit ihrem erhabenen Gemahl ist auch gerade nicht zerstreuend. Die erhabene Kaiserin der Franzosen ist in eminenter Weise ehrgeizig geworden. Und glauben Sie mir," fuhr er fort, "im Geheimen Rath Ihrer Majestaet ist der Krieg beschlossen, und taeglich werden dort die Vorbereitungen dazu discutirt, waehrend dieser allmaelig absterbende Kaiser unter den Haenden seiner Aerzte mit seinen Schmerzen und seiner Schwaeche kaempft." "Glauben Sie," fuhr Graf Beust, der sehr aufmerksam zugehoert hatte, mit dichtem Kopfschuetteln fort, "glauben Sie, dass es der Kaiserin, wenn sie wirklich die Absicht hegt, welche Sie bei ihr voraussetzen, gelingen werde, den Kaiser, der schon in seinen frueheren Jahren so schwer zu den aeussersten Entschluessen zu bringen war, jetzt zu einer so gefaehrlichen Unternehmung zu bestimmen? Jetzt, da er doch kaum den Schein der persoenlichen Leitung zu einer solchen Unternehmung wird erhalten koennen. Und," fuhr er fort, "welche Organe wuerde die Kaiserin finden, um die Verantwortlichkeit dafuer zu tragen. Glauben Sie, dass Graf Daru--" "Graf Daru," sagte Klindworth achselzuckend mit wegwerfendem Ton, "ist ein todter Mann, seine Existenz im Ministerium ist beendet. Das Plebiscit, dem er sich widersetzt, wird ueber ihn dahinschreiten." "Ein Plebiscit," rief Graf Beust, indem er sich rasch emporrichtete und den Staatsrath Klindworth gross ansah, "ein Plebiscit und warum das?"-- "Um die neue Verfassung, welche der Senat und der gesetzgebende Koerper angenommen, durch den Volkswillen sanctioniren zu lassen!" sagte der Staatsrath mit leiser Stimme, indem er seinen Blick fest und stechend auf den Reichskanzler richtete. "Ein Plebiscit, das ist das persoenliche Regiment und das persoenliche Regiment soll ungebunden und frei ueber allem constitutionellen Kram stehen, den man der oeffentlichen Meinung als Spielwerk hinwirft." "Sind Sie sicher," fragte Graf Beust, "dass das Plebiscit eine beschlossene Sache ist?" "Vollkommen," erwiderte der Staatsrath, und Eure Excellenz wissen, dass ich nur dann mit Bestimmtheit Etwas ausspreche, wenn ich meiner Sache vollkommen gewiss bin." "Ein Plebiscit," sagte Graf Beust nachsinnend, "das ist allerdings ernst, das deutet darauf hin, dass man Etwas wie einen Staatsstreich vor hat, nicht nach _Innen_ kann er sich richten--" "Le coup d'Etat europeen," fiel der Staatsrath ein, "das ist der Name, den man in dem geheimen Comite, in welchem die Politik Ihrer Majestaet der Kaiserin Eugenie vorbereitet wird, der Sache gegeben hat. Wie dem Staatsstreich des 2. December das Plebiscit _folgte_, so wird es diesmal dem grossen europaeischen Staatsstreich _vorhergehen_." "Wer aber," sagte Graf Beust,--"ich muss meine Frage von vorhin wiederholen,--wer wird ein so bedenkliches und gewagtes Unternehmen ausfuehren wollen?" "Ihre Majestaet," erwiderte der Staatsrath, "ist sehr geschickt darin, Werkzeuge fuer ihre Plaene zu finden. Sie besitzt viel Menschenkenntniss und versteht, die Leute bei ihrer schwachen Seite zu fassen. Da ist Herr Ollivier--" "Ollivier," rief Graf Beust, "der Freund der Gothaer--der Mann des Frieden? Doch, allerdings," fuhr er fort, "bei dem ist jede Wandlung moeglich." "Dann," fuhr Klindworth fort, "ist da dieser Herzog von Grammont, der soeben noch auf dem Platze sass, den ich jetzt einzunehmen die Ehre habe." Graf Beust neigte sinnend das Haupt. "Grammont," fragte er. "Sie glauben wirklich, dass man Grammont einer solchen Aufgabe gewachsen haelt?" "Der Kaiser will ihn nicht," sagte der Staatsrath, "dennoch wird er zur Ausfuehrung der Ideen der Kaiserin bestimmt werden. Und man hat die Wahl richtig getroffen, denn er besitzt das vollkommen genuegende Mass jenes altfranzoesischen Leichtsinns, welcher schon in frueheren Phasen der Geschicke Frankreichs die unmoeglichsten Dinge unternommen, und," fuegte er hinzu, "dieselben allerdings auch oft durchgefuehrt hat." Graf Beust blieb einige Augenblicke in schweigendem Nachdenken versunken. "Aber," fuhr er dann fort, "wenn ich annehme, dass sich Personen finden, welche in einer mehr als gewagten Action das Schicksal des Kaiserreichs auf's Spiel setzen, so gehoert doch dazu immer noch ein Kriegsfall.--In Berlin scheint man nicht geneigt, die Veranlassung zu einem solchen zu bieten. Woher sollte denn der casus belli kommen?"-- "Man wird ihn nehmen, wo man ihn eben findet," erwiderte der Staatsrath kaltbluetig. "Uebrigens bereitet sich da schon eine kleine Intrigue vor, deren Faeden ganz zufaellig in meine Haende gekommen sind, und welche man demnaechst gehoerig aufgestutzt vielleicht verwerthen wird." Graf Beust blickte ihn fragend, mit gespannter Aufmerksamkeit an. "Eure Excellenz wissen," sagte der Staatsrath, "dass die spanischen Angelegenheiten dem Kaiser sehr grosse Sorgen machen. Die Agitationen des Herzogs von Montpensier erfuellen ihn mit ernsten Besorgnissen. Er hasst und fuerchtet Nichts mehr, als die Orleans, und ein orleanistisches Koenigthum an der andern Seite der Pyrenaeen wuerde ihn keinen Augenblick ruhig schlafen lassen. Da hat man ihm nun eine ganz huebsche Idee suppeditirt. Sie erinnern sich, dass Madame Cornu, des Kaisers geistvolle Milchschwester, welche die Prinzen von Hohenzollern erzogen hat, bereits den jetzigen Fuersten von Rumaenien auf seinen so wenig sichern und erfreulichen Thron gebracht hat. Es scheint nun, dass diese Dame gegenwaertig daran denkt, einen Erbprinzen von Hohenzollern zum Nachfolger Philipp II. zu machen. Der Kaiser, der die Idee zurueckgewiesen, scheint ihr jetzt weniger abgeneigt,--der Prinz ist ein Verwandter seines Hauses, er ist ihm persoenlich sehr geneigt und wuerde ihn am Ende noch lieber als einen Montpensier auf dem Thron von Spanien sehen, der freilich ein wenig groesser und glaenzender, aber darum weder sicherer, noch erfreulicher, als der kleine Fuerstenstuhl von Rumaenien ist." Graf Beust lachte. "Ich habe frueher von diesem Gedanken gehoert," sagte er, "man hat darueber gesprochen. Ich habe aber das Alles immer fuer eine von jenen Blasen gehalten, welche von Zeit zu Zeit auf die Oberflaeche der Conjecturalpolitik steigen, aber ebenso schnell wieder platzen und verschwinden." "Es ist moeglich," erwiderte der Staatsrath, "dass diese Blase auch diesmal wieder platzen und verschwinden wird, fuer den Augenblick jedoch ist sie sehr ernst gemeint, und zwar wird man, wenn die Sache von Seiten des Fuersten Hohenzollern angenommen und in Berlin approbirt werden sollte, sich daraus einen huebschen Kriegsfall zurecht machen." "Einen Kriegsfall?" fragte Graf Beust ganz erstaunt. "Ganz gewiss," sagte der Staatsrath, "Seine arme, kranke Majestaet Napoleon III. wird die Idee haben, dass er, indem er diese kleine Negociation gewaehren laesst, eine Gegenintrigue gegen die Orleans und den Herzog von Montpensier spielt. Er wird glauben, dass er sich da einen kleinen befreundeten Koenig von Spanien schafft, wenn er ueberhaupt an den definitiven Erfolg der ganzen Sache glaubt.--Vielleicht wird er auch gar nicht darueber nachdenken und wird die Sache gehen lassen, wie er so Vieles gehen laesst. Dann aber wird man ihm eines schoenen Tages klar machen, dass ein preussischer Prinz auf dem spanischen Thron--" "Aber der Prinz von Hohenzollern ist ja gar kein preussischer Prinz," warf Graf Beust ein. "Er traegt preussische Uniform, er heisst Hohenzollern, man wird ihn im noethigen Augenblick fuer einen preussischen Prinzen halten und von ganz Frankreich dafuer halten lassen.--Man wird also," fuhr er fort, "dem Kaiser auseinandersetzen, dass ein preussischer Prinz auf dem spanischen Thron die Anbahnung zur Wiederherstellung des Reichs Karl V. unter den Hohenzollern sei. Man wird dasselbe die ganze franzoesische Nation glauben machen, und ploetzlich, ganz ploetzlich, ehe Jemand sich dessen versehen wird, wird man einen sehr huebschen und sehr nationalen Kriegsfall haben." Herr von Beust laechelte abermals. "Mein lieber Staatsrath," sagte er, "Sie wissen, dass ich das groesste Vertrauen zu Ihrem klaren Blick und zu den Quellen habe, aus welchen Sie Ihre Nachrichten zu schoepfen pflegen. Sie muessen mir aber verzeihen, dass ich das, was Sie mir da eben sagen, unmoeglich fuer Ernst nehmen kann. Die Sache ist doch in der That zu abenteuerlich und zu unglaublich. Und wenn ich den Politikern, welche jetzt zuweilen in Frankreich in die Diplomatie hineingreifen, auch sehr kuehne und sehr wunderbare Combinationen zutraue, so wuerde dies doch nach meiner Ueberzeugung die Grenzen des Moeglichen ueberschreiten." Der Staatsrath Klindworth drueckte fest seine Lippen auf einander, richtete einen stechenden Blick auf den Reichskanzler und sprach mit scharfer Betonung: "Ich wuerde nicht hierher gekommen sein, um Eurer Excellenz das zu sagen, was ich Ihnen soeben gesagt habe, wenn ich nicht die feste Ueberzeugung von der Richtigkeit meiner Beobachtung und von der Wahrheit meiner Mittheilung haette. Die Sache ist sogar schon ziemlich weit gediehen. Der Marschall Prim ist in die Combinationen eingeweiht und geht im besten Glauben, fuer das unglueckliche Spanien einen aller Welt convenirenden Koenig gefunden zu haben, in die Falle, die man ihm stellt." Graf Beust dachte einige Augenblicke schweigend nach, er schien durch die Worte des Staatsraths nicht ueberzeugt, doch bemerkte er Nichts weiter ueber den Gegenstand und sprach nach einiger Zeit. "Sie haben mir vorhin gesagt, dass Sie gekommen waeren, zu warnen und zu rathen.--Ich habe Ihre Warnungen gehoert, darf ich Sie nun um Ihren Rath bitten?" "Darf ich," sagte Klindworth, "eine kleine Erinnerung aus vergangener Zeit wachrufen? Eure Excellenz erinnern sich, dass ich kurz vor Ausbruch des Krieges im Jahre 1866, als Sie noch saechsischer Minister waren, Sie in Dresden besuchte. Sie erzeigten mir die Ehre, ueber die damalige Lage mit mir zu sprechen, mir Ihre Meinung ueber die unausbleibliche Nothwendigkeit des Conflicts mitzutheilen, und mir zugleich auseinanderzusetzen, wie gut die saechsischen Ruestungen vorbereitet seien. Ich erlaubte mir damals, nachdem ich Alles angehoert, als einzige Gegenaeusserung nur die Frage, ob Eure Excellenz ein festes, fuer alle Zeit bindendes, die Existenz Sachsens garantierendes Schutz- und Trutzbuendniss mit Oesterreich geschlossen haetten. Sie verneinten das, ich sprach mein grosses Bedauern darueber aus und ertheilte Ihnen den Rath, das Versaeumte, wenn es irgend moeglich sei, noch nachzuholen.--Es war nicht mehr moeglich, die Katastrophe brach herein, Sachsen gerieth unter die kaempfenden Parteien, that nach allen Seiten seine Schuldigkeit, wurde aber ebenso wie die uebrigen, gegen Preussen im Kampf stehenden deutschen Staaten von Oesterreich abandonnirt und ohne Widerspruch der Willkuer des Siegers Preis gegeben. Sie wissen selbst, wie unmittelbar nahe die bereits beschlossene Annectirung ueber dem Haupte Ihres frueheren Vaterlandes dahin gegangen ist. Sie wissen es am besten, wie und durch wen die Existenz Sachsens gerettet wurde, denn Sie sind es, dessen schnellem Entschluss, dessen Energie und Beredsamkeit jene Rettung zu danken ist. Eine aehnliche, nur gewaltigere und welterschuetterndere Katastrophe, wie diejenige von 1866 bereitet sich heute vor, und nach der Beendigung des Kampfes, der nach meiner Ueberzeugung entbrennen wird, werden die Verhaeltnisse Europa's tiefe Erschuetterungen und Veraenderungen erfahren. Solchen Ereignnissen gegenueber muss Oesterreich nach meiner Ueberzeugung den Fehler vermeiden, welchen unter kleinern Verhaeltnissen damals Sachsen und die uebrigen deutschen Staaten begangen haben--den Fehler naemlich, sich ohne festen Entschluss und feste Haltung in die Ereignisse hineintreiben zu lassen." "Sie meinen also?" fragte Graf Beust.-- "Ich meine," sagte der Staatsrath, "dass der Augenblick gekommen ist, um einen entschiedenen Entschluss zu fassen, und sich entweder in fester Allianz an Frankreich anzuschliessen oder rueckhaltlos und frei Preussen und damit zugleich Russland die Hand zu reichen, wodurch dann--allerdings unter veraenderten Verhaeltnissen--jene alte Tripelallianz wieder hergestellt werden wuerde, welche so lange die Schicksale von Europa beherrschte. Fuer die eine, wie fuer die andere Seite spricht Manches; wenn Oesterreich mit Frankreich zusammengeht, wenn Italien hinzugezogen wird, so wird im Fall des Sieges Alles wieder gewonnen werden, was 1866 verloren wurde, und bei so maechtig vereinten Kraeften wird eine vernichtende Niederlage beinahe unmoeglich gemacht, so dass also auch im unguenstigsten Falle Oesterreich nicht viel zu verlieren haben wuerde. Eine feste und rueckhaltslose Allianz mit Preussen, damit auch zugleich mit Russland wuerde auf der andern Seite Frankreich vollkommen isoliren. Die norddeutschen Maechte wuerden Oesterreich mit offenen Armen aufnehmen; vielleicht wuerden einer so maechtigen Coalition gegenueber selbst die unternehmungslustigen Politiker der Coterie der Kaiserin nachdenken--vielleicht wuerde der Krieg verhindert werden, wenn Oesterreich im entscheidenden Moment erklaerte, dass es unter allen Umstaenden auf der Seite Preussens stehen wuerde. Fuer die europaeische Stellung Oesterreichs liesse sich dadurch viel gewinnen. Allerdings aber wuerden auch die deutschen Traditionen dadurch vollstaendig und fuer immer aufgegeben werden muessen." Graf Beust hatte aufmerksam zugehoert. Ein ganz leiser, fast unmerklicher Zug seiner Ironie erschien im Winkel seines Auges. "Und zu welcher Seite dieser Alternative wuerden Sie rathen?" fragte er. "Die Erinnerungen an die grosse Zeit," erwiderte der Staatsrath, "in welche meine reichste Thaetigkeit faellt, die Erinnerungen an die Zeit des grossen Fuersten Metternich machen mich geneigt, zur Wiederherstellung jener alten Coalition der heiligen Allianz zu rathen, dieser weisesten Schoepfung, welche jemals die Diplomatie in's Leben gerufen. Ausserdem spricht in diesem Fall die groessere Sicherheit fuer den Anschluss an Preussen; auf der andern Seite ist viel zu gewinnen, hier aber ist _Alles zu erhalten_, was man schon besitzt. Ich habe wenig Vertrauen," fuhr er fort, "auf die franzoesische Macht. Ich verstehe Nichts von der Kriegsverwaltung, aber nach Allem, was ich gehoert und gesehen, ist dort seit dem Tode Niels unter dem kranken Kaiser Alles in Verfall gerathen. Ausserdem giebt man sich zu grossen Illusionen ueber die Unbesiegbarkeit der franzoesischen Armee hin, und ich fuerchte, dass dem so wohl geschulten preussischen Heer gegenueber der franzoesische Elan wenig ausrichten wird. Doch," fuhr er fort, "das sind Alles Erwaegungen, die ich Eurer Excellenz reiflichem Nachdenken ueberlassen will. Mein dringender Rath geht nur dahin, festen Entschluss zu fassen und bestimmt Partei zu nehmen. Ist dieser Krieg einmal ausgebrochen und Oesterreich demselben unthaetig fern geblieben, so wird doch nichts Anderes mehr moeglich sein, als sich vollstaendig an Preussen und Russland anzuschliessen. Dann aber wird dieser Entschluss keinen Werth mehr haben, waehrend heute noch fuer denselben ein hoher Preis zu erlangen waere. Vor Allem aber," fuegte er hinzu, indem sein stechender Blick scharf und durchdringend zu dem Grafen hinueberblitzte, "vor Allem aber wird dann dieser Anschluss vielleicht nicht mehr von Eurer Excellenz gemacht werden." "Und von wem denn," fragte Graf Beust in etwas veraendertem Ton. "Von Demjenigen," sagte der Staatsrath aufstehend, "der bereits hinter Ihnen steht und jeden Augenblick bereit ist, Ihre Erbschaft anzutreten, wenn die Vollendung des Werkes, das Sie begonnen, von aussen und von innen her verhindert wuerde--wenn Oesterreich gezwungen werden sollte, dem Rathe des Grafen Bismarck folgend seinen Schwerpunkt vollstaendig nach Pesth zu verlegen--vom Grafen Andrassy, Ihrem ungarischen Collegen." Graf Beust war ernst geworden, doch zuckte er leichthin die Achsel und sprach: "Ich kann Ihnen nur wiederholen, mein lieber Staatsrath, dass ich Ihnen fuer Ihre Mittheilungen, so wie fuer Ihren Rath herzlich dankbar bin. Ich hoffe--Sie werden, wenn Sie wieder nach Paris zurueckgehen--?" fuegte er mit einem fragenden Blick hinzu. "Ich werde morgen Wien wieder verlassen," sagte der Staatsrath, "und mich ueber Stuttgart nach Paris zurueckbegeben, ich moechte mir dort die Politik des Herrn von Varnbueler an Ort und Stelle betrachten." "Ich bitte Sie also," fuhr Graf Beust fort, "mich dann ueber Ihre Beobachtungen weiter au courant zu halten." Er verneigte sich leicht gegen den Staatsrath, welcher in seiner eigenthuemlichen gebueckten, fast demuethigen Haltung das Cabinet verliess. "Der alte Klindworth," sagte der Reichskanzler, sich bequem in seinen Stuhl zuruecklehnend, "scheint mir diesmal dupirt worden zu sein. Die Sache ist zu abenteuerlich, zu unmoeglich!--Er ist zwar sonst gut unterrichtet und combinirt vortrefflich die kleinsten Thatsachen, die zu seiner Kenntniss kommen.--Ich will immerhin noch auf anderem Wege darueber nachforschen lassen.--Sollte man aber auch in Frankreich wahnsinnig genug sein, um sich auf so unerhoerte Weise in einen unuebersehbaren Krieg zu stuerzen, ich kann dennoch den Rath des alten viel gewandten Beobachters diesmal ebenso wenig fuer richtig, als seine Mittheilungen fuer zweifellos halten.--Ich habe es uebernommen," sprach er ernst, den Blick gedankenvoll emporrichtend, "das kranke und gebrochene Oesterreich zu heilen, und um das zu erfuellen, was ich versprochen und was ich mir vorgestellt, bedarf ich des Friedens, des Friedens unter jeder Bedingung noch auf Jahre hinaus. Keine Lockung, keine Hoffnung auf glueckliche Zufaelle wird mich von dem Wege abweichen lassen, den ich fuer den einzig richtigen erkannt habe. Und wenn wirklich der gewaltige Kampf, der im Schooss der Zukunft liegt, ausbrechen sollte, bevor Oesterreich an innerer Kraft den uebrigen Maechten Europa's wieder gleich steht, so werde ich unbeirrt mein Ziel verfolgen und weder rechts, noch links blickend, den Frieden erhalten, selbst um den Preis," fuegte er leise hinzu, "dass diese Zurueckhaltung mir selbst verhaengnissvoll werden sollte. Lieber moege mein Werk von andern Haenden vollendet werden, als dass ich es durch unueberlegtes Handeln gefaehrde." Er beugte sich ueber seinen Schreibtisch und begann die auf demselben aufgehaeuften Depeschen zu durchlesen. Sechstes Capitel. In dem schottischen Cabinet der Villa Braunschweig in Hietzing sass der Koenig Georg V. in seinem Lehnstuhl vor dem grossen, mit golddurchwirkter rother Decke ueberhangenen Tisch. Der Koenig trug den weiten Ueberrock seiner oesterreichischen Uniform und rauchte aus einer langen hoelzernen Cigarrenspitze. Er war soeben aus dem grossen Garten der Villa von seinem Morgenspaziergang zurueckgekehrt, und seine aelteste Tochter, die Prinzessin Friederike, welche ihn begleitet hatte, stand neben ihm. Der Koenig war in den letzten Jahren seines Exils merklich aelter geworden, und ein schmerzlich leidender Zug lag auf seinem Gesicht, wenn auch in der Unterhaltung zuweilen noch seine alte Heiterkeit und sein alter Humor hervortrat. Sein duennes Haar begann grau zu werden, die scharfen classischen Formen seines schoenen Profils traten markirter als sonst hervor und gaben seinem frueher so weichen und jugendlichen Gesicht einen Zug von Haerte und Strenge, die ihm sonst fern gewesen war. Die Prinzessin Friederike im dunklen Morgenanzug, einem kleinen mit pelzbesetzten Mantel von schwarzem Sammet und einem Hut von gleichem Stoff, vereinigte in ihrer Erscheinung den Eindruck fuerstlicher Wuerde und Hoheit mit jugendlicher Anmuth und einer fast schuechternen Bescheidenheit. Die Prinzessin war gross und schlank gewachsen, ihr einfach frisirtes, natuerlich gelocktes goldblondes Haar liess die edle Woelbung der reinen und weissen Stirn fast ganz frei. Ihre grossen blauen, durch die Tiefe des Blickes dunkel leuchtenden Augen drueckten muthigen Stolz und sanfte Bescheidenheit zu gleicher Zeit aus. Ihr leicht aufgeworfener, schoen gezeichneter Mund vereinigte eine gewisse trotzige Zurueckhaltung mit kindlicher Naivetaet. Die Prinzessin blickte mit inniger Theilnahme auf ihren Vater herab, welcher mit widersprechenden Gedanken und Gefuehlen zu kaempfen schien, und mit heftiger Bewegung der Lippen grosse Wolken blaeulichen Dampfes vor sich hinblies. "Von allen schweren Schicksalsschlaegen," sagte der Koenig, "die mich in diesen letzten Jahren betroffen haben, hat Nichts so schmerzlich mich beruehrt, als die Erfahrungen, die ich in diesen Tagen machen muss--dass Diejenigen, welche mir und meiner Sache bisher in allem Unglueck so treu geblieben, jetzt sich gegen mich richten und von mir abfallen; und," fuhr er fort, "dass diese das Vertrauen an den Sieg meines Rechts vollkommen verloren haben, dass sie es wagen, so gegen mich aufzutreten." "Aber Papa," sagte die Prinzessin mit sanfter Stimme, "weisst Du denn gewiss, ob auch Alles so richtig ist, wie es Dir aus der Ferne erscheint--und wie vielleicht Manche," fuegte sie ein wenig zoegernd hinzu, "ein Interesse haben, es Dir darzustellen. Ich kenne nur Wenige von den Officieren in Paris, aber ich kenne Herrn von Duering, und von ihm kann ich doch unmoeglich annehmen, dass er irgend Etwas gegen das Interesse unserer Sache oder gegen Dich sollte thun wollen." "Ich auch nicht," rief der Koenig lebhaft, mit zwei Fingern seiner rechten Hand auf den Tisch schlagend. "Ich kann es auch nicht glauben, ich stehe vor einem unloesbaren Raethsel. Doch liegen die Thatsachen vor mir, meine Officiere und Duering an ihrer Spitze widersetzen sich der Ausfuehrung meiner Befehle. Ich habe Duering das Commando ueber die Emigranten abgenommen und ihn der Fuehrung der Geschaefte meines General-Adjutanten enthoben. Ich habe beides an Herrn von Tschirschnitz uebertragen. Die erste Nachricht, die ich von diesem sonst so treuen und vortrefflichen Officier erhalte, ist die Erklaerung, dass er es mit seiner Ehre und seinem Gewissen nicht vereinigen koenne, die Befehle auszufuehren, die ich ihm in Betreff der Aufloesung der Emigration gegeben habe. Ist das nicht offene Auflehnung, ist das nicht Subordination--das hoechste Vergehen, dessen ein Officier sich schuldig machen kann?" "Aber," sagte die Prinzessin, "Herr von Duering, wie auch Herr von Tschirschnitz haben ja ebenso wie alle uebrigen Officiere freiwillig unser Unglueck und unser Exil getheilt. Sie haben Alle die Carriere aufgegeben, welche sich ihnen in Sachsen oeffnete, und welche sie auch, wie so viele andere Officiere der hannoeverschen Armee, in Preussen haetten finden koennen. Wenn solche Leute den Befehlen, die Du ja doch," fuegte sie mit sanfter schmeichelnder Stimme hinzu, "selbst nur nach langem Kampf gegeben hast--wenn sie diesen Befehlen widerstreben, wenn sie nicht muede werden, ihre Vorstellungen dagegen zu erheben--sollte man dann nicht annehmen, dass sie irgend einen ehrenwerthen und verstaendigen Grund dazu haben, dass irgend ein Missverstaendniss vorliegt, welches man aufklaeren muesste." "Oh mein Gott, mein Gott ja!" rief der Koenig, schmerzlich aufseufzend, indem er den Kopf in die Hand stuetzte. "Das habe ich mir auch schon oft gesagt, es ist ja doch unmoeglich, dass eine Anzahl von Maennern, die bisher so treu waren, mit einem Male darauf arbeiten sollten, mir und meiner Sache zu schaden." "Und der Regierungsrath Meding steht doch auch auf der Seite der Officiere," sagte die Prinzessin, "auch er warnt vor der Aufloesung der Legion in der Art und Weise, wie sie begonnen wurde. Es ist doch unmoeglich anzunehmen, dass alle diese Herren nicht irgend einen Grund fuer ihre uebereinstimmende Ueberzeugung haben sollten. Ich bitte Dich, Papa," fuhr sie mit dringendem Ton fort, "die Sache doch recht genau zu pruefen und nicht nach einseitigen Berichten und Vortraegen zu entscheiden." "Gott weiss es," rief der Koenig, "wie schwer es mir wird, ueberhaupt die Legion aufzuloesen und alle diese treuen Soldaten, die meinem Schicksal gefolgt sind, sich selbst zu ueberlassen. Aber es kann ja nicht anders sein, je schwerer ich mich dazu entschlossen habe, um so schmerzlicher beruehrt mich der Widerstand, dem ich begegne.--Ich werde," rief er nach kurzem Nachdenken, "sie Alle noch einmal hoeren,--ich will die ganze Frage nochmals reiflich ueberlegen, denn ich stehe vor einer fuer mich und die Zukunft meines Hauses hoch wichtigen Entscheidung." "Und wenn die Legion aufgeloest wird," sagte die Prinzessin, "wuerde es dann nicht noethig sein, fuer die armen Emigrirten die freie und straflose Rueckkehr in die Heimath vom Koenig von Preussen zu erwirken?--Windthorst hat sich ja erboten, Verhandlungen zu diesem Zweck einzuleiten." "Niemals," rief der Koenig lebhaft, "niemals werde ich meine Autorisation zu solchen Verhandlungen geben! Das hiesse die Annection meines Koenigreichs anerkennen, das hiesse zugestehen, dass der Koenig ein Recht habe, meine treuen Soldaten wegen ihrer Anhaenglichkeit und Ergebenheit zu bestrafen.--Und das werde ich nie zugestehen." Nach einem kurzen Schlag an der Thuer trat des Koenigs Kammerdiener Thoms in das Cabinet und meldete, der Staatsminister Graf Platen stehe zu Seiner Majestaet Befehl. "Er soll kommen," rief der Koenig lebhaft. "Auf Wiedersehen, mein Toechterchen," sagte er, indem er aufstand und die Hand nach der Prinzessin ausstreckte, welche dicht zu ihm herantrat und ihm ihre Stirn reichte, auf die er zaertlich seine Lippen drueckte. "Rufen Sie den Kronprinzen und den Geheimen Cabinetsrath," sagte er dann zu dem Kammerdiener, welcher den Grafen Platen in das Cabinet gefuehrt hatte und nun die beiden Fluegel der Thuer fuer die Prinzessin oeffnete. Prinzessin Friederike verliess mit leichtem freundlichen Gruss gegen den sich tief verneigenden Minister das Zimmer ihres Vaters. Der Graf von Platen-Hallermund, Minister der auswaertigen Angelegenheiten des frueheren Koenigreichs Hannover und jetziger alleiniger Rathgeber des verbannten Koenigs, war damals sechsundfuenfzig Jahre alt. Die letzten Jahre hatten seine frueher noch jugendliche und kraeftige Erscheinung wesentlich aelter und gebrechlicher gemacht. Zwar zeigten seine Bewegungen noch die fruehere Elasticitaet, auch trug sein volles, etwas langes und gelocktes Haar noch eine gleichmaessig schwarze Farbe, doch war sein Schnurrbart stark ergraut, seine Gesichtszuege waren welk und abgespannt. Der Graf, welcher einen Morgenanzug von einfacher Eleganz trug, kuesste die Hand, welche der Koenig ihm reichte und setzte sich dann in einen der grossen, mit schottischem Seidenstoff ueberzogenen Lehnstuhl neben seinem Herrn. "Ich bin erfreut, Eurer Majestaet mitzutheilen," sagte er, "dass die Abwicklung der Liquidation der Wiener Bank sich noch guenstiger fuer unsere Kasse stellen wird, als es anfaenglich den Anschein gehabt hat. Es haben sich einige guenstige Verkaeufe realisiren lassen, so dass, wenn Alles ferner gut geht, Eure Majestaet mit einem Verlust von nicht ganz zwei Millionen Gulden davonkommen werden." Der Koenig seufzte tief auf. "Sie wissen, mein lieber Graf," sagte er, "wie geringen Werth das Geld an sich fuer mich hat. Es ist fuer mich immer nur Mittel zum Zweck. In diesem Augenblick muss es mir dienen, um den heiligsten und hoechsten Zweck zu verfolgen, den ich kenne--die Wiedererlangung meines Rechts und die Zukunft meines Hauses. Und in dieser Beziehung beruehrt mich dieser an sich nicht bedeutende Verlust sehr schmerzlich, denn meine Mittel sind ja ohnehin schon beschraenkt genug." "Dank der vortrefflichen Verwaltung des Commerzienraths Simon, in dessen Haenden nunmehr wieder Eurer Majestaet Vermoegen gelegt ist," sagte Graf Platen, "werden sich ja die Verluste verschmerzen lassen. Doch," fuhr er fort, "wird es nunmehr auch dringend nothwendig, mit dieser ungluecklichen Emigration in Frankreich ein Ende zu machen, welche bereits so viel verschlungen hat und Eurer Majestaet in jedem Jahr dreihundertfuenfzigtausend Thaler kostet. Wenn man diese Summe nicht so schnell als moeglich aus Eurer Majestaet Ausgabenbudget verschwinden laesst, so werden wir von Deficit zu Deficit fortschreiten, und eine successive Capitalsverzehrung wird Eure Majestaet endlich in die Lage bringen, Nichts mehr zu besitzen und sich aus materieller Noth Preussen auf Gnade oder Ungnade zu ergeben." "Traurig, traurig!" rief der Koenig, "dass es dahin gekommen ist! Mein Gott," fuhr er fort, "wenn man die nach England geretteten Papiere damals vor der Amortisation verkauft haette, was Herr von Malortie verhinderte,--oder wenn die in Hannover befindlichen Bestaende vor der letzten Beschlaglegung auf mein Vermoegen in Sicherheit gebracht waeren, was wiederum Herr von Malortie nicht that, dann waere ich niemals in die traurige Lage gekommen, so viele treue und ergebene Menschen einem ungewissen Schicksal ueberlassen zu muessen." Rasch oeffnete sich die Thuer. Der Kronprinz Ernst August trat in's Zimmer, ihm folgte der Geheime Cabinetsrath Lex. Der Prinz Ernst August war eine lang und hoch aufgeschossene Gestalt, fast noch hoeher, als sein Vater, doch waehrend die Gestalt des Koenigs in ihrer Proportion einen harmonischen Eindruck von Wuerde und Majestaet machte, hatten die Glieder des jungen Prinzen noch keine rechte Festigkeit und seinen Bewegungen fehlte die anmuthige Leichtigkeit und Sicherheit. Das schoene glaenzende Haar des Prinzen war kurz geschnitten und von der schmalen zuruecktretenden Stirn aufwaerts emporgekaemmt. Der Blick seiner Augen, den er oft durch eine Lorgnette mit grossen Glaesern verhuellte, war freundlich und gutmuethig. Seine platte, eingedrueckte Nase und sein breiter etwas vorstehender Mund, mit schoenen frischen Zaehnen, war von jeder Aehnlichkeit mit dem edlen Schnitt der Gesichtszuege seines Vaters weit entfernt und das freundliche Laecheln, welches gewoehnlich seinen Mund umspielte, beruehrte nicht so sympathisch als die liebenswuerdige Heiterkeit, welche das Gesicht des Koenigs erhellte. Der Geheime Cabinetsrath, welcher hinter dem Kronprinzen in das Zimmer trat, mochte etwa zwei- bis dreiundsechzig Jahre alt sein. Seine auffallend kleine, magere Gestalt war gebueckt und in sich zusammengefallen, sein faltiges, bartloses Gesicht mit dem kurzen grauen Haar zeigte einen stets muerrischen, kalt abwehrenden Ausdruck, und seine kleinen, scharfen und geistvollen Augen blickten mit einem leisen Anflug von kritischer Ironie durch die Glaeser seiner feinen Brille. Der Kronprinz schritt schnell zu seinem Vater hin, beugte sich zu demselben herab, und der Koenig kuesste ihn herzlich auf die Stirn. Dann setzte sich der Prinz zu dem Koenig und dem Grafen Platen, waehrend der Cabinetsrath auf der andern Seite des Tisches Platz nahm. "Darf ich Sie bitten, mein lieber Graf," sagte Georg V., sich an den Minister wendend, "mir nunmehr Ihre Meinungen ueber die Massregeln auszusprechen, welche nothwendig werden, um die Aufloesung der Emigration, welche ich leider unabaenderlich habe beschliessen muessen, durchzufuehren." "Majestaet," sagte der Graf Platen, indem er sich in sich zusammenschmiegte, "ich muss zunaechst noch einmal darauf zurueckkommen, genau zu constatiren, dass mit den Allerhoechst Ihnen zur Verfuegung stehenden Mitteln der koenigliche Hofhalt und die zur Geltendmachung Ihrer Rechte nothwendigen Ausgaben auf die Dauer nicht bestritten werden koennen, wenn die zur Erhaltung der Emigration notwendige sehr hohe Summe von nahezu vierhunderttausend Thalern jaehrlich nicht aus dem Ausgabebudget verschwindet. Um diese Ersparniss zu machen, um zu gleicher Zeit die Emigrirten, welche, um der koeniglichen Sache zu dienen, ihre Heimath verlassen haben, nicht dem Elend Preis zu geben, habe ich mir erlaubt, Eurer Majestaet vorzuschlagen, noch eine einmalige bedeutende Ausgabe nicht zu scheuen und jedem Mitglied der Emigration die Summe von vierhundert Francs auszuzahlen, damit derselbe sich, sei es durch Auswanderung, sei es auf irgend eine andere Weise, eine neue Existenz schaffen kann." "Es wird eine grosse Summe werden," sagte der Kronprinz, indem er mit den Zaehnen an den Naegeln seiner Finger biss. "Diese einmalige Ausgabe," sagte Graf Platen, sich halb gegen den Prinzen wendend, "ist nothwendig, um den Koenig vor dem Vorwurf zu schuetzen, dass Seine Majestaet die ihm treu gebliebenen Soldaten einfach verlaesst." "Und ich hoffe," rief der Koenig lebhaft, "dass die Summe genuegend bemessen ist." "Vollkommen genuegend, Majestaet," sagte Graf Platen, "um so mehr, da fuer Diejenigen, welche nach Amerika auswandern wollen, noch ausserdem das freie Reisegeld gewaehrt wird. Nun aber," fuhr er fort, "hat sich herausgestellt, dass die Officiere der Emigration aus Gruenden, die ich nicht begreifen kann," fuegte er achselzuckend hinzu, "sich der Ausloesung der Emigration in einer dem dienstlichen Gehorsam sehr wenig entsprechenden Weise widersetzen." Der Koenig biss schweigend auf seinen Schnurrbart. "Eure Majestaet," fuhr Graf Platen fort, "haben das Commando an Herrn von Tschirschnitz uebertragen, aber auch dieser scheint nicht geneigt zu sein, die Massregeln Eurer Majestaet ruecksichtslos durchzufuehren. Ich halte es deshalb fuer nothwendig, dass Eure Majestaet Allerhoechst Ihren Ordonnanzofficier, den Major von Adelebsen, nach Paris entsenden und ihm nicht nur die Geschaefte Ihres General-Adjutanten, sondern auch das Commando der Legion uebertragen, damit die nothwendige und befohlene Aufloesung der Legion schleunigst und ohne Weitlaeufigkeit vollzogen werde. Es scheint," sprach er weiter, "dass die Officiere die Absicht haben, einen Verband unter den Emigrirten zu gegenseitiger Unterstuetzung herzustellen und auf diese Weise vielleicht noch eine Colonisation in Algerien auszufuehren, fuer welche sie sehr grosse Neigung hatten." "Die Idee waere durchaus nicht uebel," sagte der Koenig. "Nach den Versprechungen der franzoesischen Regierung haette den armen Emigrirten dort ein gutes Loos bereitet werden koennen, und ich habe den Gedanken nur aufgegeben, weil er im ganzen Land Hannover einen so lebhaften Widerspruch fand, und weil Deputationen auf Deputationen zu mir gekommen sind, um mich zu bitten, die algerische Colonisation nicht zu erlauben. Die Leute haben dort in Hannover gar keinen Begriff gehabt, um was es sich handelt. Sie glaubten, die Emigranten sollten in die Fremdenlegion verkauft werden, wie sie sich ausdrueckten. Sie haben zuweilen sehr unklare Ideen, diese Hannoveraner, und bleiben dann sehr hartnaeckig in ihrem Ideenkreis stecken. Aber ich musste ja auf eine so allgemein im Lande verbreitete Ansicht Ruecksicht nehmen." "Es moechte ja vielleicht," fiel der Kronprinz ein, "eine Colonisation in Algerien ganz angenehm und vortheilhaft fuer die Leute gewesen sein koennen. Aber--so lange sie zusammen bleiben, werden wir sie nie ganz von der Tasche los werden koennen, wenn es der Colonie irgend einmal schlecht gegangen waere, so haette man immer auf uns recurrirt, und die ganze Geschichte waere eine ewige Veranlassung zu neuen Ausgaben gewesen. Die Hauptsache ist, dass die Leute Alle auseinander gebracht werden, und je weiter fort, um so besser, denn um so schwerer wird es ihnen werden, uns wieder zur Last zu fallen." "Das ist nicht mein Gesichtspunkt," rief der Koenig, das Haupt erhebend. "Mir kommt es nur darauf an, so gut ich es unter meinen jetzigen Verhaeltnissen kann, fuer das Wohl meiner Leute zu sorgen, und ausserdem habe ich die politische Ruecksicht zu nehmen, Ansichten und Wuensche der Bevoelkerung meines Koenigreichs so viel als moeglich zu schonen." "Jedenfalls," sagte Graf Platen, "werden Eure Majestaet nach reiflicher Erwaegung beschliessen, die Legion definitiv aufzuloesen und eine Auswanderung der Leute nach Algerien moeglichst zu inhibiren. Es ist aber noethig, diesen Beschluss schleunigst auszufuehren, damit vor dem 1. April Alles beendet sei und mit dem neuen Rechnungsjahr die Belastung unserer Kasse fortfalle. Wenn also Eure Majestaet befehlen, den Major von Adelebsen dorthin zu senden, so--" Der Koenig hatte das Haupt in die Hand gestuetzt und dachte laengere Zeit schweigend nach. "Waere es nicht," sagte Georg V. endlich, indem er den Kopf emporrichtete, und das Gesicht nach der Seite des Grafen Platen und dem Kronprinzen hinwandte, "waere es nicht am besten, um die Sache am einfachsten in Ordnung zu bringen und alle weiteren Schwierigkeiten zu vermeiden, wenn ich nach Paris telegraphirte und den Regierungsrath Meding, den Major von Duering und vielleicht noch einige der Officiere hierherkommen liess, um ihnen persoenlich meine Befehle zu ertheilen und die Missverstaendnisse aufzuklaeren, welche doch wohl in der ganzen Sache bestehen muessen, da ich mir anders den eigenthuemlichen Widerstand nicht erklaeren kann, den man mir entgegensetzt." Graf Platen bog den Oberkoerper zusammen, warf einen schnellen Seitenblick auf den Kronprinzen und sagte: "Ich fuerchte, Majestaet, dass eine solche Massregel, wie Allerhoechstdieselben sie hier andeuten, nur eine erneute Discussion ueber die ganze Frage hervorrufen und die schleunige Ausfuehrung der von Eurer Majestaet gefassten Beschluesse noch weiter hinausschieben wuerde. Eure Majestaet haben bereits den Befehl an die Officiere gesandt, dass dieselben sich jeder Theilnahme an Verbindungen der Soldaten zu gegenseitiger Unterstuetzung fern halten sollen. Damit ist also ausgeschlossen, dass irgend Etwas geschehen koenne, was die dortige Sachlage aendert; wenn Eure Majestaet nunmehr den Major von Adelebsen mit bestimmten Vollmachten nach Paris entsenden, so wird die ganze Angelegenheit sehr bald erledigt sein. Es ist uebrigens," fuhr er mit einem abermaligen schnellen Seitenblick nach dem Kronprinzen hinueber, "der Feldwebel Stuermann von der Emigration hierher gekommen, um sich im Auftrage seiner Kameraden persoenlich zu erkundigen, was denn eigentlich der Wille und Befehl Eurer Majestaet sei." "Sie haben den Feldwebel gesprochen?" fragte der Koenig schnell. "Nur fluechtig, einen Augenblick," erwiderte der Graf Platen mit einem leichten Anflug von Verlegenheit. "Ich wollte Eurer Majestaet nicht vorgreifen. Vielleicht waere es zweckmaessig, wenn Hoechstdieselben ihn selbst anhoerten." "Einen Feldwebel anhoeren, ohne dass ich meine Officiere gehoert habe," rief der Koenig lebhaft, "das geht nicht. Ich glaube," sagte er nach einem augenblicklichen Nachsinnen, "dass es am besten sein wird, vor Allen Meding und Duering hierher kommen zu lassen, um zu hoeren, wie die Sache dort liegt und was sie denn eigentlich fuer Gruende gegen die von mir beschlossene Art der Aufloesung der Emigration haben." Graf Platen rieb sich die Haende und neigte den Kopf hin und her, ohne indess etwas zu sagen. "Aber Papa," sagte der Kronprinz, mit einer gewissen Schwierigkeit die Worte hervorbringend, "Du wirst doch nicht von dem einmal gefassten Beschluss wieder abgehen? Es scheint mir doch--" Ein Schlag an der Thuer ertoente. "Wer ist da?" fragte der Koenig mit seiner lauten hellen Stimme. Der Kammerdiener trat ein und sprach: "Der Ordonnanzofficier Major von Adelebsen bittet um die Erlaubniss, Eurer Majestaet eine Meldung machen zu duerfen." "Er soll kommen," rief der Koenig etwas verwundert. Major von Adelebsen trat ein. Er war ein Mann von einundvierzig Jahren, etwas ueber Mittelgroesse, von magerer Gestalt und eckigen, wenig eleganten Bewegungen. Sein Gesicht war bleich, von einer etwas gelblichen Farbe und unregelmaessigen Zuegen, welche wenig sympathisch beruehrten, obgleich in ihnen mehr zurueckhaltende Abgeschlossenheit lag, als jene eigenthuemlich-charakteristische Haesslichkeit, welche auf die Dauer zu gewinnen oder wenigstens zu imponiren vermag. Seine Blicke waren unstaet und unruhig bewegt und richteten sich bei seinem Eintritt forschend auf den Kronprinzen, der ihm erwartungsvoll entgegensah. Der Major von Adelebsen, welcher die kleine Uniform des fruehern hannoeverschen Garderegiments trug, naeherte sich dem Koenig und sprach im Ton dienstlicher Meldung: "Majestaet, der Lieutenant von Mengersen und der Lieutenant Heyse sind von Paris hier angekommen und bitten Eure Majestaet im Auftrage ihrer saemmtlichen Kameraden in dringenden Angelegenheiten um Audienz." Der Koenig richtete den Kopf mit fragendem Ausdruck empor. Ein leichter freudiger Schimmer flog ueber seine Zuege. "Und was haben sie mir zu melden?" fragte er. "Sie haben ein Schriftstueck mitgebracht, welches sie mir mitgetheilt und welches ihren Auftrag enthaelt. Der Inhalt dieses Schriftstuecks jedoch hat mich in so hohem Grade befremdet, dass ich fast Anstand nehmen muss, denselben Eurer Majestaet mitzutheilen." "Sprechen Sie," sagte der Koenig im ernsten Ton, waehrend der Kronprinz und Graf Platen einen raschen Blick miteinander wechselten. "Eure Majestaet," fuhr der Major von Adelebsen fort, "haben durch Ihren letzten Befehl den Officieren in Paris verboten, sich irgendwie bei Verbindungen der Emigration zu gegenseitiger Unterstuetzung zu betheiligen und sich ueberhaupt jedes Einflusses auf die Entschliessungen der Soldaten ueber ihr kuenftiges Leben zu enthalten." "Ganz Recht," sagte der Koenig. "Die Officiere erklaeren nun," sagte Herr von Adelebsen, "dass sie es fuer ein Gebot ihrer Ehre hielten, die Emigranten, welche sie so lange Zeit unter ihrem Befehl gehabt und welche sich ihnen voll Vertrauen angeschlossen haetten, ja, welche sie in dem kritischen Augenblick des Jahres 1867 zum Theil selbst zur Emigration veranlasst haetten, nicht schutz- und rathlos im fremden Lande zu verlassen. Sie hielten sich fuer verpflichtet, denselben in jeder Weise auch ferner ihren Rath und Beistand zu Theil werden zu lassen. Vor Allem aber koennten sie nicht glauben," fuhr er mit lebhafterem Ton fort, "dass der Befehl, welcher ihnen allerdings mit Eurer Majestaet Unterschrift vorgelegt worden sei, von Allerhoechstdenselben wirklich in voller Kenntniss des Inhalts unterschrieben sei, da eine Bestaetigung der Allerhoechsten Unterschrift auf dem Papier sich nicht vorfindet. Sie haetten desshalb die Lieutenants von Mengersen und Heyse abgesandt, um Eure Majestaet ihre Bedenken vorzutragen und Allerhoechstdieselben zu bitten, wenn Sie wirklich jenen Befehl gegeben, denselben in Gegenwart der genannten Officiere Allerhoechsteigenhaendig zu unterzeichnen." Der Koenig sprang empor, eine flammende Roethe flog ueber sein Gesicht, er biss die Zaehne aufeinander und stiess mit einem zischenden Laut mehrmals den Athem aus seinen Lippen. Der Kronprinz laechelte still vor sich hin, Graf Platen liess den Kopf auf die Brust sinken und schlug die Augen zu Boden nieder. "Dahin ist es also gekommen," rief der Koenig mir lauter Stimme, "dass die Officiere meiner Armee es wagen, an einem Befehl zu zweifeln, der meine koenigliche Unterschrift traegt, dass sie von mir, ihrem obersten Kriegsherrn, die Erfuellung jener constitutionellen Form verlangen, welche fuer die Civilverwaltung des Koenigreichs gesetzlich vorgeschrieben war. Welcher Geist," sprach er in dumpfem Ton, "muss in jenen Kreisen herrschen, wenn so Etwas moeglich ist. Welcher Daemon muss seine Gewalt ueber diese Officiere ueben, dass sie es wagen, mir so gegenueber zu treten." "Es ist allerdings," sagte der Major von Adelebsen, "ein hoechst unmilitairisches und vermessenes Vorgehen. Ich habe den Herren Vorstellungen gemacht, ich habe versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber," fuegte er achselzuckend hinzu, "es ist vergeblich gewesen. Sie bestehen mit Entschiedenheit darauf, den Befehl in ihrer Gegenwart von Eurer Majestaet vollzogen zu sehen, da sie denselben anders nicht fuer gueltig erkennen koennen." "Sagen Sie den Herren," rief der Koenig mit zitternder Stimme, "dass ich sie nicht empfangen wolle, dass ich ihnen befehlen lasse, augenblicklich nach Paris zurueckzureisen. Ich werde ihnen," fuegte er mit muehsam unterdrueckter Erregung hinzu, "meinen Willen in einer Form kundgeben, an welcher sie keinen Zweifel werden hegen koennen." Herr von Adelebsen verneigte sich, indem ein leichtes Laecheln der Befriedigung um seine Lippen spielte und verliess das Zimmer. "Graf Platen," rief der Koenig, indem er sich wieder in seinen Lehnstuhl niedersetzte, "Sie werden mir eine zweite Ausfertigung des Befehls vorlegen, ich werde meine Unterschrift unter demselben beglaubigen lassen. Zugleich lassen Sie Vollmachten fuer den Major von Adelebsen ausfertigen, damit er alle Functionen des Majors von Duering sofort uebernehmen koenne. Er soll auf der Stelle nach Paris reisen, um die Aufloesung der Legion durchzufuehren." "Waere es nicht zweckmaessig, Majestaet," sagte Graf Platen, "bei dem Geist des Widerspruchs, der unter den Officieren in Paris zu herrschen scheint, die hauptsaechlichsten Fuehrer derselben von dort zu entfernen. Ich meine insbesondere den Major von Duering und den Premierlieutenant von Tschirschnitz, durch welche sich doch die Uebrigen mehr oder weniger bestimmen lassen." "Gewiss," sagte der Koenig, "lassen Sie sogleich die Befehle ausfertigen. Duering soll nach Bern, Tschirschnitz nach Basel sich begeben und dort meine weiteren Bestimmungen abwarten." Er lehnte sich wie erschoepft in seinen Stuhl zurueck und bedeckte das Gesicht mit den Haenden. "Wuerde es aber nicht zweckmaessig sein," sagte der Geheime Cabinetsrath mit seiner feinen und hohen Stimme, "da nun die Aufloesung der Legion in Frankreich durchgefuehrt werden soll und werden wird, dafuer Sorge zu tragen, dass diese Massregel, welche man ohne Zweifel viel besprechen wird, in den Augen der Welt und namentlich in den Augen der franzoesischen Regierung nicht so ausgelegt werde, als ob Eure Majestaet auf Ihr Recht verzichten und jede Thaetigkeit fuer die Wiedererlangung desselben fuer immer aufgeben?" "Ich glaube kaum," sagte Graf Platen, "dass man die Sache so ansehen koennte. Jedermann weiss, dass die Mittel Eurer Majestaet beschraenkt sind, und Jedermann wird begreifen, dass Allerhoechstdieselben auf die Dauer solche Ausgaben nicht durchzusetzen vermoegen." "Doch, doch," rief Georg V., "der Cabinetsrath hat vollkommen Recht. Lassen Sie durch Lume de Luine ein Schreiben an den Kaiser Napoleon aufsetzen, worin ich ihm die Gruende meiner Massregeln auseinandersetze, ihm fuer den Schutz, den er bisher den hannoeverschen Emigranten gewaehrt hat, danke und zugleich erklaere, dass die Aufloesung der Legion lediglich durch finanzielle Ruecksichten geboten sei und dass ich trotzdem niemals aufhoeren wuerde, jede Gelegenheit zu ergreifen, um fuer mein verletztes Recht zu kaempfen." Der Kronprinz wollte Etwas bemerken, rasch aber stand der Koenig auf und sagte: "Ich danke Ihnen, meine Herren, ich will allein sein." Fluechtig beruehrte er mit den Lippen die Stirn des Kronprinzen, welcher sich ihm naeherte und dann das Cabinet verliess. Graf Platen und der Geheime Cabinetsrath folgten und der Koenig blieb allein. Er liess den Kopf auf die Brust niedersinken. Laengere Zeit hoerte man in dem stillen Zimmer Nichts als die tiefen, unruhigen Athemzuege, welche seine Brust bewegten. "Welch ein hartes, schweres Schicksal," rief er dann.--"Ich habe meinen Thron und mein Koenigreich verloren! Ich bin von meinem Volk getrennt, dessen Glueck die ganze Kraft und Arbeit meines Lebens gewidmet war, und nun muss ich es erleben, dass auch Diejenigen, welche mein Unglueck theilten, und welche in der Verbannung mir treu geblieben, sich von mir wenden. So hat," rief er schmerzlich aus, "diese Zeit alle Begriffe verwirrt, alle sonst so heiligen Bande gelockert, dass sogar die Officiere meiner Armee, dieser Armee, welche so heldenmuethig und opferfreudig sich fuer mich geschlagen, mir nicht mehr vertrauen und sich gegen mich auflehnen!" Er stand auf und blieb vor seinem Stuhle stehen. Schmerzlich zuckte sein edles Gesicht und die blicklosen Augen wandten sich umher, als wollten sie mit gewaltiger Willensanstrengung das Dunkel durchbrechen, welches ihn umgab. "Wer zeigt mir," rief er, "wo die Wahrheit liegt, wo der rechte Weg ist, den ich zu gehen habe! Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen meine Beschluesse gefasst, ich habe gethan, was ich fuer meine Pflicht hielt,--und nun finde ich mich einsam und verlassen, verlassen von Denen, welche ich fuer die Treuesten hielt! Fast moechte ich irre werden an dem, was ich fuer recht erkannt, denn Diejenigen, welche jetzt meinem Willen widerstreben, habe ich stets als fest und muthig erkannt. Und die mich hier mit Rath umgeben--" Er seufzte tief auf. "Ich weiss, wie viel dem Grafen Platen zu den Eigenschaften fehlt, welche den grossen Staatsmann machen, ich weiss, wie leicht er zu beeinflussen ist.--Und doch, doch kann ich nicht anders handeln, ich habe die Mittel nicht mehr, den Kampf in der Weise fortzusetzen wie bisher. Und jene Emigranten, die ich ferner nicht unterstuetzen kann, werden ja, wenn sie von derselben Begeisterung fuer ihre Sache erfuellt sind, welche einst ihre Vaeter auf allen Schlachtfeldern Europa's fuer ihren Koenig kaempfen liess, Mittel finden, sich mir dennoch zu erhalten und vielleicht-- "Oh, wer giebt mir Licht in diesem Dunkel--oh, dass ich nur einmal die Blicke und Mienen Derjenigen sehen koennte, die zu mir sprechen. Ich wuerde leichter erkennen koennen, wo die Wahrheit liegt." Er sank wieder auf seinen Stuhl nieder, stuetzte den Kopf in die Haende und blieb lange in tiefem Sinnen versunken. Dann ploetzlich schien ein Gedanke in ihm aufzusteigen, rasch bewegte er die goldene Glocke, welche auf einem schoen ciselirten Teller vor ihm stand. Der Kammerdiener trat ein. "Ist Graf Platen noch im Hause," fragte der Koenig rasch. "Zu Befehl, Majestaet, der Graf ist bei Seiner koeniglichen Hoheit dem Kronprinzen." "Rufen Sie ihn und den Kronprinzen." Wenige Augenblicke darauf erschienen der Prinz Ernst August und der Graf Platen abermals in dem Cabinet des Koenigs. "Sie sprachen mir vorhin," sagte Georg V., "von dem Feldwebel Stuermann. Ist er hier? Ich will ihn sprechen." Graf Platen wechselte einen Blick mit dem Kronprinzen und erwiderte dann: "Der Feldwebel ist hier, Majestaet, er hat soeben noch Seiner Koeniglichen Hoheit Bericht ueber die Verhaeltnisse und Stimmungen unter den Emigranten erstattet." "Bringen Sie ihn her," sagte der Koenig kurz. Graf Platen ging hinaus und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Mann von etwa vier- bis fuenfundfuenfzig Jahren, dem man trotz seiner buergerlichen Tracht in seiner ganzen Haltung den alten Soldaten ansah, zurueck. Der Feldwebel Stuermann war eine hagere duerre Gestalt von Mittelgroesse, sein kurzes graues Haar war militairisch geschnitten; sein langes Gesicht von graugelber Farbe drueckte Verschlossenheit und eigensinnige Beschraenktheit aus. In seinen kleinen, etwas starr blickenden Augen lag jene listige Verschlagenheit, welche man haeufig in dem niedersaechsischen Stamme findet. Er trug die Medaille von Langensalza in dem Knopfloch seines einfachen grauen Rockes, trat einige Schritte vor und blieb dann in militairisch dienstlicher Haltung stehen. "Ich freue mich, Sie hier zu wissen, mein lieber Feldwebel," sagte der Koenig in kurzem, fast strengem Ton. "Ihre Kameraden haben Sie hierher gesendet, sagen Sie mir, was dieselben denken und was in Paris unter denselben vorgeht." Der Feldwebel warf einen Blick auf den Grafen Platen, welcher leicht mit dem Kopf nickte und sprach mit einer etwas schwerfaelligen Stimme, indem er mit einer gewissen Muehe langsam die Worte hervorbrachte. "Ich bin hierher gekommen, Koenigliche Majestaet, um genau zu erfahren, was denn eigentlich Eurer Majestaet Willen und Befehl ist, da weder ich, noch meine Kameraden uns vollkommen klar darueber sind." "Und warum nicht," fragte der Koenig kurz. "Die Herren Officiere," sagte der Feldwebel, "welche mit uns nach Holland gegangen sind, welche uns in der Schweiz und in Frankreich commandirt haben, und zu welchen wir Alle das groesste Vertrauen hatten, haben uns vor einiger Zeit gesagt, dass es der Wille Eurer Majestaet sei, fuer uns eine Colonie in Algerien zu gruenden, damit wir dort uns eine neue Heimath schaffen und abwarten koennen, bis der Moment gekommen waere, fuer das Recht Eurer Majestaet in den Kampf zu gehen. "Weiter," sprach der Koenig. "Wir haben uns Alle bereit erklaert," fuhr der Feldwebel fort, "dorthin zu gehen, obgleich uns viel Schlimmes von dem Lande erzaehlt wurde. Aber fuer Eure Majestaet und fuer unsere heilige Sache," fuhr er fort, indem er die Hand auf die Brust legte, "wuerden wir ja bis an's Ende der Welt gehen. "Nun aber," sagte er nach einem augenblicklichen Schweigen, indem er abermals zum Grafen Platen hinueberblickte, "hat uns vor vier Wochen der Herr Major von Adelebsen und der Herr von Muenchhausen, welche die Standquartiere der Emigranten bereisten, mitgetheilt, dass Eure Majestaet die Colonie in Algerien nicht wollten, dass Sie vielmehr die Legionaire entlassen wuerden und Jeden auffordern liessen, zu erklaeren, wohin er zu gehen beabsichtigte. Die Herren Officiere," sagte er dann, "haben uns nun zwar bestaetigt, dass von Eurer Majestaet eine Colonie in Algerien nicht mehr gegruendet werden wuerde. Dennoch aber haben sie uns aufgefordert, zusammen zu bleiben und einen Verband zu bilden und uns gegenseitig zu unterstuetzen, wollen auch versuchen, ob es nicht moeglich sei, ohne Betheiligung Eurer Majestaet von der franzoesischen Regierung die Herstellung einer Colonie zu erreichen, auf welcher wir eine gemeinschaftliche Existenz uns beschaffen koennten. Es ist darueber viel hin- und hergesprochen, einzelne von den jungen Leuten wollen gern ihr Glueck in Algerien versuchen. Wir aber, die aelteren und namentlich die Unterofficiere wuerden uns einem solchen Unternehmen nur anschliessen wollen, wenn wir bestimmt wuessten, dass wir darin dem Willen Eurer Majestaet gemaess handelten. Und desswegen bin ich hierher gekommen, um womoeglich Eure Majestaet zu fragen, was wir thun sollen." "Der Unterofficier Stuermann, Majestaet," fiel Graf Platen ein, "und seine Kameraden moechten es besonders Allerhoechstdenselben zur Beherzigung empfehlen, dass sie durch langjaehrige Dienstzeit eine Pensionsberechtigung erworben haben, welche sie durch ihre Auswanderung aus Hannover der preussischen Regierung gegenueber verwirkten, sie glauben desshalb, dass Eure Majestaet Gerechtigkeit anerkennen werden, wie sie in andern Verhaeltnissen sich befinden, als die juengern in der Emigration befindlichen Soldaten." "Ich glaube," sagte der Kronprinz, "dass Du das gewiss anerkennen wirst, Papa, und dass die Unterofficiere jedenfalls anders gestellt werden muessen, als die grosse Masse der Emigranten." "Gewiss," rief der Koenig lebhaft, "diejenigen gedienten Soldaten, welche eine Pensionsberechtigung erworben haben, sollen keinen Schaden leiden. Meine Kasse," sagte er mit etwas leiser Stimme, das Gesicht mit fragendem Ausdruck auf den Grafen Platen hinwendend, "wird diese Verpflichtung erfuellen koennen?" "Ganz gewiss, Majestaet," erwiderte der Minister. "Dann," sagte der Feldwebel Stuermann, "kann ich Eurer Majestaet versichern, dass alle meine alten Kameraden hoechst zufrieden und Eurer Majestaet besonders dankbar sein werden. Ich werde sehr gluecklich sein, ihnen das gnaedige Versprechen Eurer Majestaet mittheilen zu koennen, und wir werden unser Moeglichstes thun, um die juengern Soldaten von abenteuerlichen Unternehmungen abzuhalten." "Am besten waere es," sagte der Kronprinz ein wenig zoegernd, "wenn sie nach Amerika auswanderten. Dort koennen sie ja doch noch am ersten ein Unterkommen finden." "Zu Befehl, Koenigliche Hoheit," sagte der Feldwebel. "Dann waeren sie aber fuer mich fuer immer verloren," sprach der Koenig halb leise zu sich. "Nein, nein," rief er dann laut, "man soll keinen Einfluss in dieser Beziehung auf ihre Entschliessungen ueben. Doch," fuhr er abbrechend fort, indem er sich an den Feldwebel wandte, "haben denn die Leute eine so grosse Neigung gehabt, nach Algerien zu gehen, dass meine Officiere so sehr auf diesen Plan bestehen? Sie wissen vielleicht, dass im Lande Hannover die ganze Bevoelkerung eine grosse Abneigung gegen dieses Project hat und befuerchtet, die Leute koennten dort zu Grunde gehen?" Der Feldwebel blickte fragend auf den Kronprinzen und Graf Platen; dann sprach er: "Die Leute sind durch die Officiere fortwaehrend in dem Gedanken bestaerkt worden, dass eine Colonie in Algerien fuer sie das Beste sei,--ich habe," fuhr er fort, "immer meine Bedenken dagegen gehabt. Und ich habe wohl so Manches gehoert--dass die franzoesische Regierung eine solche Colonie sehr wuensche, um die unbebauten Gegenden in Algerien fruchtbar zu machen. Man hat sich so Manches erzaehlt." Er schwieg abbrechend. "Was hat man sich erzaehlt?" fragte der Koenig. "Nun," sagte der Feldwebel, "man spricht so Allerlei, was ich Eurer Majestaet aber gar nicht erst wiedererzaehlen moechte." "Ich will Alles wissen," sagte der Koenig. "Was spricht man?" "Majestaet," sagte der Feldwebel, "das Algerien soll ein schoenes und fruchtbares Land sein, es hat aber ungesundes Klima und es ist Niemand da, um es zu bebauen.--Die Franzosen sind sehr schlechte Landarbeiter, da waere es denn der franzoesischen Regierung wohl sehr angenehm, wenn kraeftige deutsche Einwanderer ihnen helfen wuerden, das Land zu cultiviren. Man hat schon verschiedene solche Colonien gemacht, wie man mir in Paris erzaehlt hat. Es sind Unternehmer zusammengetreten, um Leute anzuwerben und dort hinzufuehren. Den Colonisten soll es schlecht gegangen sein, sie sind von Krankheiten dahingerafft, nachdem sie die ersten Arbeiten gethan und das Land fruchtbar gemacht hatten. Aber die Unternehmer haben grosse Besitzungen von der Regierung erhalten, sehr eintraegliche Herrschaften, und sie sind grosse, reiche Herren geworden. Nun, das koennte wohl Manchen ja schon locken, um etwas Aehnliches zu unternehmen. Ich kann mir so Etwas von unseren Officieren nicht denken; aber man wird doch etwas stutzig, wenn man Dergleichen so von verschiedenen Seiten hoert." Der Koenig zuckte zusammen, in schmerzlicher Erregung zitterte sein Gesicht, er streckte den Arm aus und legte die Hand auf die Schulter des Kronprinzen. "Ernst," rief er, "Ernst, jetzt sehe ich klar.--Darum also dieser Plan, darum dieser Widerstand gegen meinen Willen." Ein fast unwillkuerliches Laecheln glitt ueber die Lippen des Kronprinzen. Graf Platen neigte leicht den Kopf gegen den Feldwebel und sprach dann zum Koenig gewendet: "Es ist doch gut, dass Eure Majestaet die Gnade gehabt haben, den Feldwebel Stuermann anzuhoeren. In unklaren Verhaeltnissen fuehrt es immer zur richtigen Erkenntniss, wenn man die Sache von allen Seiten hin beleuchten laesst.--Und es wird gewiss von grossem Nutzen sein, wenn der Feldwebel seine Kameraden ueber den wahren Willen Eurer Majestaet aufklaert." "Ich danke Ihnen, mein lieber Feldwebel," sagte der Koenig, "ich gebe Ihnen noch einmal das Versprechen, dass die Pensionsberechtigung der Unterofficiere ihre Anerkennung finden soll." Der Feldwebel wandte sich kurz und militairisch um und ging hinaus. "Ich erwarte also," sagte Georg V. mit matter Stimme, "dass Sie sogleich die Vollmachten fuer den Major von Adelebsen ausfertigen. Er soll so schnell als moeglich abreisen. Senden Sie sogleich an Meding den Befehl, dass er die Unterstuetzungen der franzoesischen Behoerden in den Stationsorten der Emigration fuer die Aufloesung der Legion bewirke.--Ernst," fuhr er fort, "Du sollst mich begleiten, ich will einen Spaziergang machen. Ich bedarf der freien weiten Luft, der enge Raum dieses Zimmers erdrueckt mich mit all den traurigen Gedanken, mit denen diese bittern Erfahrungen mich erfuellen." Er klingelte, der Kammerdiener brachte ihm auf seinen Befehl die kleine oesterreichische Muetze und die Handschuhe, und, auf den Arm des Prinzen gestuetzt, schritt er in den Park hinaus. Siebentes Capitel. Die unruhige Bewegung auf den Strassen von Paris hatte ein wenig nachgelassen, dennoch sah man in den Abendstunden eine groessere Menge als sonst auf den hell erleuchteten Boulevards hin und herziehen. Man sah noch einzelne von jenen Gestalten, welche man sonst nicht zu bemerken pflegte und welche einzeln oder zu Zweien oder Dreien ruhig einhergingen, finstern Blickes die Spaziergaenger betrachtend und zahlreich genug, um im gegebenen Moment und auf ein gegebenes Signal eine Zusammenrottung zu bilden. Die sergeants de ville standen in verstaerkter Zahl an den Strassenecken, und so wie irgend eine Stockung des Verkehrs eintreten zu wollen schien, ersuchten sie das Publikum hoeflich, aber bestimmt, weiter zu gehen. Die Gruppen vor den Kaffeehaeusern, welche dort bei ihrem Glas Bier von Dreher, bei ihrem Grog americain oder bei ihrem Glase Cognac trotz der noch kalten frischen Luft im Freien sassen, sprachen lebhaft, doch ohne dass man eine besonders bedenkliche Aufregung haette bemerken koennen. Der allgemeine Eindruck war, dass die Bewegung, welche durch die Verhaftung Rocheforts hervorgerufen worden, vorueber sei, und dass dieselbe weiter keine Consequenzen haben werde. Man war allgemein zufrieden mit dem Verfahren des Kaisers, welcher nur im Falle des aeussersten Widerstandes das Militair hatte einschreiten lassen, und die Popularitaet Napoleon III. war durch seine persoenliche Fahrt ueber die Boulevards und durch die unruhigsten Stadttheile sehr bedeutend gestiegen. Man hatte von Neuem gesehen, dass der Kaiser sich nicht fuerchte, und nur der Souverain kann Frankreich beherrschen, ueber welchen die Furcht keine Macht hat. Vor einem der Cafes auf dem Boulevard des Italiens sassen an einem kleinen Tische mehrere Officiere der hannoeverschen Legion und suchten den unangenehmen Einfluss des nebelhaften feuchten Wetters durch einige Glaeser norddeutschen Punsches zu bekaempfen, den sie sich nach ihrer Anweisung von dem Garcon hatten bereiten lassen, der ein gewisses Erstaunen ueber die sehr unbedeutende Rolle nicht unterdruecken konnte, die dem heissen Wasser gegenueber dem Arac in diesem Getraenk zugewiesen war. An der Mitte des Tisches sass ein wenig zusammengebueckt auf einem hoelzernen Stuhl der Major von Duering, eine kleine schmaechtige, aber nervoese und muskelkraeftige Gestalt. Das schmale, scharf markirte und bleiche Gesicht mit dem starken, spitz gedrehten, blonden Schnurbart und den lebhaften, graublauen Augen drueckte muthige Entschlossenheit und feine Intelligenz aus. Der hohe schwarze Hut war ein wenig in den Nacken gedrueckt und liess die stark gewoelbte Stirn zur Haelfte frei. Er huellte sich ein wenig froestelnd in seinen Ueberrock und trank in kleinen Zuegen das heisse dampfende Getraenk, welches vor ihm stand. "Ich sage," sprach Herr von Duering, nachdem er laengere Zeit schweigend in das Treiben der Voruebergehenden geblickt und, indem er sich zu dem neben ihm sitzenden Premierlieutenant von Tschirschnitz wandte, einem grossen, schlanken, jungen Manne, dessen Gesicht mit starkem vollem Bart freimuethige Offenheit ausdrueckte, "ich sage Euch, die Sache wird sehr schlimm werden und unsere Aussicht auf die Zukunft ist wahrlich nicht rosig." "Das bemerkte schon jener Unterofficier," erwiderte Herr von Tschirschnitz mit einem gewissen trockenen Humor, "welcher bei einer Zusammenkunft unserer Leute die kurze und schlagende Rede hielt: Nummer Eins,--Zweitens--ad Drei--um kurz von der Sache zu sein--wir sehen einer schaudervollen Zukunft entgegen." Alle lachten. "Ich begreife nicht," sagte Herr von Duering, schnell wieder ernst werdend, "wie Ihr noch Lust zu scherzen haben koennt! Die Lage ist doch wahrhaftig ernst genug.--Ich will von uns gar nicht sprechen, aber alle diese armen Leute, fuer die wir doch mit verantwortlich sind, sie koennen noch weniger wie wir sich eine andere Existenz und eine andere Lebensstellung schaffen, wenn man sie einfach mit einer kleinen Summe in der Tasche in die Welt hinaus schickt." "Warum sollte ich den Humor verlieren," erwiderte Herr von Tschirschnitz mit heiterm Ton, durch welchen jedoch eine gewisse tiefe Bitterkeit hindurchklang, "ich bin ja jetzt Generaladjutant geworden und habe die Legion zu commandiren--ich habe den panache.--Es ist wahrhaftig ganz wie in der 'Grossherzogin von Gerolstein'; ich glaube nicht, dass meine Herrschaft lange dauern wird und dann kann ich mit Euch zusammen Schulmeister werden. Jetzt aber"--er schlug die Arme untereinander, blickte Herrn von Duering mit komischem Blinzeln der Augen an und sagte, die Worte des Fritz aus der grande-duchesse citirend-- "Mauvais general." "Wenn der panache an mich kommt," sagte der Lieutenant Goetz von Ohlenhusen, ein noch ganz junger Mann mit huebschem, etwas phlegmatischem Gesicht, indem er einen langen Zug aus seinem Glase that, "wenn der panache an mich kommt, ich werde ihn nicht annehmen." "Seid ruhig," erwiderte Herr von Tschirschnitz, "bis er an Euch kommt, wird er schon so zerpflueckt sein, dass keine Feder mehr daran ist, doch nun," fuhr er ernst fort, "ganz aufrichtig gesprochen, ich glaube wirklich nicht, dass die Sache so schlimm ist. Es ist ja ganz richtig, dass alle moeglichen Intriguen den Koenig umlagern, aber Er ist doch ein Herr von edelster Gesinnung und hohen ritterlichen Gefuehlen; wenn er unsere Vorstellungen hoert, so wird er jedenfalls noch einmal ueber die Sache nachdenken.--Wir wollen ja durchaus dasselbe, wie er, wir wollen ja, dass seine schon so belastete Kasse von dieser grossen Ausgabe fuer die Legion befreit werde, nur wollen wir das in einer Weise machen, dass die armen Leute nicht rath- und hilflos ihrem Schicksal preisgegeben werden, sondern dass sie im Zusammenhang untereinander der Sache des Koenigs erhalten bleiben. Will der Koenig die Vertheidigung seines Rechtes fortsetzen, so muss er sich doch Diejenigen, welche sich ihm dazu zur Verfuegung gestellt haben, auf irgend eine Weise erhalten, und dass kann nur hier auf neutralem Boden geschehen, wo sie Schutz finden. Will er aber sein Recht aufgeben--nun das ist ja seine Sache. Und vielleicht," fuegte er seufzend hinzu, "waere es bei der Art und Weise, wie sie gehandhabt wird, das Beste. Dann soll man wenigstens fuer die Emigranten straffreie Rueckkehr nach ihrer Heimath erwirken. Das Alles muss doch dem Koenig einleuchten, er muss sich ja doch ueberzeugen, dass wir, die wir ihm unsere Treue durch die That bewiesen haben, wahrlich nicht ohne Grund gegen seine Befehle demonstriren." "Glaubt Ihr denn," fragte Herr von Goetz, "dass dem Koenige unsere Vorstellungen zur Kenntniss kommen?--Glaubt Ihr denn, dass er Mengersen und Heyse empfangen und hoeren wird?" "Das glaube ich gewiss!" rief Herr von Tschirschnitz mit festem Ton. "Ich glaube nicht, dass Jemand es wagen wuerde, dem Koenige Etwas zu verheimlichen oder etwas Unrichtiges vorzutragen. Das waere doch in der That eine zu grosse Nichtswuerdigkeit." Herr von Duering schuettelte langsam den Kopf. "Mir sind in der letzten Zeit," sagte er, "in dieser Beziehung sehr erhebliche Zweifel aufgestiegen. Schon seit laengerer Zeit erhalte ich auf verschiedene Berichte, die ich ueber die Verhaeltnisse der Legion nach Hietzing gesandt, Antworten, die durchaus nicht auf das passen, was ich geschrieben habe und welche nur dann einen Sinn haben, wenn meine Berichte vollstaendig missverstanden waeren, was doch bei der klaren Fassung derselben und bei dem seinen Verstaendniss des Koenigs kaum moeglich ist." "So haltet Ihr es fuer moeglich," rief der Lieutenant von Harling, ein junger, dunkel bruenetter Mann mit feurigen, schwarzen Augen, "so haltet Ihr es fuer moeglich, dass dem Koenige Etwas falsch vorgelesen oder Etwas verschwiegen wuerde?" "Ich will keine bestimmte Meinung aussprechen," sagte Herr von Duering, "ich constatire nur die Thatsache, dass die Antworten, welche ich aus Hietzing erhalte, absolut auf meine Berichte nicht passen, dass sogar in einigen dieser Antworten mir ausdruecklich Aeusserungen untergelegt werden, die ich niemals gemacht habe." "Es waere doch vielleicht besser gewesen," sagte Herr von Harling, gegen den Major von Duering gewendet, "wenn Sie oder Herr von Tschirschnitz nach Hietzing gegangen waeren. Ich weiss nicht, ob Mengersen und Heyse unsere Sache richtig fuehren werden. Mengersen spricht etwas viel und Heyse ist etwas bescheiden und zurueckhaltend." "Ich sollte nach Hietzing gehen," rief Herr von Duering lebhaft, "nach der Behandlung, die man mir hat widerfahren lassen, nachdem man mich ungehoert auf die schnoedeste und ruecksichtsloseste Weise meiner Funktionen enthoben hat, deren Fuehrung doch wahrlich unter diesen Verhaeltnissen ein Act besonderer Hingebung gegen den Koenig war, niemals!" rief er. "Ich will nur noch meine Geschaefte ordnungsmaessig uebergeben, will so viel ich kann fuer das kuenftige Schicksal der Leute sorgen, und dann wende ich unserer verlorenen Sache, welche ein so trauriges Ende nimmt, fuer immer den Ruecken. Ich werde keine Muehe und Arbeit scheuen, um mir eine Stellung zu erwerben, und ich hoffe auch, dass mir das gelingen wird. In der Tuerkei braucht man Officiere, der Vicekoenig von Aegypten sucht Instructeure fuer seine Armee. Ich kenne die orientalischen Verhaeltnisse einigermassen durch meine Dienstzeit in Algier, und ich hoffe, dort meinen Platz zu finden." "Oh, warum habe ich meine Compagnie in Sachsen im Stich gelassen," rief Herr von Tschirschnitz seufzend, "die man mir ganz fertig anbot, gerade in dem Augenblick, als die Emigration nach Holland in's Werk gesetzt wurde. Ich lebte dann heute ruhig und friedlich, haette die Aussicht auf eine vortreffliche Carriere und haette nicht noethig, diese traurige Erfahrung ueber die Undankbarkeit der Fuersten zu machen." Ein rasch vorueberschreitender kleiner Mann von etwa vierzig Jahren in einem dunklen Paletot und einen etwas in die Stirn gedrueckten Hut auf dem Kopf, blieb ploetzlich stehen und naeherte sich den Officieren. Sein Gesicht von Intelligenz und Schlauheit und von beweglichem Mienenspiel hatte jene helle, weiss und rothe Faerbung der nordlaendischen Race. Ein Guertel von dichten Sommersprossen, welche in dieser Jahreszeit weniger scharf hervortraten, lief ueber seine spitze, etwas hervorspringende Nase hin, seine kleinen, hellblauen, scharfen Augen blickten scharf und beobachtend umher. Freundlich erwiderten die Officiere seinen Gruss, als er an ihren Tisch trat. "Ich begreife nicht, meine Herren," sagte er, "wie Sie es aushalten koennen, in dieser Kaelte hier auf der Strasse zu sitzen, dazu muss man ein geborner Pariser sein, welcher gar kein Mass und keine Empfindung fuer die Grade der Kaelte hat. Ich fuer meine Person friere hier mehr, als ich es je in meinem nordischen Vaterlande gethan habe und kann mich nicht dazu verstehen, mich im Winter in's Freie zu setzen." "Sie sehen so vergnuegt aus," sagte Herr von Tschirschnitz zu dem bekannten daenischen Journalisten und Agitator fuer die Sache Daenemarks, Herrn Hansen, "haben Sie Aussicht, dass der Artikel V. des Prager Friedens endlich ausgefuehrt wird?" Herr Hansen wehrte mit der Hand ab. "Sprechen Sie mir nicht davon," sagte er halb laechelnd, halb missmuthig, "dieser Artikel V. ist eine Schraube ohne Ende, an welcher man fortwaehrend dreht, welche aber niemals weiter kommt. Was habe ich mir fuer Muehe gegeben, dass dieser Artikel in den Prager Frieden aufgenommen werden moechte. Nun ist es geschehen, und meine Landsleute sind so weit wie sie waren. Man hat ja hier nicht einmal die Courage, ein lautes Wort fuer unser Recht zu sprechen, geschweige denn wird man jemals Etwas dafuer thun." "Glauben Sie denn, dass die Schwachheit und Unthaetigkeit," fragte Herr von Duering, "mit welcher die Regierung hier gegenwaertig zu verfahren scheint, ewig dauern wird? Ich sehe," fuhr er fort, "dass in militaerischen Kreisen eine grosse Thaetigkeit herrscht, und man thut dort ueberall so, als ob eine maechtige Action unmittelbar vor der Thuere steht." "Bah," sagte Herr Hansen, "das weiss ich nicht, danach muessen Sie Nelaton fragen." "Nelaton?" fragte Herr von Tschirschnitz etwas erstaunt, "macht der Doctor Nelaton jetzt die Politik?" "Er kann wenigstens allein wissen," erwiderte Herr Hansen, "ob und wann der Kaiser im Stande sein wird, ueberhaupt wieder Politik zu machen. Wenn man jetzt wissen will, was geschehen wird, so muss man nicht die Minister, sondern die Leibaerzte fragen. Sehen Sie doch die Zeitungen an," sprach er weiter, "die wichtigsten Mittheilungen darin sind die Nachrichten ueber das Befinden des Kaisers. Das ist das Zeichen der Zeit. Die oeffentliche Meinung fuehlt sehr gut, wo der Schwerpunkt des politischen Lebens liegt, und wo jede thaetige Action den Stein des Anstosses findet." "Doch," fuhr abbrechend fort, "sagen Sie mir, ist es wahr, dass der Koenig von Hannover seine Legion auseinander schicken und seine Sache aufgeben wird?" Die Officiere blickten mit einer gewissen Verlegenheit zu Boden. "Die Unterhaltung der Legion wird auf die Dauer zu kostspielig," sagte Herr von Duering, "in der bisherigen Weise wird sie kaum weiter gehalten werden koennen. Sie wissen ja, dass man das Vermoegen des Koenigs confiscirt hat, und dass ihm nur wenig uebrig bleibt." Herr Hansen schuettelte den Kopf. "Die einfache Ausloesung der Legion," sagte er, "nachdem sie so lange gehalten ist und so viel Geld gekostet hat, waere ein grosser Fehler. Frueher oder spaeter wird ja doch die grosse europaeische Katastrophe zum Ausbruch kommen. Wenn der Koenig ueberhaupt noch handeln will, so muss er die Mittel dazu in Haenden behalten." "Nun," sagte er, "wir sehen uns ja wohl heute Abend noch bei Herrn Meding, ich will jetzt einen Augenblick den Salon von Herrn Thiers besuchen, dessen Empfangstag heute ist. Au revoir, meine Herren." Rasch schritt der kleine, lebhafte Mann weiter, durchschnitt mit grosser Geschicklichkeit die dichte Menschenmasse auf den Boulevards, wandte sich dann in die Rue du Faubourg Montmartre und erreichte nach kurzer Zeit den Platz St. George mit der kleinen Fontaine in der Mitte. An der einen Eckseite desselben, durch ein hohes, eisernes Gitter von der Strasse getrennt, lag das von Baeumen umgebene kleine Hotel des Herrn Thiers. Im Garten desselben dehnte sich der sprichwoertlich gewordene, wunderbar schoene und sorgfaeltig gepflegte Rasen aus, auf dessen gruener Flaeche das Auge des beruehmten Geschichtsschreibers der Revolution und des Kaiserreichs waehrend seiner Arbeiten mit besonderem Wohlgefallen zu ruhen pflegte. Einige Coupes hielten vor dem Eingangsthor. Herr Hansen schritt durch den etwas auswaerts fuehrenden breiten Weg zu der innern Hausthuer hin, trat in einen kleinen, matt erleuchteten Vorplatz, wo ein Kammerdiener im schwarzen Anzug ihm den Ueberrock abnahm und dann die Thuer des Salons oeffnete, indem er mit lauter Stimme den Namen des Eintretenden hineinrief. Die beiden, nicht grossen Salons des frueheren Ministers Louis Philipp's waren mit einer anspruchslosen Einfachheit moeblirt. Der einzige Schmuck derselben bestand in aeusserst werthvollen antiken Kunstwerken, welche auf kleinen Consolen und Tischen in den Ecken standen und in wenigen Oelgemaelden vorzueglicher Meister. Es waren nur erst wenige Personen in diesen Salons. In dem ersten Zimmer standen einige Herren in eifrigem, aber etwas leise gefuehrtem Gespraech beisammen. In dem zweiten, etwas matter erleuchtetem Salon sass auf einem Canapee vor einem kleinen Tisch Madame Thiers, eine schlanke, magere und etwas steife Gestalt mit einem fein geschnittenen blassen Gesicht von kaltem, beinahe strengem Ausdruck, der jedoch in der Unterhaltung durch eine angenehme, herzliche und gewinnende Freundlichkeit gemildert wurde. Sie war das Bild einer einfachen buergerlichen Hausfrau, nicht nur in ihrer Haltung und ihren Bewegungen, sondern auch in ihrer Gespraechsweise, obgleich sie es zuweilen verstand, mit grosser Feinheit und scharfem, geistvollem Urtheil an der Unterhaltung ueber die ernstesten Gegenstaende der Politik oder der Wissenschaft Theil zu nehmen. Neben ihr sass Fraeulein Dosne, ihre Schwester, nicht viel juenger als sie und ihr unverkennbar aehnlich, obwohl ihre ganze Erscheinung weniger bedeutend, weniger sicher und noch mehr kalt und zurueckhaltend war. Beide Damen trugen einfache Toiletten von schwarzer Seide und kleine hellblaue Bandschleifen und waren mit einer Tapisseriearbeit beschaeftigt. In einiger Entfernung von dem Tisch, vor welchem sie sassen und auf dem eine grosse Moderateurlampe mit dunkelblauem, flachem Glasschirm brannte, sass in einem grossen Lehnstuhl fast verschwindend, der beruehmte Staatsmann, welcher lange Zeit das parlamentarische Leben Frankreichs beherrscht hatte und dessen constitutionelles Wechselspiel mit Herrn Guizot einst den Mittelpunkt des Interesses Europa's bildete. Seine kleine, fast zwerghafte Gestalt war grade aufgerichtet gegen die hohe Ruecklehne seines Sessels gestuetzt; die beiden Arme lagen auf den Seitenlehnen, der Kopf war ein wenig herabgesunken, und das Kinn begrub sich fast in den Falten seiner hohen, blendend weissen Halsbinde. Das runde, sonst so bewegliche Gesicht mit der unter den abwaerts gekaemmten, weissen Haaren scharf hervortretenden, hoch gewoelbten Stirn, der feinen Nase und dem breiten, fast immer halb gutmuethig, halb sarkastisch laechelnden Munde,--dies Gesicht, welches sonst den reichen Redestrom des gelehrten Doctrinaers mit so ausdrucksvollem, bewegtem Mienenspiel begleitete,--war unbeweglich und still. Die Augen, welche sonst so scharf und fein und so wohlwollend freundlich zugleich blickten, waren geschlossen.--Herr Thiers schlief, wie er stets nach Tische zu thun pflegte, und es war ein still schweigendes Uebereinkommen unter allen Besuchern dieses einst so glaenzenden, in der Kaiserzeit mehr und mehr vereinsamten Salons, den Schlaf des alten Herrn nicht zu stoeren. Herr Hansen trat mit leisem Schritt in den zweiten Salon, gruesste Madame Thiers und Fraeulein Dosne mit schweigender Verbeugung, welche die Damen ebenfalls schweigend mit liebenswuerdiger Artigkeit, aber mit einem leichten Seitenblick nach dem Lehnstuhl des Herrn Thiers erwiderten und zog sich dann wieder in das erste Zimmer zurueck. Er naeherte sich einer Gruppe von Herren, welche sich in der Naehe des Fensters mit einander unterhielten. In der Mitte derselben befand sich Herr Weiss, der fruehere Redacteur des Journals de Paris, jetzt Staatsrath und Generalsecretair in dem neu errichteten Ministerium der schoenen Kuenste, welches Herr Ollivier fuer seinen Freund Maurice Richard geschaffen hatte, und fuer welches man sich bemuehte, aus verschiedenen Ressorts einen Geschaeftskreis herzustellen. Herr Weiss, ein mittelgrosser, schmaechtiger Mann mit blassem, geistig belebtem Gesicht von mehr feinen, als maennlich kraeftigen Zuegen, in seiner ganzen Haltung ein wenig an einen deutschen Professor erinnernd, sprach mit dem Herzog Audiffret-Pasquier und dem Historiker Mignet ueber die neue Entwicklung des Kaiserreichs. "Ich fuerchte," sagte Herr Mignet, "dass die Ueberfuehrung der so ausschliesslich persoenlichen Regierung, welche wir bis jetzt gehabt haben, in die constitutionelle Form nicht ohne ernste Erschuetterung voruebergehen kann,--nicht nur, dass der ganze Constitutionalismus den Traditionen und den Grundprincipien des Napoleonischen Kaiserreichs wesentlich widerspricht--es ist auch eine Erfahrung, welche unsere Geschichte deutlich zeigt, dass die franzoesische Nation nicht besonders geeignet ist fuer allmaelige und vermittelnde Uebergaenge. Das System, welches man jetzt inaugurirt, beruht in der Vertretung des oeffentlichen Willens durch Repraesentanten, welche nach bestimmten, gesetzlich geregelten Grundsaetzen aus den verschiedenen Klassen des Volkes hervorgehen, und unter denen natuerlich die Vertreter der Intelligenz und des Besitzes den bedeutendsten Einfluss fuer sich in Anspruch nehmen. Dadurch bildet sich das Leben der Parteien aus. Die Aufgabe der Regierung ist es, durch die Herstellung des Gleichgewichts zwischen den Parteien die oeffentlichen Angelegenheiten zu fuehren. Das Kaiserreich aber basirt wesentlich auf dem Volkswillen ohne eine gesichtete Vertretung, auf der noch unklaren, aus wechselnden Gefuehlen und Stimmungen sich bildenden Majoritaet der Massen. Hier stehen sich nur die Autoritaet und die Masse gegenueber, welche entweder vereint herrschen oder sich mit Gewalt gegen Gewalt bekaempfen muessen. Es ist eine schwere Arbeit, welche das jetzige Ministerium uebernommen hat, diese beiden, so weit aus einander liegenden, ja sich fast scharf gegenueber stehenden Prinzipien mit einander zu versoehnen, und auf dem Boden des Caesarismus ein constitutionelles Staatsleben erwachsen zu lassen." "Eine Aufgabe," rief der Herzog Audiffret, "bei welcher das Ministerium sicher auf den Beistand jedes guten Franzosen, jedes freisinnigen und klar denkenden Mannes rechnen kann--" "Und eine Aufgabe," fiel Herr Weiss mit seiner leisen und etwas monotonen Stimme ein, "an deren Erfuellung ich glaube und zu der jedenfalls die Regierung und Alle, die ihr angehoeren, den besten und redlichsten Willen mitbringen. Auch glaube ich nicht," fuhr er fort, "dass die Schwierigkeit derselben so gross ist, als sie Herrn Mignet erscheint. Ich glaube, dass gerade das constitutionelle System das einzige ist, nach welchem Frankreich auf die Dauer regiert werden kann. Der Kampf der Parteien in der Arena der Kammern giebt allen Ansichten Raum, um sich geltend zu machen, und dadurch wird am sichersten ein gefaehrlicher Ausbruch der einen oder der andern extremen Richtung vermieden. Ausserdem soll das constitutionelle System das Land vor unueberlegten und gefaehrlichen Actionen nach Aussen bewahren, zu dem Caesarismus und der Demokratie am Meisten neigen, denn sowohl die Massen des Volkes, als ein allmaechtiger Selbstherrscher sind von persoenlichen und augenblicklichen Eindruecken in besonders hohem Grade abhaengig. Beide neigen zur Tyrannei, bei Beiden liegt die Gefahr eines gefaehrlichen Spieles mit der nationalen Kraft und dem Nationalwohlstand.--Ich glaube nicht, dass unter einer constitutionellen Regierung, wie wir sie jetzt anbahnen, eine mexikanische Expedition moeglich sein wuerde. Was uebrigens die Verbindung der Napoleonischen Tradition mit dem constitutionellen System betrifft, so macht sich dieselbe nach meiner Ueberzeugung sehr leicht, so bald nur eben von Seiten des Kaisers, wie das jetzt der Fall ist, offen und frei die Verstaendigung mit den verfassungsmaessigen Repraesentanten der Nation erstrebt und gesucht wird." "General Changarnier und der Herzog von Broglie," rief der Kammerdiener in den Salon und neben einander traten der Repraesentant des alten franzoesischen Adelsgeschlechts in seiner vornehmen, eleganten Haltung und der greise General des Julikoenigthums herein. General Changarnier war trotz seiner vom Alter gebrochenen Haltung eine etwas noch militairisch kraeftige Erscheinung. Der Ausdruck seines ernsten wuerdevollen Gesichts mit dem weissen Bart und Haar war einfache natuerliche Offenheit,--seine klaren, etwas tief liegenden Augen blickten ruhig und nachdenklich, seine Bewegungen waren von schlichtester und ungesuchtester Natuerlichkeit. Die beiden Eintretenden wandten sich nach dem zweiten Salon. Herr Thiers hatte bei der Nennung ihrer Namen leicht mit den Augen geblinzelt, dann dieselben ganz geoeffnet und sich von seinem Stuhl erhoben. Sein Gesicht nahm sofort die demselben eigentuemliche ausdrucksvolle Beweglichkeit an,--mit schnellen Schritten naeherte er sich der Eingangsthuer und begruesste mit vertraulicher Herzlichkeit den Herzog und den General, welche darauf den Damen des Hauses ihre Complimente machten. Der Herzog von Broglie setzte sich neben Madame Thiers, waehrend deren Gemahl seine Hand leicht auf den Arm des Generals Changarnier legte, und indem er von unten zu demselben hinaussah, mit seiner ausdrucksvollen, etwas scharfen Stimme sprach: "Ich habe Sie lange nicht gesehen, mein alter Freund, Sie machen sich selten, das ist nicht gut. Man wird alt, wenn man sich von der Gesellschaft zurueckzieht." "Ich habe nicht noethig, alt zu werden," sagte der General einfach, "ich bin es schon und habe kaum eine Gemeinschaft mit der heutigen Welt mehr. Mein Leben liegt in der Erinnerung an die Vergangenheit." "Sie haben Unrecht, mein Freund," erwiderte Herr Thiers, "man gehoert immer dem Leben und der Gegenwart an, so lange man athmet. Die Erinnerungen sind nur dazu da, um uns die Gegenwart besser verstehen zu lassen. Darin liegt das Uebergewicht, welches ein alter Kopf ueber die gegenwaertige Generation hat, wenn er eben nur durch die Jugendfrische des Herzens und der Empfindungen unterstuetzt ist." "Dazu gehoeren aber auch," sagte der General seufzend, "gesunde Nerven und ein gesunder Magen. Beides habe ich nicht in dem Masse wie Sie."-- "Weil Sie daran denken," rief Herr Thiers, "wenn man nie an die Krankheit denkt, so raeumt man ihr keine Macht ueber uns ein. Unser schlimmster Feind ist die Unthaetigkeit.--Ich habe mich immer durch die Thaetigkeit jung und frisch erhalten; nachdem ich aufgehoert habe Staatsmann zu sein, bin ich wieder Schriftsteller geworden. Und dadurch halte ich mich im Stande," fuegte er laechelnd hinzu, "wenn es einmal noethig sein sollte, wieder Staatsmann zu werden." "Ein Militair," sagte der General achselzuckend, "kann sich seine Thaetigkeit nicht willkuerlich suchen. Wir stehen auf einem exclusiv abgeschlossenen Gebiet, und wenn uns dies Gebiet verschlossen wird, so bleibt uns nichts uebrig als die Reflexion und die Erinnerung." "Ein Gebiet, das eine Zeit lang verschlossen war, kann sich aber wieder oeffnen. Es scheint ja, dass Frankreich jetzt zu besseren Zustaenden uebergeht und dass eine Reihe seiner besten Soehne nicht mehr von aller patriotischen Thaetigkeit ausgeschlossen werden sollen. Es kann ja auch--und ich hoffe es--die Zeit wieder kommen, in welcher Ihr Degen noch einmal dem Vaterlande grosse Dienste zu leisten berufen sein wird." Der General laechelte bitter. "Unter der Herrschaft dieses Kaisers Napoleon III.? sagte er--Sie scherzen." "Warum?" fragte Herr Thiers, "man muss in der Politik niemals die Person in Betracht ziehen, sondern immer nur die Dinge und die Verhaeltnisse; und dem Vaterlande zu dienen ist immer edel und gut, welche Person dasselbe auch an seine Spitze gestellt haben mag. Wenn der Kaiser Napoleon nach gesunden und richtigen Prinzipien zu regieren sich entschliessen kann, so wuerde ich keinen Augenblick Bedenken tragen, seine Regierung zu unterstuetzen, obwohl ich doch wahrlich auch--nicht dafuer bezahlt bin, ihn zu lieben--," sagte er laechelnd. "Kann dieser Kaiser ueberhaupt nach gesunden Prinzipien regieren?" fragte Changarnier, indem ein bitterer Ausdruck auf seinem sonst so freundlich wohlwollenden Gesicht erschien. "Kann man das Vertrauen zu ihm haben, dass er die Principien, welche er ausspricht, auch wirklich zur Richtschnur seiner Handlungen macht? "Nun," sagte Herr Thiers, "er hat uns Beide schlecht genug behandelt, aber ich muss gestehen, dass ich auf dem Wege, den er jetzt eingeschlagen hat, gern bereit bin ihn zu unterstuetzen." "Er hat," sprach der General, "Ihr Vertrauen nicht in dem Masse getaeuscht wie das meinige. Ich werde es nie vergessen und ihm nie verzeihen, wie er vor dem Staatsstreich meine Arglosigkeit benutzt hat, um jeden Widerstand gegen jenes Attentat unmoeglich zu machen.-- "Er liess mich," fuhr er fort, waehrend Herr Thiers ihn fragend und erwartungsvoll anblickte, "wenige Tage vor dem 2. December in sein Cabinet in dem Palais Elysee rufen und unterhielt sich eingehend und anscheinend mit grosser Offenheit mit mir ueber die damalige Lage Frankreichs. Er betonte die Notwendigkeit, in die unmittelbare Naehe von Paris diejenigen Truppen zu bringen, welche der Republik am sichersten und ergebenden seien, da moeglicher Weise Unruhen entstehen koennten, welche im Stande sein moechten, die Freiheit der Verhandlungen der Nationalversammlung zu beeintraechtigen.--Auf einem Tische in der Mitte seines Zimmers lag eine grosse Karte von Frankreich ausgebreitet, auf welcher mit langen Nadeln, welche die Bezeichnungen der verschiedenen Regimenter auf kleinen Tafeln trugen, die Standquartiere der einzelnen Truppentheile angegeben waren. Der Praesident ersuchte mich, durch diese Nadeln die Truppendislocationen anzugeben, welche ich fuer erforderlich und zweckmaessig hielt. Ich that dies und stellte die Zeichen aller derjenigen Regimenter, deren Fuehrer und deren Soldaten ich als der Verfassung und der Republik am meisten ergeben kannte, in die Garnisonen in der unmittelbaren Umgebung von Paris.--Der Praesident, welcher aufmerksam zugesehen hatte, sagte mir, dass er die erforderlichen Befehle zu diesen Dislocationen sofort ertheilen lassen wolle, und wir trennten uns in der freundlichen Weise. Er hatte auf diese Weise," fuhr der General fort, "nur die der Republik ergebenen Regimenter erkennen wollen, denn unmittelbar, nachdem ich ihn verlassen, liess er diejenigen Truppentheile, deren Zeichen ich um Paris gesteckt hatte, durch heimliche und schnelle Befehle nach den entferntesten Grenzen von Frankreich abmarschiren und umgab Paris mit lauter Generalen und Truppen, die ihm blind ergeben waren.--Wenige Tage darauf wurde ich dann in meinem Bett verhaftet und der Staatsstreich ohne Widerstand durchgefuehrt." Herr Thiers laechelte. "Ich muss gestehen," sagte er, "dass dies nicht eins der ungeschicktesten Manoever dieses Herrn Napoleon war.--Man hat sich ueberhaupt in ihm getaeuscht.--Nun mag dem sein, wie ihm wolle, will er sich bekehren, will er in Frankreich gut regieren--und ich werde mich nicht nach den Worten, sondern nach den Thaten richten--so muss man ihn doch unterstuetzen. Fuer Sie wuerde das uebrigens viel leichter sein," fuhr er fort, "ein General kann bei den Diensten, die er seinem Vaterlande leistet, viel mehr von der Person des zeitweiligen Herrschers absehen, als ein Minister. Auf dem Schlachtfelde handelt es sich doch immer mehr um die Ehre und um den Ruhm Frankreichs, als um dieses oder jenes politische System." "Auf dem Schlachtfelde," sagte der General achselzuckend, "davon wird wohl lange nicht bei uns die Rede sein. Wir haben unsere Kraefte in wahnsinnigen und fruchtlosen Expeditionen vergeudet, und da, wo unsere Interessen und unsere Ehre uns wirklich geboten zu schlagen, haben wir in muthloser und schwankender Unthaetigkeit zugesehen, wie man ohne uns das europaeische Gleichgewicht veraenderte." "Das ist richtig," sagte Herr Thiers ernst, "aber der Fehler, den die Regierung begangen hat, wird sich raechen, und zwar raechen durch einen Krieg, der um so gewaltiger und erschuetternder sein wird, je mehr man ihn zur Zeit, da er vernuenftiger Weise geboten war, unterlassen hat. Die Regierung des Kaisers," fuhr er fort, indem er die Arme unter einander schlug und ein wenig in dem Ton eines politischen Vortrages weiter sprach, "die Regierung des Kaisers hat uns in einen sehr bedenklichen Zustand versetzt. Es war eine Regierung ohne Regel und ohne Ordnung. Der Brief des Kaisers an den Herzog von Augustenburg hat Daenemark, unsern Alliirten, getoedtet und Europa zu gleicher Zeit der Willkuer der Gewalt Preis gegeben. Von jener Epoche an datirt all unser Unglueck. Der Krieg ist unvermeidlich. Zwei grosse Kraefte wie Frankreich und Preussen koennen nicht immer, bis an die Zaehne bewaffnet, mit unter einander geschlagenen Armen einer der andern gegenueber stehen, das muss einmal zum Ausbruch kommen.--Wann aber?--Ich weiss es nicht und Niemand weiss es.--Preussen wird nichts nachgeben, gar nichts, es wird keine Concessionen machen, glauben Sie es ja, und dann wird endlich der Augenblick kommen, in welchem die franzoesische Regierung, sie moege heissen, wie sie wolle, durch Aufwallen des Nationalzorns zum Handeln gedraengt werden wird.--Die einzige Macht, welche durch eine kraeftige Vermittlung den Conflict zu verhindern im Stande sein koennte, ist England; doch glaube ich nicht an solch eine Vermittlung. Lord Clarendon wird einzelne Versuche machen, aber er wird nichts Ernstes thun und namentlich seinen Worten keinen thaetigen Nachdruck geben. Er ist sehr vorsichtig und sehr wenig geneigt zu energischen Massregeln. "Freilich," sprach er weiter, "wird es in einem solchen Augenblicke nicht allein auf tuechtige Generale, sondern auch auf Staatsmaenner ankommen, welche Kraft und Energie besitzen und zugleich durch ihren Charakter der Nation Vertrauen einfloessen. "Unser guter Freund Daru, den ich sehr hoch schaetze, wuerde vielleicht kaum einer so grossartigen Action gewachsen sein, wie die Zukunft sie uns auferlegen muss. Ich sehe ueberhaupt nach dem Tode von Walewsky, welcher ein ehrlicher Mann war, unter Denen, welche dem Kaiser naeher stehen, nur Drouyn de L'huys, der einer solchen Aufgabe gewachsen sein koennte.--Ich glaube auch, dass er noch in sehr nahen Beziehungen zum Kaiser steht, aber er muss sehr unzufrieden sein mit dem Gang der auswaertigen Politik, welche nach seinen Ideen im Jahre 1866 eine ganz andere Richtung haette nehmen muessen." Herr Thiers hatte die letzten Worte mehr zu sich selber, als zum General Changarnier gesprochen. Seine Stimme war immer leiser geworden, er blickte, wie seinen Gedanken folgend, einige Augenblicke schweigend zu Boden. Die uebrige Gesellschaft hatte sich allmaelig ebenfalls mehr und mehr nach dem zweiten Salon hingezogen, nachdem Herr Thiers seinen Schlummer beendet und wieder an der Unterhaltung Theil zu nehmen begonnen. Herr Mignet trat heran und begruesste den Hausherrn mit ehrerbietiger Herzlichkeit. "Man erzaehlt mir," sagte er, "dass Sie sich mit einem grossen Werk ueber die Philosophie der Geschichte beschaeftigen--der Inhalt wird fuer jeden Historiker von grossem Interesse sein. Wird die literarische Welt bald Etwas davon zu sehen bekommen?" "Das wird davon abhaengen," sagte Herr Thiers laechelnd, "wie bald ich mein Leben und damit meine Thaetigkeit beenden werde, denn ich bin entschlossen, die Kritik dieses Werkes, das bald beendet ist, nicht lebend ueber mich ergehen zu lassen, und dasselbe erst dann dem Publikum zu uebergeben, wenn ich selbst der Beurtheilung der irdischen Welt entzogen sein werde. Denn," fuhr er fort, "ich will in diesem Werk ueber sehr viele Dinge ganz ohne alle Ruecksicht die Wahrheit sagen, und das koennte mir vielleicht viele Feinde machen, mit denen ich mich in der friedlichen Musse meines Lebensabends nicht mehr zu streiten Neigung habe. Ich glaube," fuhr er fort, "dass die gegenwaertige Welt einen gewissen Mangel an gesundem Menschenverstand besitzt. Da ich nun sehr lange gelebt und sehr Vieles gesehen und gelernt habe, so will ich ueber Alles das meine Meinung sagen, gerade so, als ob ich einen Sohn haette, dem ich in einem Testament meine letzten Rathschlaege ertheile, um die reichen Erfahrungen meines Lebens fuer ihn nuetzlich zu machen. Der Himmel hat mir Kinder versagt," sagte er mit einem wehmuethig freundlichen Laecheln,--"so will ich denn ganz Frankreich und die ganze gebildete Welt als meinen Sohn betrachten. Vielleicht kann ich dadurch noch nach meinem Tode ein wenig nuetzlich sein. Gedulden Sie also Ihre Neugier noch kurze Zeit, denn ich werde ja wahrscheinlich nur noch kurze Zeit zu leben haben." "Herr Graf Daru!" rief der Kammerdiener. Herr Thiers ging seinem alten Bekannten, welcher jetzt das Ministerium der auswaertigen Angelegenheiten inne hatte, mit kurzen, raschen Schritten bis an die Schwelle des ersten Salons entgegen, indem er ihm freundlich die Hand hinstreckte. Der Graf Napoleon Daru, der Sohn des bekannten Grosswuerdentraegers des ersten Kaisers, welcher spaeter mit der Julimonarchie innig liirt gewesen und lange Zeit von jeder politischen Thaetigkeit fern geblieben war, mochte damals fast sechzig Jahre alt sein. Er war eine kalte, vornehme Erscheinung von wuerdevoller, etwas steifer Haltung, sein ernstes Gesicht mit dem grauen Haar trug den Ausdruck hoeflicher Zurueckhaltung, in seinen Zuegen verband sich eine gewisse militairische Steifheit mit der selbststaendigen Abgeschlossenheit des Gelehrten, der durch strenge theoretische Studien sich ueber alle ihm vorkommenden Dinge ein philosophisches Urtheil zu bilden gewohnt ist. Nachdem Graf Daru mit den Damen eine kurze Unterhaltung gefuehrt hatte, bei welcher eine gewisse Preoccupation auf seinem Gesichte bemerkbar war, wandte er sich wieder zu Herrn Thiers, der ihn laechelnd fragte. "Darf man, ohne indiscret zu sein, sich erkundigen, wie die auswaertigen Angelegenheiten unseres Kaiserreichs sich befinden?" "Die auswaertigen Angelegenheiten befinden sich vortrefflich," erwiderte der Minister mit seiner klaren, etwas scharfen Stimme. "Ich wollte," fuegte er hinzu, "dass ich dasselbe von den innern Angelegenheiten sagen koennte." Ein wenig erstaunt blickte Herr Thiers auf. "Nun," sagte er, "wir haben soeben noch ueber die innern Angelegenheiten gesprochen, und ich bin zu dem Resultat gekommen, dass, obwohl ich keine persoenliche Sympathie fuer dieses zweite Kaiserreich haben kann, ich dennoch anerkennen muss, wie die neue Aera der innern Politik allen Anforderungen entspricht, die man vernuenftiger Weise machen kann, und der beste Beweis scheint mir darin zu liegen, dass Sie, mein verehrter Freund, gegenwaertig Mitglied des Ministeriums des Kaisers sind. Ist der Weg, auf dem man sich befindet, ein richtiger, so wird man ja ueber einzelne kleine Schwierigkeiten leicht hinwegkommen." "Vorausgesetzt, dass man diesen Weg verfolgt", erwiderte der Graf, "und dass man nicht ebenso viele Schritte zurueckthut, als man voran gegangen ist." "Wie so?" fragte Herr Thiers, der aufmerksam zu werden begann. "Es wird ja doch morgen bekannt werden," sagte der Graf Daru,--"also begehe ich kaum eine Indiscretion, wenn ich Ihnen mittheile, dass der Kaiser soeben einen Brief an Ollivier geschrieben hat, in welchem er ihm sagt, dass er ein Plebiscit fuer noethig halte, um die von dem Senat und Gesetzgebenden Koerper genehmigte Veraenderung der Verfassung des Kaiserreichs nunmehr zu sanctioniren. Die fruehere Verfassung sei durch den allgemeinen Volkswillen festgestellt und es muesse derselbe daher auch den gegenwaertigen Abaenderungen derselben seine definitive Zustimmung geben." "Und was sagt Ollivier?" fragte Herr Thiers sehr ernst, waehrend die uebrige Gesellschaft naeher herantrat und mit Spannung dem Gespraech folgte. "Ollivier," erwiderte Graf Daru, "hat sich vollkommen die Ideen des Kaisers angeeignet und findet die Berufung auf das Plebiscit vollkommen natuerlich. Ich meinerseits," fuhr er mit einer gewissen Bitterkeit fort, "sehe darin nur die Rueckkehr zu dem Grundsatz, dass das persoenliche Regiment, auf den Willen der Masse gestuetzt, sich von Neuem ueber die Verfassung und ueber das Votum der legalen Repraesentanten der Nation zu stellen beabsichtigt. Wo ist ueberhaupt noch eine Sicherheit fuer die oeffentlichen Zustaende, wenn Alles, was geschieht, jedesmal von einem solchen Plebiscit abhaengig gemacht werden soll, das ja im Grunde doch nur eine Komoedie ist und gegenueber einer starken Regierung immer nach deren Ansichten ausfallen wird, da ja Diejenigen, welche nicht zustimmen moegen, sich nicht den bedenklichen Folgen eines negativen Votums auszusetzen Lust haben werden." "Das ist ein eigenthuemlicher Schachzug," sagte Herr Thiers nachdenklich. "Aber ich moechte Sie doch noch einmal fragen, mein lieber Freund, wie steht es mit der auswaertigen Politik, denn dieses Plebiscit scheint mir mehr im Zusammenhang damit zu stehen, als mit den innern Verhaeltnissen. Wie stehen Sie mit Preussen?" "Kalt und misstrauisch," erwiderte Graf Daru, "aber es liegt auch durchaus keine Veranlassung zu irgend einer Differenz vor, da von beiden Seiten die Eroerterung aller Punkte, welche dahin fuehren koennten, sorgfaeltig vermieden wird. Man hat von englischer Seite versucht, auf eine gegenseitige Verminderung der militairischen Ruestungen hin zu wirken, doch natuerlich vergeblich--in Berlin hat man selbst die blosse Eroerterung dieses Punktes ziemlich kurz zurueckgewiesen." "Und Sie," fragte Herr Thiers, indem er mit einem listigen Blick zu Graf Daru hinaussah, "werden doch wahrscheinlich auch nicht geneigt sein, die Militairmacht Frankreichs ernstlich zu vermindern?" "Wir koennen es nicht," erwiderte Graf Daru, "so lange von anderer Seite nicht der Anfang gemacht wird." "Das alte Wechselspiel," sagte Herr Thiers, "Jeder will, dass der Andere zuerst abruesten soll. Ich muss Ihnen sagen," fuhr er fort, "dass mir das Alles sehr bedenklich erscheint. Sehen Sie die Geschichte an, namentlich die neuere und neueste Geschichte, so werden Sie immer finden, dass, sobald die Frage der militairischen Abruestung zwischen zwei Maechten ernsthaft discutirt wird, jedesmal bald darauf ein Krieg folgt. Halte ich dies mit dem in Aussicht genommenen Plebiscit zusammen, so muss ich darauf zurueckkommen, was ich vorhin sagte--" Er wandte sich zu dem General Changarnier--"Dass naemlich unser tapfrer Freund hier doch noch Gelegenheit finden koennte, seinen Degen im Dienste Frankreichs zu ziehen. Glauben Sie mir," fuhr er fort, "ich habe fuer so Etwas einen gewissen Scharfblick,--dies Plebiscit ist der Vorlaeufer einer auswaertigen Action. Der naechste Schritt," sprach er weiter, "den England thun muss, wenn seine Vermittlung wegen der Abruestung keinen Erfolg hat--den Schritt, dem sich schliesslich ganz Europa wird anschliessen muessen, muss der sein, dem Kaiser zu sagen: 'Sie haben nicht das Recht, die Welt in ewiger Unruhe zu erhalten, Sie haben den Krieg fortwaehrend wie eine unausgesetzte Drohung in der Hand gehalten, und doch keine Gelegenheit benutzt, die sich darbot, um eine energische Klaerung der Situation herbeizufuehren. Das Alles muss endigen, entscheiden Sie sich Krieg zu fuehren, oder erklaeren Sie offen, dass Sie rueckhaltslos den Frieden wollen, und handeln Sie danach; die gegenwaertige Situation ist fuer ganz Europa unertraeglich--'" Er hielt inne und fragte abbrechend: "Und welche Haltung wollen Sie diesem Plebiscit gegenueber einnehmen, welches Ollivier bereits acceptirt hat?" "Ich habe erst fluechtig darueber mit den mir gleich gesinnten Collegen sprechen koennen," erwiderte Graf Daru, "es ist eine schwierige Situation, die man uns da geschaffen. Das Plebiscit hat eine grosse Popularitaet bei den Massen, und sich demselben widersetzen, wuerde uns fast als die Vertreter reactionairer Grundsaetze vor den Augen der oeffentlichen Meinung hinstellen! Doch muessen wir nach meiner Ueberzeugung auf der andern Seite auch einer fortwaehrenden Appellation von den gewaehlten Repraesentanten an das Volk selbst ernstlich entgegentreten." "So machen Sie doch," sagte Herr Thiers, "die Bedingung, dass das Plebiscit nur von der Regierung in Gemeinschaft mit dem Senat und dem Gesetzgeben-Koerper ausgeschrieben werden duerfe. Dann hat die Sache doch wenigstens einen gewissen Sinn und stellt die Kammern nicht als Nullen zwischen den Kaiser und die Volksmasse." "Das ist eine vortreffliche Idee!" rief Graf Daru, und, indem er den Arm des Herrn Thiers nahm, zog er sich mit diesem in eine Ecke des Salons zurueck und vertiefte sich mit ihm in ein langes und eifriges Gespraech. Die Unterhaltungen der uebrigen Gruppen waren ebenfalls eifriger und lebhafter geworden. Man besprach die Idee des Plebiscits von allen Seiten, und im Ganzen fand dasselbe bei allen hier Anwesenden nur Missbilligung.--Sie Alle waren Vertreter der constitutionellen Doctrin und fuehlten sehr wohl, dass derselben vollstaendig die Spitze abgebrochen wuerde, wenn die Regierung der Kammermajoritaet gegenueber fortwaehrend die Waffe der Appellation an das allgemeine Volksstimmrecht in der Hand behielt. Nach einiger Zeit hatte Herr Thiers sein Gespraech mit dem Grafen Daru beendigt,--er naeherte sich seiner Gemahlin,--diese gab Fraeulein Dosne einen Wink. Beide Damen standen auf und legten ihre Arbeit zusammen. Dies war das Zeichen fuer die Gesellschaft, dass der Empfang beendet und dass fuer Herrn Thiers, welcher seine Gesundheit und Ruestigkeit durch eine ungemein strenge Zeiteinteilung so vortrefflich zu conserviren verstanden, nunmehr die Stunde gekommen sei, zu welcher er gewohnt war, sich zurueckzuziehen, um nach einem kurzen Ueberblick ueber die Arbeit und die Ereignisse des Tages den Schlaf zu suchen, welcher ihm bis in sein hohes Alter hinein ein treuer Freund geblieben war. Die Gesellschaft empfahl sich und bald erloeschten die Lichter in dem kleinen Hotel an der Place de St. George. Ende des ersten Bandes. End of the Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen. Erster Band., by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUSS DER LEGIONEN. *** ***** This file should be named 13657.txt or 13657.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.net/1/3/6/5/13657/ Produced by PG Distributed Proofreaders. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.net This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.