The Project Gutenberg EBook of Gladius Dei; Schwere Stunde, by Thomas Mann This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net Title: Gladius Dei; Schwere Stunde Author: Thomas Mann Release Date: April 15, 2004 [EBook #12053] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GLADIUS DEI; SCHWERE STUNDE *** Produced by Martin Agren, Tim Sneath and PG Distributed Proofreaders Thomas Mann GLADIUS DEI - und - SCHWERE STUNDE Die Texte folgen den Ausgaben: 'Gladius Dei' aus "Tristan. Sechs Novellen." Berlin, S. Fischer Verlag 1903 'Schwere Stunde' aus "Das Wunderkind. Novellen." Berlin, S. Fischer Verlag [1914] (= Fischers Bibliothek zeitgenoessischer Romane, Jg. 6, Bd. 6) * * * * * GLADIUS DEI 1 Muenchen leuchtete. Ueber den festlichen Plaetzen und weissen Saeulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palaesten und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgruenten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten, schoenen Junitages. Vogelgeschwaetz und heimlicher Jubel ueber allen Gassen. ...Und auf Plaetzen und Zeilen rollt, wallt und summt das unueberstuerzte und amuesante Treiben der schoenen und gemaechlichen Stadt. Reisende aller Nationen kutschieren in den kleinen, langsamen Droschken umher, indem sie rechts und links in wahlloser Neugier an den Waenden der Haeuser hinaufschauen, und steigen die Freitreppen der Museen hinan... Viele Fenster stehen geoeffnet, und aus vielen klingt Musik auf die Strassen hinaus, Uebungen auf dem Klavier, der Geige oder dem Violoncell, redliche und wohlgemeinte dilettantische Bemuehungen. Im 'Odeon' aber wird, wie man vernimmt, an mehreren Fluegeln ernstlich studiert. Junge Leute, die das Nothung-Motiv pfeifen und abends die Hintergruende des modernen Schauspielhauses fuellen, wandern, literarische Zeitschriften in den Seitentaschen ihrer Jacketts, in der Universitaet und der Staatsbibliothek aus und ein. Vor der Akademie der bildenden Kuenste, die ihre weissen Arme zwischen der Tuerkenstrasse und dem Siegestor ausbreitet, haelt eine Hofkarosse. Und auf der Hoehe der Rampe stehen, sitzen und lagern in farbigen Gruppen die Modelle, pittoreske Greise, Kinder und Frauen in der Tracht der Albaner Berge. Laessigkeit und hastloses Schlendern in all den langen Strassenzuegen des Nordens... Man ist von Erwerbsgier nicht gerade gehetzt und verzehrt dortselbst, sondern lebt angenehmen Zwecken. Junge Kuenstler, runde Huetchen auf den Hinterkoepfen, mit lockeren Krawatten und ohne Stock, unbesorgte Gesellen, die ihren Mietzins mit Farbenskizzen bezahlen, gehen spazieren, um diesen hellblauen Vormittag auf ihre Stimmung wirken zu lassen, und sehen den kleinen Maedchen nach, diesem huebschen, untersetzten Typus mit den bruenetten Haarbandeaux, den etwas zu grossen Fuessen und den unbedenklichen Sitten. ...Jedes fuenfte Haus laesst Atelierfensterscheiben in der Sonne blinken. Manchmal tritt ein Kunstbau aus der Reihe der buergerlichen hervor, das Werk eines phantasievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrer Ornamentik, voll Witz und Stil. Und ploetzlich ist irgendwo die Tuer an einer allzu langweiligen Fassade von einer kecken Improvisation umrahmt, von fliessenden Linien und sonnigen Farben, Bacchanten, Nixen, rosigen Nacktheiten... Es ist stets aufs neue ergoetzlich, vor den Auslagen der Kunstschreinereien und der Basare fuer moderne Luxusartikel zu verweilen. Wieviel phantasievoller Komfort, wieviel linearer Humor in der Gestalt aller Dinge! Ueberall sind die kleinen Skulptur-, Rahmen- und Antiquitaetenhandlungen verstreut, aus deren Schaufenstern dir die Buesten der florentinischen Quattrocento-Frauen voll einer edlen Pikanterie entgegenschauen. Und der Besitzer des kleinsten und billigsten dieser Laeden spricht dir von Donatello und Mino da Fiesole, als habe er das Vervielfaeltigungsrecht von ihnen persoenlich empfangen... Aber dort oben am Odeonsplatz, angesichts der gewaltigen Loggia, vor der sich die geraeumige Mosaikflaeche ausbreitet, und schraeg gegenueber dem Palast des Regenten draengen sich die Leute um die breiten Fenster und Schaukaesten des grossen Kunstmagazins, des weitlaeufigen Schoenheitsgeschaeftes von M. Bluethenzweig. Welche freudige Pracht der Auslage! Reproduktionen von Meisterwerken aus allen Galerien der Erde, eingefasst in kostbare, raffiniert getoente und ornamentierte Rahmen in einem Geschmack von prezioeser Einfachheit; Abbildungen moderner Gemaelde, sinnenfroher Phantasieen, in denen die Antike auf eine humorvolle und realistische Weise wiedergeboren zu sein scheint; die Plastik der Renaissance in vollendeten Abguessen; nackte Bronzeleiber und zerbrechliche Zierglaeser; irdene Vasen von steilem Stil, die aus Baedern von Metalldaempfen in einem schillernden Farbenmantel hervorgegangen sind; Prachtbaende, Triumphe der neuen Ausstattungskunst, Werke modischer Lyriker, gehuellt in einen dekorativen und vornehmen Prunk; dazwischen die Portraets von Kuenstlern, Musikern, Philosophen, Schauspielern, Dichtern, der Volksneugier nach Persoenlichem ausgehaengt... In dem ersten Fenster, der anstossenden Buchhandlung zunaechst, steht auf einer Staffelei ein grosses Bild, vor dem die Menge sich staut: eine wertvolle, in rotbraunem Tone ausgefuehrte Photographie in breitem, altgoldenem Rahmen, ein aufsehenerregendes Stueck, eine Nachbildung des Clous der grossen internationalen Ausstellung des Jahres, zu deren Besuch an den Litfasssaeulen, zwischen Konzertprospekten und kuenstlerisch ausgestatteten Empfehlungen von Toilettenmitteln, archaisierende und wirksame Plakate einladen. Blick um dich, sich in die Fenster der Buchlaeden. Deinen Augen begegnen Titel wie 'Die Wohnungskunst seit der Renaissance', 'Die Erziehung des Farbensinnes', 'Die Renaissance im modernen Kunstgewerbe', 'Das Buch als Kunstwerk', 'Die dekorative Kunst', 'Der Hunger nach Kunst'--und du musst wissen, dass diese Weckschriften tausendfach gekauft und gelesen werden, und dass abends ueber ebendieselben Gegenstaende vor vollen Saelen geredet wird... Hast du Glueck, so begegnet dir eine der beruehmten Frauen in Person, die man durch das Medium der Kunst zu schauen gewohnt ist, eine jener reichen und schoenen Damen von kuenstlich hergestelltem tizianischen Blond und im Brillantenschmuck, deren betoerenden Zuegen durch die Hand eines genialen Portraetisten die Ewigkeit zuteil geworden ist, und von deren Liebesleben die Stadt spricht--Koeniginnen der Kuenstlerfeste im Karneval, ein wenig geschminkt, ein wenig gemalt, voll einer edlen Pikanterie, gefallsuechtig und anbetungswuerdig. Und sieh, dort faehrt ein grosser Maler mit seiner Geliebten in einem Wagen die Ludwigstrasse hinauf. Man zeigt sich das Gefaehrt, man bleibt stehen und blickt den beiden nach. Viele Leute gruessen. Und es fehlt nicht viel, dass die Schutzleute Front machen. Die Kunst blueht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter ueber die Stadt hin und laechelt. Eine allseitige respektvolle Anteilnahme an ihrem Gedeihen, eine allseitige, fleissige und hingebungsvolle Uebung und Propaganda in ihrem Dienste, ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schoenheit obwaltet... Muenchen leuchtete. 2 Es schritt ein Juengling die Schellingstrasse hinan; er schritt, umklingelt von den Radfahrern, in der Mitte des Holzpflasters der breiten Fassade der Ludwigskirche entgegen. Sah man ihn an, so war es, als ob ein Schatten ueber die Sonne ginge oder ueber das Gemuet eine Erinnerung an schwere Stunden. Liebte er die Sonne nicht, die die schoene Stadt in Festglanz tauchte? Warum hielt er in sich gekehrt und abgewandt die Augen zu Boden gerichtet, indes er wandelte? Er trug keinen Hut, woran bei der Kostuemfreiheit der leichtgemuten Stadt keine Seele Anstoss nahm, sondern hatte statt dessen die Kapuze seines weiten, schwarzen Mantels ueber den Kopf gezogen, die seine niedrige, eckig vorspringende Stirn beschattete, seine Ohren bedeckte und seine hageren Wangen umrahmte. Welcher Gewissensgram, welche Skrupeln und welche Misshandlungen seiner selbst hatten diese Wangen so auszuhoehlen vermocht? Ist es nicht schauerlich, an solchem Sonnentage den Kummer in den Wangenhoehlen eines Menschen wohnen zu sehen? Seine dunklen Brauen verdickten sich stark an der schmalen Wurzel seiner Nase, die gross und gehoeckert aus dem Gesichte hervorsprang, und seine Lippen waren stark und wulstig. Wenn er seine ziemlich nahe beieinanderliegenden braunen Augen erhob, bildeten sich Querfalten auf seiner kantigen Stirn. Er blickte mit einem Ausdruck von Wissen, Begrenztheit und Leiden. Im Profil gesehen, glich dieses Gesicht genau einem alten Bildnis von Moencheshand, aufbewahrt zu Florenz in einer engen und harten Klosterzelle, aus welcher einstmals ein furchtbarer und niederschmetternder Protest gegen das Leben und seinen Triumph erging... Hieronymus schritt die Schellingstrasse hinan, schritt langsam und fest, indes er seinen weiten Mantel von innen mit beiden Haenden zusammenhielt. Zwei kleine Maedchen, zwei dieser huebschen, untersetzten Wesen mit den Haarbandeaux, den zu grossen Fuessen und den unbedenklichen Sitten, die Arm in Arm und abenteuerlustig an ihm vorueberschlenderten, stiessen sich an und lachten, legten sich vornueber und gerieten ins Laufen vor Lachen ueber seine Kapuze und sein Gesicht. Aber er achtete dessen nicht. Gesenkten Hauptes und ohne nach rechts oder links zu blicken, ueberschritt er die Ludwigstrasse und stieg die Stufen der Kirche hinan. Die grossen Fluegel der Mitteltuer standen weit geoeffnet. In der geweihten Daemmerung, kuehl, dumpfig und mit Opferrauch geschwaengert, war irgendwo fern ein schwaches, roetliches Gluehen bemerkbar. Ein altes Weib mit blutigen Augen erhob sich von einer Betbank und schleppte sich an Kruecken zwischen den Saeulen hindurch. Sonst war die Kirche leer. Hieronymus benetzte sich Stirn und Brust am Becken, beugte das Knie vor dem Hochaltar und blieb dann im Mittelschiffe stehen. War es nicht, als sei seine Gestalt gewachsen, hier drinnen? Aufrecht und unbeweglich, mit frei erhobenem Haupte stand er da, seine grosse, gehoeckerte Nase schien mit einem herrischen Ausdruck ueber den starken Lippen hervorzuspringen, und seine Augen waren nicht mehr zu Boden gerichtet, sondern blickten kuehn und geradeswegs ins Weite, zu dem Kruzifix auf dem Hochaltar hinueber. So verharrte er reglos eine Weile; dann beugte er zuruecktretend aufs neue das Knie und verliess die Kirche. Er schritt die Ludwigstrasse hinauf, langsam und fest, gesenkten Hauptes, inmitten des breiten, ungepflasterten Fahrdammes, entgegen der gewaltigen Loggia mit ihren Statuen. Aber auf dem Odeonsplatze angelangt, blickte er auf, so dass sich Querfalten auf seiner kantigen Stirne bildeten, und hemmte seine Schritte: aufmerksam gemacht durch die Menschenansammlung vor den Auslagen der grossen Kunsthandlung, des weitlaeufigen Schoenheitsgeschaeftes von M. Bluethenzweig. Die Leute gingen von Fenster zu Fenster, zeigten sich die ausgestellten Schaetze und tauschten ihre Meinungen aus, indes einer ueber des anderen Schulter blickte. Hieronymus mischte sich unter sie und begann auch seinerseits alle diese Dinge zu betrachten, alles in Augenschein zu nehmen, Stueck fuer Stueck. Er sah die Nachbildungen von Meisterwerken aus allen Galerieen der Erde, die kostbaren Rahmen in ihrer simplen Bizarrerie, die Renaissanceplastik, die Bronzeleiber und Zierglaeser, die schillernden Vasen, den Buchschmuck und die Portraets der Kuenstler, Musiker, Philosophen, Schauspieler, Dichter, sah alles an und wandte an jeden Gegenstand einen Augenblick. Indem er seinen Mantel von innen mit beiden Haenden fest zusammenhielt, drehte er seinen von der Kapuze bedeckten Kopf in kleinen, kurzen Wendungen von einer Sache zur naechsten, und unter seinen dunklen, an der Nasenwurzel stark sich verdichtenden Brauen, die er emporzog, blickten seine Augen mit einem befremdeten, stumpfen und kuehl erstaunten Ausdruck auf jedes Ding eine Weile. So erreichte er das erste Fenster, dasjenige, unter dem das aufsehenerregende Bild sich befand, blickte eine Zeitlang den vor ihm sich draengenden Leuten ueber die Schultern und gelangte endlich nach vorn, dicht an die Auslage heran. Die grosse, roetlichbraune Photographie stand, mit aeusserstem Geschmack in Altgold gerahmt, auf einer Staffelei inmitten des Fensterraumes. Es war eine Madonna, eine durchaus modern empfundene, von jeder Konvention freie Arbeit. Die Gestalt der heiligen Gebaererin war von berueckender Weiblichkeit, entbloesst und schoen. Ihre grossen, schwuelen Augen waren dunkel umraendert, und ihre delikat und seltsam laechelnden Lippen standen halb geoeffnet. Ihre schmalen, ein wenig nervoes und krampfhaft gruppierten Finger umfassten die Huefte des Kindes, eines nackten Knaben von distinguierter und fast primitiver Schlankheit, der mit ihrer Brust spielte und dabei seine Augen mit einem klugen Seitenblick auf den Beschauer gerichtet hielt. Zwei andere Juenglinge standen neben Hieronymus und unterhielten sich ueber das Bild, zwei junge Maenner mit Buechern unter dem Arm, die sie aus der Staatsbibliothek geholt hatten oder dorthin brachten, humanistisch gebildete Leute, beschlagen in Kunst und Wissenschaft. "Der Kleine hat es gut, hol' mich der Teufel!" sagte der eine. "Und augenscheinlich hat er die Absicht, einen neidisch zu machen", versetzte der andere... "Ein bedenkliches Weib!" "Ein Weib zum Rasendwerden! Man wird ein wenig irre am Dogma von der unbefleckten Empfaengnis..." "Ja, ja, sie macht einen ziemlich beruehrten Eindruck... Hast du das Original gesehen?" "Selbstverstaendlich. Ich war ganz angegriffen. Sie wirkt in der Farbe noch weit aphrodisischer... besonders die Augen." "Die Aehnlichkeit ist eigentlich doch ausgesprochen." "Wieso?" "Kennst du nicht das Modell? Er hat doch seine kleine Putzmacherin dazu benuetzt. Es ist beinahe Portraet, nur stark ins Gebiet des Korrupten hinaufstilisiert... Die Kleine ist harmloser." "Das hoffe ich. Das Leben waere allzu anstrengend, wenn es viele gaebe, wie diese mater amata..." "Die Pinakothek hat es angekauft." "Wahrhaftig? Sieh da! Sie wusste wohl uebrigens, was sie tat. Die Behandlung des Fleisches und der Linienfluss des Gewandes ist wirklich eminent." "Ja, ein unglaublich begabter Kerl." "Kennst du ihn?" "Ein wenig. Er wird Karriere machen, das ist sicher. Er war schon zweimal beim Regenten zur Tafel..." Das letzte sprachen sie, waehrend sie anfingen, voneinander Abschied zu nehmen. "Sieht man dich heute abend im Theater?" fragte der eine. "Der dramatische Verein gibt Macchiavelli's 'Mandragola' zum besten." "Oh, bravo. Davon kann man sich Spass versprechen. Ich hatte vor, ins Kuenstlervariete zu gehen, aber es ist wahrscheinlich, dass ich den wackeren Nicolo schliesslich vorziehe. Auf Wiedersehen..." Sie trennten sich, traten zurueck und gingen nach rechts und links auseinander. Neue Leute rueckten an ihre Stelle und betrachteten das erfolgreiche Bild. Aber Hieronymus stand unbeweglich an seinem Platze; er stand mit vorgestrecktem Kopfe, und man sah, wie seine Haende, mit denen er auf der Brust seinen Mantel von innen zusammenhielt, sich krampfhaft ballten. Seine Brauen waren nicht mehr mit jenem kuehl und ein wenig gehaessig erstaunten Ausdruck emporgezogen, sie hatten sich gesenkt und verfinstert, seine Wangen, von der schwarzen Kapuze halb bedeckt, schienen tiefer ausgehoehlt als vordem, und seine dicken Lippen waren ganz bleich. Langsam neigte sein Kopf sich tiefer und tiefer, so dass er schliesslich seine Augen ganz von unten herauf starr auf das Kunstwerk gerichtet hielt. Die Fluegel seiner grossen Nase bebten. In dieser Haltung verblieb er wohl eine Viertelstunde. Die Leute um ihn her loesten sich ab, er aber wich nicht vom Platze. Endlich drehte er sich langsam, langsam auf den Fussballen herum und ging fort. 3 Aber das Bild der Madonna ging mit ihm. Immerdar, mochte er nun in seinem engen und harten Kaemmerlein weilen oder in den kuehlen Kirchen knieen, stand es vor seiner empoerten Seele, mit schwuelen, umraenderten Augen, mit raetselhaft laechelnden Lippen, entbloesst und schoen. Und kein Gebet vermochte es zu verscheuchen. In der dritten Nacht aber geschah es, dass ein Befehl und Ruf aus der Hoehe an Hieronymus erging, einzuschreiten und seine Stimme zu erheben gegen leichtherzige Ruchlosigkeit und frechen Schoenheitsduenkel. Vergebens wendete er, Mosen gleich, seine bloede Zunge vor; Gottes Wille blieb unerschuetterlich und verlangte laut von seiner Zaghaftigkeit diesen Opfergang unter die lachenden Feinde. Da machte er sich auf am Vormittage und ging, weil Gott es wollte, den Weg zur Kunsthandlung, zum grossen Schoenheitsgeschaeft von M. Bluethenzweig. Er trug die Kapuze ueber dem Kopf und hielt seinen Mantel von innen mit beiden Haenden zusammen, indes er wandelte. 4 Es war schwuel geworden; der Himmel war fahl, und ein Gewitter drohte. Wiederum belagerte viel Volks die Fenster der Kunsthandlung, besonders aber dasjenige, in dem das Madonnenbild sich befand. Hieronymus warf nur einen kurzen Blick dorthin; dann drueckte er die Klinke der mit Plakaten und Kunstzeitschriften verhangenen Glastuer. "Gott will es!" sagte er und trat in den Laden. Ein junges Maedchen, das irgendwo an einem Pult in einem grossen Buche geschrieben hatte, ein huebsches, bruenettes Wesen mit Haarbandeaux und zu grossen Fuessen, trat auf ihn zu und fragte freundlich, was ihm zu Diensten stehe. "Ich danke Ihnen", sagte Hieronymus leise und blickte ihr, Querfalten in seiner kantigen Stirn, ernst in die Augen. "Nicht Sie will ich sprechen, sondern den Inhaber des Geschaeftes, Herrn Bluethenzweig." Ein wenig zoegernd zog sie sich von ihm zurueck und nahm ihre Beschaeftigung wieder auf. Er stand inmitten des Ladens. Alles, was draussen in einzelnen Beispielen zur Schau gestellt war, es war hier drinnen zwanzigfach zu Haeuf getuermt und ueppig ausgebreitet: eine Fuelle von Farbe, Linie und Form, von Stil, Witz, Wohlgeschmack und Schoenheit. Hieronymus blickte langsam nach beiden Seiten, und dann zog er die Falten seines schwarzen Mantels fester um sich zusammen. Es waren mehrere Leute im Laden anwesend. An einem der breiten Tische, die sich quer durch den Raum zogen, sass ein Herr in gelbem Anzug und mit schwarzem Ziegenbart und betrachtete eine Mappe mit franzoesischen Zeichnungen, ueber die er manchmal ein meckerndes Lachen vernehmen liess. Ein junger Mensch mit einem Aspekt von Schlechtbezahltheit und Pflanzenkost bediente ihn, indem er neue Mappen zur Ansicht herbeischleppte. Dem meckernden Herrn schraeg gegenueber pruefte eine vornehme alte Dame moderne Kunststickereien, grosse Fabelblumen in blassen Toenen, die auf langen, steifen Stielen senkrecht nebeneinander standen. Auch um sie bemuehte sich ein Angestellter des Geschaefts. An einem zweiten Tische sass, die Reisemuetze auf dem Kopfe und die Holzpfeife im Munde, nachlaessig ein Englaender. Durabel gekleidet, glatt rasiert, kalt und unbestimmten Alters, waehlte er unter Bronzen, die Herr Bluethenzweig ihm persoenlich herzutrug. Die ziere Gestalt eines nackten kleinen Maedchens, welche, unreif und zart gegliedert, ihre Haendchen in koketter Keuschheit auf der Brust kreuzte, hielt er am Kopfe erfasst und musterte sie eingehend, indem er sie langsam um sich selbst drehte. Herr Bluethenzweig, ein Mann mit kurzem braunen Vollbart und blanken Augen von ebenderselben Farbe, bewegte sich haendereibend um ihn herum, indem er das kleine Maedchen mit allen Vokabeln pries, deren er habhaft werden konnte. "Hundertfuenfzig Mark, Sir", sagte er auf englisch; "Muenchener Kunst, Sir. Sehr lieblich in der Tat. Voller Reiz, wissen Sie. Es ist die Grazie selbst, Sir. Wirklich aeusserst huebsch, niedlich und bewunderungswuerdig." Hierauf fiel ihm noch etwas ein und er sagte: "Hoechst anziehend und verlockend." Dann fing er wieder von vorne an. Seine Nase lag ein wenig platt auf der Oberlippe, so dass er bestaendig in einem leicht fauchenden Geraeusch in seinen Schnurrbart schnueffelte. Manchmal naeherte er sich dabei dem Kaeufer in gebueckter Haltung, als beroeche er ihn. Als Hieronymus eintrat, untersuchte Herr Bluethenzweig ihn fluechtig in eben dieser Weise, widmete sich aber alsbald wieder dem Englaender. Die vornehme Dame hatte ihre Wahl getroffen und verliess den Laden. Ein neuer Herr trat ein. Herr Bluethenzweig beroch ihn kurz, als wollte er so den Grad seiner Kauffaehigkeit erkunden, und ueberliess es der jungen Buchhalterin, ihn zu bedienen. Der Herr erstand nur eine Fayencebueste Piero's, Sohn des praechtigen Medici, und entfernte sich wieder. Auch der Englaender begann nun aufzubrechen. Er hatte sich das kleine Maedchen zu eigen gemacht und ging unter den Verbeugungen Herrn Bluethenzweigs. Dann wandte sich der Kunsthaendler zu Hieronymus und stellte sich vor ihn hin. "Sie wuenschen..." fragte er ohne viel Demut. Hieronymus hielt seinen Mantel von innen mit beiden Haenden zusammen und blickte Herrn Bluethenzweig fast ohne mit der Wimper zu zucken ins Gesicht. Er trennte langsam seine dicken Lippen und sagte: "Ich komme zu Ihnen wegen des Bildes in jenem Fenster dort, der grossen Photographie, der Madonna."--Seine Stimme war belegt und modulationslos. "Jawohl, ganz recht", sagte Herr Bluethenzweig lebhaft und begann, sich die Haende zu reiben: "Siebenzig Mark im Rahmen, mein Herr. Es ist unveraenderlich ... eine erstklassige Reproduktion. Hoechst anziehend und reizvoll." Hieronymus schwieg. Er neigte seinen Kopf in der Kapuze und sank ein wenig in sich zusammen, waehrend der Kunsthaendler sprach; dann richtete er sich wieder auf und sagte: "Ich bemerke Ihnen im voraus, dass ich nicht in der Lage, noch ueberhaupt willens bin, irgend etwas zu kaufen. Es tut mir leid, Ihre Erwartungen enttaeuschen zu muessen. Ich habe Mitleid mit Ihnen, wenn Ihnen das Schmerz bereitet. Aber erstens bin ich arm, und zweitens liebe ich die Dinge nicht, die Sie feilhalten. Nein, kaufen kann ich nichts." "Nicht ... also nicht", sagte Herr Bluethenzweig und schnueffelte stark. "Nun, darf ich fragen..." "Wie ich Sie zu kennen glaube", fuhr Hieronymus fort, "so verachten Sie mich darum, dass ich nicht imstande bin, Ihnen etwas abzukaufen..." "Hm ..." sagte Herr Bluethenzweig. "Nicht doch! Nur ..." "Dennoch bitte ich Sie, mir Gehoer zu schenken und meinen Worten Gewicht beizulegen." "Gewicht beizulegen. Hm. Darf ich fragen ..." "Sie duerfen fragen", sagte Hieronymus, "und ich werde Ihnen antworten. Ich bin gekommen, Sie zu bitten, dass Sie jenes Bild, die grosse Photographie, die Madonna, sogleich aus Ihrem Fenster entfernen und sie niemals wieder zur Schau stellen." Herr Bluethenzweig blickte eine Weile stumm in Hieronymus' Gesicht, mit einem Ausdruck, als forderte er ihn auf, ueber seine abenteuerlichen Worte in Verlegenheit zu geraten. Da dies aber keineswegs geschah, so schnueffelte er heftig und brachte hervor: "Wollen Sie die Guete haben, mir mitzuteilen, ob Sie hier in irgendeiner amtlichen Eigenschaft stehen, die Sie befugt, mir Vorschriften zu machen, oder was Sie eigentlich herfuehrt..." "O nein", antwortete Hieronymus; "ich habe weder Amt noch Wuerde von Staates wegen. Die Macht ist nicht auf meiner Seite, Herr. Was mich herfuehrt, ist allein mein Gewissen." Herr Bluethenzweig bewegte nach Worten suchend den Kopf hin und her, blies heftig mit der Nase in seinen Schnurrbart und rang mit der Sprache. Endlich sagte er: "Ihr Gewissen ... Nun, so wollen Sie gefaelligst ... Notiz davon nehmen ... dass Ihr Gewissen fuer uns eine ... eine gaenzlich belanglose Einrichtung ist!"-- Damit drehte er sich um, ging schnell zu seinem Pult im Hintergrunde des Ladens und begann zu schreiben. Die beiden Ladendiener lachten von Herzen. Auch das huebsche Fraeulein kicherte ueber ihrem Kontobuche. Was den gelben Herrn mit dem schwarzen Ziegenbart betraf, so zeigte es sich, dass er ein Fremder war, denn er verstand augenscheinlich nichts von dem Gespraech, sondern fuhr fort, sich mit den franzoesischen Zeichnungen zu beschaeftigen, wobei er von Zeit zu Zeit sein meckerndes Lachen vernehmen liess.-- "Wollen Sie den Herrn abfertigen", sagte Herr Bluethenzweig ueber die Schulter hinweg zu seinem Gehilfen. Dann schrieb er weiter. Der junge Mensch mit dem Aspekt von Schlechtbezahltheit und Pflanzenkost trat auf Hieronymus zu, indem er sich des Lachens zu enthalten trachtete, und auch der andere Verkaeufer naeherte sich. "Koennen wir Ihnen sonst irgendwie dienlich sein?" fragte der Schlechtbezahlte sanft. Hieronymus hielt unverwandt seinen leidenden, stumpfen und dennoch durchdringenden Blick auf ihn gerichtet. "Nein", sagte er, "sonst koennen Sie es nicht. Ich bitte Sie, das Madonnenbild unverzueglich aus dem Fenster zu entfernen, und zwar fuer immer." "Oh ... Warum?" "Es ist die heilige Mutter Gottes..." sagte Hieronymus gedaempft. "Allerdings ... Sie hoeren ja aber, dass Herr Bluethenzweig nicht geneigt ist, Ihren Wunsch zu erfuellen." "Man muss bedenken, dass es die heilige Mutter Gottes ist", sagte Hieronymus, und sein Kopf zitterte. "Das ist richtig.--Und weiter? Darf man keine Madonnen ausstellen? Darf man keine malen?" "Nicht so! Nicht so!" sagte Hieronymus beinahe fluesternd, indem er sich hoch emporrichtete und mehrmals heftig den Kopf schuettelte. Seine kantige Stirn unter der Kapuze war ganz von langen und tiefen Querfalten durchfurcht. "Sie wissen sehr wohl, dass es das Laster selbst ist, das ein Mensch dort gemalt hat ... die entbloesste Wollust! Von zwei schlichten und unbewussten Leuten, die dieses Madonnenbild betrachteten, habe ich mit meinen Ohren gehoert, dass es sie an dem Dogma der unbefleckten Empfaengnis irremache..." "Oh, erlauben Sie, nicht darum handelt es sich", sagte der junge Verkaeufer ueberlegen laechelnd. Er schrieb in seinen Mussestunden eine Broschuere ueber die moderne Kunstbewegung und war sehr wohl imstande, ein gebildetes Gespraech zu fuehren. "Das Bild ist ein Kunstwerk", fuhr er fort, "und man muss den Massstab daranlegen, der ihm gebuehrt. Es hat allerseits den groessten Beifall gehabt. Der Staat hat es angekauft..." "Ich weiss, dass der Staat es angekauft hat", sagte Hieronymus. "Ich weiss auch, dass der Maler zweimal beim Regenten gespeist hat. Das Volk spricht davon, und Gott weiss, wie es sich die Tatsache deutet, dass jemand fuer ein solches Werk zum hochgeehrten Manne wird. Wovon legt diese Tatsache Zeugnis ab? Von der Blindheit der Welt, einer Blindheit, die unfasslich ist, wenn sie nicht auf schamloser Heuchelei beruht. Dieses Gebilde ist aus Sinnenlust entstanden und wird in Sinnenlust genossen ... ist dies wahr oder nicht? Antworten Sie; antworten auch Sie, Herr Bluethenzweig!" Eine Pause trat ein. Hieronymus schien allen Ernstes eine Antwort zu verlangen und blickte mit seinen leidenden und durchdringenden Augen abwechselnd auf die beiden Verkaeufer, die ihn neugierig und verdutzt anstarrten, und auf Herrn Bluethenzweigs runden Ruecken. Es herrschte Stille. Nur der gelbe Herr mit dem schwarzen Ziegenbart liess, ueber die franzoesischen Zeichnungen gebeugt, sein meckerndes Lachen vernehmen. "Es _ist_ wahr!" fuhr Hieronymus fort, und in seiner belegten Stimme bebte eine tiefe Entruestung ... "Sie wagen nicht, es zu leugnen! Wie aber ist es dann moeglich, den Verfertiger dieses Gebildes im Ernste zu feiern, als habe er der Menschheit ideale Gueter um eines vermehrt? Wie ist es dann moeglich, davor zu stehen, sich unbedenklich dem schnoeden Genuesse hinzugeben, den es verursacht, und sein Gewissen mit dem Worte Schoenheit zum Schweigen zu bringen, ja, sich ernstlich einzureden, man ueberlasse sich dabei einem edlen, erlesenen und hoechst menschenwuerdigen Zustande? Ist dies ruchlose Unwissenheit oder verworfene Heuchelei? Mein Verstand steht still an dieser Stelle ... er steht still vor der absurden Tatsache, dass ein Mensch durch die dumme und zuversichtliche Entfaltung seiner tierischen Triebe auf Erden zu hoechstem Ruhme gelangen kann!... Schoenheit ... Was ist Schoenheit? Wodurch wird die Schoenheit zutage getrieben und worauf wirkt sie? Es ist unmoeglich, dies nicht zu wissen, Herr Bluethenzweig! Wie aber ist es denkbar, eine Sache so sehr zu durchschauen und nicht angesichts ihrer von Ekel und Gram erfuellt zu werden? Es ist verbrecherisch, die Unwissenheit der schamlosen Kinder und kecken Unbedenklichen durch die Erhoehung und frevle Anbetung der Schoenheit zu bestaetigen, zu bekraeftigen und ihr zur Macht zu verhelfen, denn sie sind weit vom Leiden und weiter noch von der Erloesung! ...Du blickst schwarz, antworten Sie mir, du, Unbekannter. Das Wissen, sage ich Ihnen, ist die tiefste Qual der Welt; aber es ist das Fegefeuer, ohne dessen laeuternde Pein keines Menschen Seele zum Heile gelangt. Nicht kecker Kindersinn und ruchlose Unbefangenheit frommt, Herr Bluethenzweig, sondern jene Erkenntnis, in der die Leidenschaften unseres eklen Fleisches hinsterben und verloeschen." Stillschweigen. Der gelbe Herr mit dem schwarzen Ziegenbart meckerte kurz. "Sie muessen nun wohl gehen", sagte der Schlechtbezahlte sanft. Aber Hieronymus machte keineswegs Anstalten, zu gehen. Hoch aufgerichtet in seinem Kapuzenmantel, mit brennenden Augen stand er inmitten des Kunstladens, und seine dicken Lippen formten mit hartem und gleichsam rostigem Klange unaufhaltsam verdammende Worte... "Kunst! rufen sie, Genuss! Schoenheit! Huellt die Welt in Schoenheit ein und verleiht jedem Dinge den Adel des Stiles! ...Geht mir, Verruchte! Denkt man, mit prunkenden Farben das Elend der Welt zu uebertuenchen? Glaubt man, mit dem Festlaerm des ueppigen Wohlgeschmacks das Aechzen der gequaelten Erde uebertoenen zu koennen? Ihr irrt, Schamlose! Gott laesst sich nicht spotten, und ein Greuel ist in seinen Augen euer frecher Goetzendienst der gleissenden Oberflaeche! ...Du schmaehst die Kunst, antworten Sie mir, du, Unbekannter. Sie luegen, sage ich Ihnen, ich schmaehe nicht die Kunst! Die Kunst ist kein gewissenloser Trug, der lockend zur Bekraeftigung und Bestaetigung des Lebens im Fleische reizt! Die Kunst ist die heilige Fackel, die barmherzig hineinleuchte in alle fuerchterlichen Tiefen, in alle scham- und gramvollen Abgruende des Daseins; die Kunst ist das goettliche Feuer, das an die Welt gelegt werde, damit sie aufflamme und zergehe samt all ihrer Schande und Marter in erloesendem Mitleid! ...Nehmen Sie, Herr Bluethenzweig, nehmen Sie das Werk des beruehmten Malers dort aus Ihrem Fenster ... ja, Sie taeten gut, es mit einem heissen Feuer zu verbrennen und seine Asche in alle Winde zu streuen, in alle vier Winde!..." Seine unschoene Stimme brach ab. Er hatte einen heftigen Schritt rueckwaerts getan, hatte einen Arm der Umhuellung des schwarzen Mantels entrissen, hatte ihn mit leidenschaftlicher Bewegung weit hinausgereckt und wies mit einer seltsam verzerrten, krampfhaft auf und nieder bebenden Hand auf die Auslage, das Schaufenster, dorthin, wo das aufsehenerregende Madonnenbild seinen Platz hatte. In dieser herrischen Haltung verharrte er. Seine grosse, gehoeckerte Nase schien mit einem befehlshaberischen Ausdruck hervorzuspringen, seine dunklen, an der Nasenwurzel stark sich verdickenden Brauen waren so hoch emporgezogen, dass die kantige, von der Kapuze beschattete Stirn ganz in breiten Querfalten lag, und ueber seinen Wangenhoehlen hatte sich eine hektische Hitze entzuendet. Hier aber wandte Herr Bluethenzweig sich um. Sei es, dass die Zumutung, diese Siebenzig-Mark-Reproduktion zu verbrennen, ihn so aufrichtig entruestete, oder dass ueberhaupt Hieronymus' Reden seine Geduld am Ende erschoepft hatten: jedenfalls bot er ein Bild gerechten und starken Zornes. Er wies mit dem Federhalter auf die Ladentuer, blies mehrere Male kurz und erregt mit der Nase in den Schnurrbart, rang mit der Sprache und brachte dann mit hoechstem Nachdruck hervor: "Wenn Sie Patron nun nicht augenblicklich von der Bildflaeche verschwinden, so lasse ich Ihnen durch den Packer den Abgang erleichtern, verstehen Sie mich?!" "Oh, Sie schuechtern mich nicht ein, Sie verjagen mich nicht, Sie bringen meine Stimme nicht zum Schweigen!" rief Hieronymus, indem er oberhalb der Brust seine Kapuze mit der Faust zusammenraffte und furchtlos den Kopf schuettelte... "Ich weiss, dass ich einsam und machtlos bin, und dennoch verstumme ich nicht, bis Sie mich hoeren, Herr Bluethenzweig! Nehmen Sie das Bild aus Ihrem Fenster und verbrennen Sie es noch heute! Ach, verbrennen Sie nicht dies allein! Verbrennen Sie auch diese Statuetten und Buesten, deren Anblick in Suende stuerzt, verbrennen Sie diese Vasen und Zierate, diese schamlosen Wiedergeburten des Heidentums, diese ueppig ausgestatteten Liebesverse! Verbrennen Sie alles, was Ihr Laden birgt, Herr Bluethenzweig, denn es ist ein Unrat in Gottes Augen! Verbrennen, verbrennen, verbrennen Sie es!" rief er ausser sich, indem er eine wilde, weite Bewegung rings in die Runde vollfuehrte... "Diese Ernte ist reif fuer den Schnitter ... Die Frechheit dieser Zeit durchbricht alle Daemme ... Ich aber sage Ihnen..." "Krauthuber!" liess Herr Bluethenzweig, einer Tuer im Hintergrund zugewandt, mit Anstrengung seine Stimme vernehmen... "Kommen Sie sofort herein!" Das, was infolge dieses Befehls auf dem Schauplatze erschien, war ein massiges und uebergewaltiges Etwas, eine ungeheuerliche und strotzende menschliche Erscheinung von schreckeneinfloessender Fuelle, deren schwellende, quellende, gepolsterte Gliedmassen ueberall formlos ineinander uebergingen ... eine unmaessige, langsam ueber den Boden wuchtende und schwer pustende Riesengestalt, genaehrt mit Malz, ein Sohn des Volkes von fuerchterlicher Ruestigkeit! Ein fransenartiger Seehundsschnauzbart war droben in seinem Angesicht bemerkbar, ein gewaltiges, mit Kleister besudeltes Schurzfell bedeckte seinen Leib, und die gelben Aermel seines Hemdes waren von seinen sagenhaften Armen zurueckgerollt. "Wollen Sie diesem Herrn die Tuere oeffnen, Krauthuber", sagte Herr Bluethenzweig, "und, sollte er sie dennoch nicht finden, ihm auf die Strasse hinausverhelfen." "Ha?" sagte der Mann, indem er mit seinen kleinen Elefantenaugen abwechselnd Hieronymus und seinen erzuernten Brotherrn betrachtete ... Es war ein dumpfer Laut von muehsam zurueckgedaemmter Kraft. Dann ging er, mit seinen Tritten alles um sich her erschuetternd, zur Tuer und oeffnete sie. Hieronymus war sehr bleich geworden. "Verbrennen Sie..." wollte er sagen, aber schon fuehlte er sich von einer furchtbaren Uebermacht umgewandt, von einer Koerperwucht, gegen die kein Widerstand denkbar war, langsam und unaufhaltsam der Tuer entgegengedraengt. "Ich bin schwach..." brachte er hervor. "Mein Fleisch ertraegt nicht die Gewalt ... es haelt nicht stand, nein ... Was beweist das? Verbrennen Sie..." Er verstummte. Er befand sich ausserhalb des Kunstladens. Herrn Bluethenzweigs riesiger Knecht hatte ihn schliesslich mit einem kleinen Stoss und Schwung fahren lassen, so dass er, auf eine Hand gestuetzt, seitwaerts auf die steinerne Stufe niedergesunken war. Und hinter ihm schloss sich klirrend die Glastuer. Er richtete sich empor. Er stand aufrecht und hielt schwer atmend mit der einen Faust seine Kapuze oberhalb der Brust zusammengerafft, indes er die andere unter dem Mantel hinabhaengen liess. In seinen Wangenhoehlen lagerte eine graue Blaesse; die Fluegel seiner grossen, gehoeckerten Nase blaehten und schloessen sich zuckend; seine haesslichen Lippen waren zu dem Ausdruck eines verzweifelten Hasses verzerrt, und seine Augen, von Glut umzogen, schweiften irr und ekstatisch ueber den schoenen Platz. Er sah nicht die neugierig und lachend auf ihn gerichteten Blicke. Er sah auf der Mosaikflaeche vor der grossen Loggia die Eitelkeiten der Welt, die Maskenkostueme der Kuenstlerfeste, die Zierate, Vasen, Schmuckstuecke und Stilgegenstaende, die nackten Statuen und Frauenbuesten, die malerischen Wiedergeburten des Heidentums, die Portraets der beruehmten Schoenheiten von Meisterhand, die ueppig ausgestatteten Liebesverse und Propagandaschriften der Kunst pyramidenartig aufgetuermt und unter dem Jubelgeschrei des durch seine furchtbaren Worte geknechteten Volkes in prasselnde Flammen aufgehen... Er sah gegen die gelbliche Wolkenwand, die von der Theatinerstrasse heraufgezogen war und in der es leise donnerte, ein breites Feuerschwert stehen, das sich im Schwefellicht ueber die frohe Stadt hinreckte... "Gladius Dei super terram..." fluesterten seine dicken Lippen, und in seinem Kapuzenmantel sich hoeher emporrichtend, mit einem versteckten und krampfigen Schuetteln seiner hinabhaengenden Faust, murmelte er bebend: "Cito et velociter!" * * * * * SCHWERE STUNDE Er stand vom Schreibtisch auf, von seiner kleinen, gebrechlichen Schreibkommode, stand auf wie ein Verzweifelter und ging mit haengendem Kopfe in den entgegengesetzten Winkel des Zimmers zum Ofen, der lang und schlank war wie eine Saeule. Er legte die Haende an die Kacheln, aber sie waren fast ganz erkaltet, denn Mitternacht war lange vorbei, und so lehnte er, ohne die kleine Wohltat empfangen zu haben, die er suchte, den Ruecken daran, zog hustend die Schoesse seines Schlafrockes zusammen, aus dessen Brustaufschlaegen das verwaschene Spitzenjabot heraushing, und schnob muehsam durch die Nase, um sich ein wenig Luft zu verschaffen; denn er hatte den Schnupfen wie gewoehnlich. Das war ein besonderer und unheimlicher Schnupfen, der ihn fast nie voellig verliess. Seine Augenlider waren entflammt und die Raender seiner Nasenloecher ganz wund davon, und in Kopf und Gliedern lag dieser Schnupfen ihm wie eine schwere, schmerzliche Trunkenheit. Oder war an all der Schlaffheit und Schwere das leidige Zimmergewahrsam schuld, das der Arzt nun schon wieder seit Wochen ueber ihn verhaengt hielt? Gott wusste, ob er wohl daran tat. Der ewige Katarrh und die Kraempfe in Brust und Unterleib mochten es noetig machen, und schlechtes Wetter war ueber Jena, seit Wochen, seit Wochen, das war richtig, ein miserables und hassenswertes Wetter, das man in allen Nerven spuerte, wuest, finster und kalt, und der Dezemberwind heulte im Ofenrohr, verwahrlost und gottverlassen, dass es klang nach naechtiger Heide im Sturm und Irrsal und heillosem Gram der Seele. Aber gut war sie nicht, diese enge Gefangenschaft, nicht gut fuer die Gedanken und den Rhythmus des Blutes, aus dem die Gedanken kamen... Das sechseckige Zimmer, kahl, nuechtern und unbequem, mit seiner geweissten Decke, unter der Tabaksrauch schwebte, seiner schraeg karierten Tapete, auf der oval gerahmte Silhouetten hingen, und seinen vier, fuenf duennbeinigen Moebeln, lag im Lichte der beiden Kerzen, die zu Haeupten des Manuskripts auf der Schreibkommode brannten. Rote Vorhaenge hingen ueber den oberen Rahmen der Fenster, Faehnchen nur, symmetrisch geraffte Kattune; aber sie waren rot, von einem warmen, sonoren Rot, und er liebte sie und wollte sie niemals missen, weil sie etwas von Ueppigkeit und Wollust in die unsinnlich-enthaltsame Duerftigkeit seines Zimmers brachten... Er stand am Ofen und blickte mit einem raschen und schmerzlich angestrengten Blinzeln hinueber zu dem Werk, von dem er geflohen war, dieser Last, diesem Druck, dieser Gewissensqual, diesem Meer, das auszutrinken, dieser furchtbaren Aufgabe, die sein Stolz und sein Elend, sein Himmel und seine Verdammnis war. Es schleppte sich, es stockte, es stand--schon wieder, schon wieder! Das Wetter war schuld und sein Katarrh und seine Muedigkeit. Oder das Werk? Die Arbeit selbst? Die eine unglueckselige und der Verzweiflung geweihte Empfaengnis war? Er war aufgestanden, um sich ein wenig Distanz davon zu verschaffen, denn so oft bewirkte die raeumliche Entfernung vom Manuskript, dass man Uebersicht gewann, einen weiteren Blick ueber den Stoff, und Verfuegungen zu treffen vermochte. Ja, es gab Faelle, wo das Erleichterungsgefuehl, wenn man sich abwendete von der Staette des Ringens, begeisternd wirkte. Und das war eine unschuldigere Begeisterung, als wenn man Likoer nahm oder schwarzen, starken Kaffee... Die kleine Tasse stand auf dem Tischchen. Wenn sie ihm ueber das Hemmnis huelfe? Nein, nein, nicht mehr! Nicht der Arzt nur, auch ein zweiter noch, ein Ansehnlicherer, hatte ihm dergleichen behutsam widerraten: der andere, der dort, in Weimar, den er mit einer sehnsuechtigen Feindschaft liebte. Der war weise. Der wusste zu leben, zu schaffen; misshandelte sich nicht; war voller Ruecksicht gegen sich selbst... Stille herrschte im Hause. Nur der Wind war hoerbar, der die Schlossgasse hinuntersauste, und der Regen, wenn er prickelnd gegen die Fenster getrieben ward. Alles schlief, der Hauswirt und die Seinen, Lotte und die Kinder. Und er stand einsam wach am erkalteten Ofen und blinzelte gequaelt zu dem Werk hinueber, an das seine kranke Ungenuegsamkeit ihn glauben liess... Sein weisser Hals ragte lang aus der Binde hervor, und zwischen den Schoessen des Schlafrocks sah man seine nach innen gekruemmten Beine. Sein rotes Haar war aus der hohen und zarten Stirn zurueckgestrichen, liess blass geaederte Buchten ueber den Schlaefen frei und bedeckte die Ohren in duennen Locken. An der Wurzel der grossen, gebogenen Nase, die unvermittelt in eine weissliche Spitze endete, traten die starken Brauen, dunkler als das Haupthaar, nahe zusammen, was dem Blick der tiefliegenden, wunden Augen etwas tragisch Schauendes gab. Gezwungen, durch den Mund zu atmen, oeffnete er die duennen Lippen, und seine Wangen, sommersprossig und von Stubenluft fahl, erschlafften und fielen ein... Nein, es misslang, und alles war vergebens! Die Armee! Die Armee haette gezeigt werden muessen! Die Armee war die Basis von allem! Da sie nicht vors Auge gebracht werden konnte--war die ungeheure Kunst denkbar, sie der Einbildung aufzuzwingen? Und der Held war kein Held; er war unedel und kalt! Die Anlage war falsch, und die Sprache war falsch, und es war ein trockenes und schwungloses Kolleg in Historie, breit, nuechtern und fuer die Schaubuehne verloren! Gut, es war also aus. Eine Niederlage. Ein verfehltes Unternehmen. Bankerott. Er wollte es Koernern schreiben, dem guten Koerner, der an ihn glaubte, der in kindischem Vertrauen seinem Genius anhing. Er wuerde hoehnen, flehen, poltern--der Freund; wuerde ihn an den Carlos gemahnen, der auch aus Zweifeln und Muehen und Wandlungen hervorgegangen und sich am Ende, nach aller Qual, als ein weithin Vortreffliches, eine ruhmvolle Tat erwiesen hat. Doch das war anders gewesen. Damals war er der Mann noch, eine Sache mit gluecklicher Hand zu packen und sich den Sieg daraus zu gestalten. Skrupel und Kaempfe? O ja. Und krank war er gewesen, wohl kraenker als jetzt, ein Darbender, Fluechtiger, mit der Welt Zerfallener, gedrueckt und im Menschlichen bettelarm. Aber jung, ganz jung noch! Jedesmal, wie tief auch gebeugt, war sein Geist geschmeidig emporgeschnellt, und nach den Stunden des Harms waren die anderen des Glaubens und des inneren Triumphes gekommen. Die kamen nicht mehr, kamen kaum noch. Eine Nacht der flammenden Stimmung, da man auf einmal in einem genialisch leidenschaftlichen Lichte sah, was werden koennte, wenn man immer solcher Gnade geniessen duerfte, musste bezahlt werden mit einer Woche der Finsternis und der Laehmung. Muede war er, siebenunddreissig erst alt und schon am Ende. Der Glaube lebte nicht mehr, der an die Zukunft, der im Elend sein Stern gewesen. Und so war es, dies war die verzweifelte Wahrheit: Die Jahre der Not und der Nichtigkeit, die er fuer Leidens- und Pruefungsjahre gehalten, sie eigentlich waren reiche und fruchtbare Jahre gewesen; und nun, da ein wenig Glueck sich herniedergelassen, da er aus dem Freibeutertum des Geistes in einige Rechtlichkeit und buergerliche Verbindung eingetreten war, Amt und Ehren trug, Weib und Kinder besass, nun war er erschoepft und fertig. Versagen und verzagen--das war's, was uebrigblieb. Er stoehnte, presste die Haende vor die Augen und ging wie gehetzt durch das Zimmer. Was er da eben gedacht, war so furchtbar, dass er nicht an der Stelle zu bleiben vermochte, wo ihm der Gedanke gekommen war. Er setzte sich auf einen Stuhl an der Wand, liess die gefalteten Haende zwischen den Knien haengen und starrte trueb auf die Diele nieder. Das Gewissen... wie laut sein Gewissen schrie! Er hatte gesuendigt, sich versuendigt gegen sich selbst in all den Jahren, gegen das zarte Instrument seines Koerpers. Die Ausschweifungen seines Jugendmutes, die durchwachten Naechte, die Tage in tabakrauchiger Stubenluft, uebergeistig und des Leibes uneingedenk, die Rauschmittel, mit denen er sich zur Arbeit gestachelt--das raechte, raechte sich jetzt! Und raechte es sich, so wollte er den Goettern trotzen, die Schuld schickten und dann Strafe verhaengten. Er hatte gelebt, wie er leben musste, er hatte nicht Zeit gehabt, weise, nicht Zeit, bedaechtig zu sein. Hier, an dieser Stelle der Brust, wenn er atmete, hustete, gaehnte, immer am selben Punkt dieser Schmerz, diese kleine, teuflische, stechende, bohrende Mahnung, die nicht schwieg, seitdem vor fuenf Jahren in Erfurt das Katarrhfieber, jene hitzige Brustkrankheit, ihn angefallen--was wollte sie sagen? In Wahrheit, er wusste es nur zu gut, was sie meinte--mochte der Arzt sich stellen wie er konnte und wollte. Er hatte nicht Zeit, sich mit kluger Schonung zu begegnen, mit milder Sittlichkeit hauszuhalten. Was er tun wollte, musste er bald tun, heute noch, schnell... Sittlichkeit? Aber wie kam es zuletzt, dass die Suende gerade, die Hingabe an das Schaedliche und Verzehrende ihn moralischer duenkte als alle Weisheit und kuehle Zucht? Nicht sie, nicht die veraechtliche Kunst des guten Gewissens waren das Sittliche, sondern der Kampf und die Not, die Leidenschaft und der Schmerz! Der Schmerz... Wie das Wort ihm die Brust weitete! Er reckte sich auf, verschraenkte die Arme; und sein Blick, unter den roetlichen, zusammenstehenden Brauen, beseelte sich mit schoener Klage. Man war noch nicht elend, ganz elend noch nicht, solange es moeglich war, seinem Elend eine stolze und edle Benennung zu schenken. Eins war not: Der gute Mut, seinem Leben grosse und schoene Namen zu geben! Das Leid nicht auf Stubenluft und Konstipation zurueckzufuehren! Gesund genug sein, um pathetisch sein--um ueber das Koerperliche hinwegsehen, hinwegfuehlen zu koennen! Nur hierin naiv sein, wenn auch sonst wissend in allem! Glauben, an den Schmerz glauben koennen... Aber er glaubte ja an den Schmerz, so tief, so innig, dass etwas, was unter Schmerzen geschah, diesem Glauben zufolge weder nutzlos noch schlecht sein konnte. Sein Blick schwang sich zum Manuskript hinueber, und seine Arme verschraenkten sich fester ueber der Brust... Das Talent selbst--war es nicht Schmerz? Und wenn das dort, das unselige Werk, ihn leiden machte, war es nicht in der Ordnung so und fast schon ein gutes Zeichen? Es hatte noch niemals gesprudelt, und sein Misstrauen wuerde erst eigentlich beginnen, wenn es das taete. Nur bei Stuempern und Dilettanten sprudelte es, bei den Schnellzufriedenen und Unwissenden, die nicht unter dem Druck und der Zucht des Talentes lebten. Denn das Talent, meine Herren und Damen dort unten, weithin im Parterre, das Talent ist nichts Leichtes, nichts Taendelndes, es ist nicht ohne weiteres ein Koennen. In der Wurzel ist es Beduerfnis, ein kritisches Wissen um das Ideal, eine Ungenuegsamkeit, die sich ihr Koennen nicht ohne Qual erst schafft und steigert. Und den Groessten, den Ungenuegsamsten ist ihr Talent die schaerfste Geissel... Nicht klagen! Nicht prahlen! Bescheiden, geduldig denken von dem, was man trug! Und wenn nicht ein Tag in der Woche, nicht eine Stunde von Leiden frei war--was weiter? Die Lasten und Leistungen, die Anforderungen, Beschwerden, Strapazen gering achten, klein sehen,--das war's, was gross machte! Er stand auf, zog die Dose und schnupfte gierig, warf dann die Haende auf den Ruecken und schritt so heftig durch das Zimmer, dass die Flammen der Kerzen im Luftzuge flatterten... Groesse! Ausserordentlichkeit! Welteroberung und Unsterblichkeit des Namens! Was galt alles Glueck der ewig Unbekannten gegen dies Ziel? Gekannt sein,--gekannt und geliebt von den Voelkern der Erde! Schwatzet von Ichsucht, die ihr nichts wisst von der Suessigkeit dieses Traumes und Dranges! Ichsuechtig ist alles Ausserordentliche, sofern es leidet. Moegt ihr selbst zusehen, spricht es, ihr Sendungslosen, die ihr's auf Erden so viel leichter habt! Und der Ehrgeiz spricht: Soll das Leiden umsonst gewesen sein? Gross muss es mich machen!... Die Fluegel seiner grossen Nase waren gespannt, sein Blick drohte und schweifte. Seine Rechte war heftig und tief in den Aufschlag seines Schlafrockes geschoben, waehrend die Linke geballt herniederhing. Eine fliegende Roete war in seine hageren Wangen getreten, eine Lohe, emporgeschlagen aus der Glut seines Kuenstleregoismus, jener Leidenschaft fuer sein Ich, die unausloeschlich in seiner Tiefe brannte. Er kannte ihn wohl, den heimlichen Rausch dieser Liebe. Zuweilen brauchte er nur seine Hand zu betrachten, um von einer begeisterten Zaertlichkeit fuer sich selbst erfuellt zu werden, in deren Dienst er alles, was ihm an Waffen des Talentes und der Kunst gegeben war, zu stellen beschloss. Er durfte es, nichts war unedel daran. Denn tiefer noch als diese Ichsucht lebte das Bewusstsein, sich dennoch bei alldem im Dienste vor irgend etwas Hohem, ohne Verdienst freilich, sondern unter einer Notwendigkeit, uneigennuetzig zu verzehren und aufzuopfern. Und dies war seine Eifersucht: dass niemand groesser werde als er, der nicht auch tiefer als er um dieses Hohe gelitten. Niemand!... Er blieb stehen, die Hand ueber den Augen, den Oberkoerper halb seitwaerts gewandt, ausweichend, fliehend. Aber er fuehlte schon den Stachel dieses unvermeidlichen Gedankens in seinem Herzen, des Gedankens an ihn, den anderen, den Hellen, Tastseligen, Sinnlichen, Goettlich-Unbewussten, an den dort, in Weimar, den er mit einer sehnsuechtigen Feindschaft liebte... Und wieder, wie stets, in tiefer Unruhe, mit Hast und Eifer, fuehlte er die Arbeit in sich beginnen, die diesem Gedanken folgte: das eigene Wesen und Kuenstlertum gegen das des anderen zu behaupten und abzugrenzen... War er denn groesser? Worin? Warum? War es ein blutendes Trotzdem, wenn er siegte? Wuerde je sein Erliegen ein tragisches Schauspiel sein? Ein Gott, vielleicht--ein Held war er nicht. Aber es war leichter, ein Gott zu sein als ein Held!--Leichter... Der andere hatte es leichter! Mit weiser und gluecklicher Hand Erkennen und Schaffen zu scheiden, das mochte heiter und quallos und quellend fruchtbar machen. Aber war Schaffen goettlich, so war Erkenntnis Heldentum, und beides war der, ein Gott und ein Held, welcher erkennend schuf! Der Wille zum Schweren... Ahnte man, wieviel Zucht und Selbstueberwindung ein Satz, ein strenger Gedanke ihn kostete? Denn zuletzt war er unwissend und wenig geschult, ein dumpfer und schwaermender Traeumer. Es war schwerer, einen Brief des Julius zu schreiben, als die beste Szene zu machen,--und war es nicht darum auch fast schon das Hoehere?--Vom ersten rhythmischen Drange innerer Kunst nach Stoff, Materie, Moeglichkeit des Ergusses--bis zum Gedanken, zum Bilde, zum Worte, zur Zeile: welch Ringen! welch Leidensweg! Wunder der Sehnsucht waren seine Werke, der Sehnsucht nach Form, Gestalt, Begrenzung, Koerperlichkeit, der Sehnsucht hinueber in die klare Welt des anderen, der unmittelbar und mit goettlichem Mund die besonnten Dinge bei Namen nannte. Dennoch, und jenem zum Trotz: Wer war ein Kuenstler, ein Dichter gleich ihm, ihm selbst? Wer schuf, wie er, aus dem Nichts, aus der eigenen Brust? War nicht als Musik, als reines Urbild des Seins ein Gedicht in seiner Seele geboren, lange bevor es sich Gleichnis und Kleid aus der Welt der Erscheinungen lieh? Geschichte, Weltweisheit, Leidenschaft: Mittel und Vorwaende, nicht mehr, fuer etwas, was wenig mit ihnen zu schaffen, was seine Heimat in orphischen Tiefen hatte. Worte, Begriffe: Tasten nur, die sein Kuenstlertum schlug, um ein verborgenes Saitenspiel klingen zu machen... Wusste man das? Sie priesen ihn sehr, die guten Leute, fuer die Kraft der Gesinnung, mit welcher er die oder jene Taste schlug. Und sein Lieblingswort, sein letztes Pathos, die grosse Glocke, mit der er zu den hoechsten Festen der Seele rief, sie lockte viele herbei... Freiheit... Mehr und weniger, wahrhaftig, begriff er darunter als sie, wenn sie jubelten. Freiheit--was hiess das? Ein wenig Buergerwuerde doch nicht vor Fuerstenthronen? Lasst ihr euch traeumen, was alles ein Geist mit dem Worte zu meinen wagt? Freiheit wovon? Wovon zuletzt noch? Vielleicht sogar noch vom Glueck, vom Menschenglueck, dieser seidenen Fessel, dieser weichen und holden Verpflichtung... Vom Glueck... Seine Lippen zuckten; es war, als kehrte sein Blick sich nach innen, und langsam liess er das Gesicht in die Haende sinken... Er war im Nebenzimmer. Blaeuliches Licht floss von der Ampel, und der gebluemte Vorhang verhuellte in stillen Falten das Fenster. Er stand am Bette, beugte sich ueber das suesse Haupt auf dem Kissen... Eine schwarze Locke ringelte sich ueber die Wange, die von der Blaesse der Perlen schien, und die kindlichen Lippen waren im Schlummer geoeffnet... Mein Weib! Geliebte! Folgtest du meiner Sehnsucht und tratest du zu mir, mein Glueck zu sein? Du bist es, sei still! Und schlafe! Schlag jetzt nicht diese suessen, langschattenden Wimpern auf, um mich anzuschauen, so gross und dunkel, wie manchmal, als fragtest und suchtest du mich! Bei Gott, bei Gott, ich liebe dich sehr! Ich kann mein Gefuehl nur zuweilen nicht finden, weil ich oft sehr muede vom Leiden bin und vom Ringen mit jener Aufgabe, welche mein Selbst mir stellt. Und ich darf nicht allzusehr dein, nie ganz in dir gluecklich sein, um dessentwillen, was meine Sendung ist... Er kuesste sie, trennte sich von der lieblichen Waerme ihres Schlummers, sah um sich, kehrte zurueck. Die Glocke mahnte ihn, wie weit schon die Nacht vorgeschritten, aber es war auch zugleich, als zeigte sie guetig das Ende einer schweren Stunde an. Er atmete auf, seine Lippen schlossen sich fest; er ging und ergriff die Feder... Nicht gruebeln! Er war zu tief, um gruebeln zu duerfen! Nicht ins Chaos hinabsteigen, sich wenigstens nicht dort aufhalten! Sondern aus dem Chaos, welches die Fuelle ist, ans Licht emporheben, was faehig und reif ist, Form zu gewinnen. Nicht gruebeln: Arbeiten! Begrenzen, ausschalten, gestalten, fertig werden... Und es wurde fertig, das Leidenswerk. Es wurde vielleicht nicht gut, aber es wurde fertig. Und als es fertig war, siehe, da war es auch gut. Und aus seiner Seele, aus Musik und Idee, rangen sich neue Werke hervor, klingende und schimmernde Gebilde, die in heiliger Form die unendliche Heimat wunderbar ahnen liessen, wie in der Muschel das Meer End of Project Gutenberg's Gladius Dei; Schwere Stunde, by Thomas Mann *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GLADIUS DEI; SCHWERE STUNDE *** ***** This file should be named 12053.txt or 12053.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.net/1/2/0/5/12053/ Produced by Martin Agren, Tim Sneath and PG Distributed Proofreaders Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread public domain works in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH F3. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.net This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. EBooks posted prior to November 2003, with eBook numbers BELOW #10000, are filed in directories based on their release date. If you want to download any of these eBooks directly, rather than using the regular search system you may utilize the following addresses and just download by the etext year. http://www.gutenberg.net/etext06 (Or /etext 05, 04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90) EBooks posted since November 2003, with etext numbers OVER #10000, are filed in a different way. The year of a release date is no longer part of the directory path. The path is based on the etext number (which is identical to the filename). The path to the file is made up of single digits corresponding to all but the last digit in the filename. For example an eBook of filename 10234 would be found at: http://www.gutenberg.net/1/0/2/3/10234 or filename 24689 would be found at: http://www.gutenberg.net/2/4/6/8/24689 An alternative method of locating eBooks: http://www.gutenberg.net/GUTINDEX.ALL